Beiträge zur Religions- und Glaubensfreiheit 2
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Poet K/K 202390
2. Auflage 1990
1969 Kirche in Not/Ostpriesterhilfe, Albert-Roßhaupter-Straße 16, D-8000 München 70 Redaktion: Klaus Lorenz Druck: Funk-Druck, Eichstätt
Mit großen Feierlichkeiten wurde im Jahre 1988 das Millennium der Christianisierung der Kiewer Rus' in Moskau als Taufe Rußlands gefeiert, mit zahlreichen Besuchern aus dem Ausland und im Beisein von kirchlichen Würdenträgern verschiedener Konfessionen aus aller Welt.
Ganz anders war es noch 1986, als Letten und Esten die 800-Jahrfeier des Christentums in Livland und 1987, als die Litauer den 600. Jahrestag ihrer Taufe begingen. Damals durfte kein kirchlicher Besuch aus dem Ausland anwesend sein, für die Katholiken gab es noch zahlreiche Schikanen und Diskriminierungen, obwohl die römisch-katholische Kirche seit langem in der Sowjetunion die zweitgrößte Kirche darstellt.
Im Rahmen des Millenniums der Kiewer Rus' ist darauf hingewiesen worden, daß das Christentum schon lange vor dem Jahre 988 bei den Ostslawen Fuß gefaßt hatte, vor allem von Bulgarien aus. Die Nestorchronik läßt den Apostel Andreas von Sinope aus über die Dnjepr-Mündung flußaufwärts reisen und ein Kreuz an der Stelle des späteren Kiew errichten. Nach römischer Tradition war der hl. Papst Klemens, der dritte Nachfolger des hl. Petrus, auf die Krim verbannt und erlitt dort den Martertod. Die Slawenapostel Cyrill und Method bringen später seine Gebeine nach Rom, wo sie in der Basilika S. Clemente noch heute verehrt werden. So ist auch das lateinische Christentum seit frühester Zeit mit den Gebieten des späteren Rußland verbunden.
Heute gibt es in der Sowjetunion mehrere Millionen römisch-katholische Gläubige. In elf der 15 sowjetischen Unionsrepubliken ist die katholische Kirche mit registrierten Gemeinden vertreten. Aber auch dort, wo es keine offiziellen Gemeinden gibt (in Armenien, Aserbaidschan, Uzbekistan und Turkmenistan), leben zahlreiche Katholiken. Ihre Geschichte und ihr Leidensweg sollen auf den folgenden Seiten ebenso vorgestellt werden wie die Erleichterungen, die in den letzten Jahren dank Glasnost und Perestrojka zu verzeichnen sind.
Ein Schwerpunkt wird dabei auf die katholischen Rußlanddeutschen gelegt, von denen Zehntausende bereits zu uns ausgereist sind. Mit dieser Veröffentlichung wollen wir — wie auch mit unseren anderen Publikationen — Solidarität wecken mit Glaubensbrüdern, für die das Interesse der Weltöffentlichkeit nicht allzu groß ist, die aber unser Gebet und unsere Hilfe brauchen.
Nachdem bereits in Heft 1 der »Beiträge zur Religions- und Glaubensfreiheit« die Lage der griechisch-katholischen Kirche in der Ukraine dargestellt wurde, soll dies nun auch für die katholische Kirche des lateinischen Ritus geschehen. Sie ist eine Kirche der Nicht-Russen gewesen, die seit den Teilungen Polens und durch die Ansiedlung von Kolonisten bereits im russischen Zarenreich gewaltig zunahm. Im Rußland vor der Oktoberrevolution gab es blühende Diözesen, Seminare und kirchliche Schulen. In den 1918 selbständigen Staaten des Baltikums konnte die katholische Kirche ihre Hierarchie ausbauen und neue Diözesen gründen, bis diese 1940 wieder unter die Herrschaft Moskaus fielen.
Im folgenden soll in einer historischen Bestandsaufnahme zunächst die Lage vor 1917 dargestellt und die Zerstörung der Kirche in der Sowjetunion nach der Oktoberrevolution geschildert werden. Dann wird auf die Lage in einzelnen Gebieten bzw. Republiken der Sowjetunion eingegangen. Die katholische Kirche der Sowjetunion ist leider zu Unrecht im Westen zu wenig bekannt. Vor allem ihr ungebrochenes Eintreten für Religionsfreiheit und Menschenrechte hat ihr Ansehen gehoben. Sie hat sich nie mit dem Staat so unselig liiert wie die russisch-orthodoxe Kirche, die sich von Moskau immer wieder mißbrauchen ließ und bis heute den Unierten kein Lebensrecht zugesteht.
Natürlich ist es längst Vergangenheit, was Adam Olearius schrieb: »Der Haß der Russen gegen die lateinische Kirche ist ursprünglich und irgendwie eingeboren; ihre Vorfahren übernahmen ihn von den Griechen und gaben ihn als Erbe an ihre Nachkommen weiter.« Oder wenn der Jesuit Antonio Possevino zur Zeit Ivans des Schrecklichen feststellt: »Die Moskowiter hassen die Lateiner so sehr, daß sie zu jemandem, dem sie Böses wünschen, sagen: Man möge aus dir einen Lateiner machen!«
Jahrzehntelang ist der Vatikan als »Hauptstützpunkt der Reaktion der Welt«, der Papst als »ewiger Peind des russischen Volkes« verleumdet worden. Heute blicken viele Sowjetbürger auf die römisch-katholische Kirche voller Hoffnung.
Wenn Heft 2 der »Beiträge zur Religions- und Glaubensfreiheit« helfen kann, Interessierten das Schicksal unserer katholischen Glaubensbrüder und -schwestern in der UdSSR nahezubringen und Besuchern und Touristen eine Hilfe ist, katholische Gemeinden in der Sowjetunion bei Besuchen leichter aufzufinden und sie kennenzulernen, — dann hätte es seinen Zweck erreicht.
Die deutschsprachigen Sekretariate von Kirche in Not/Ostpriesterhilfe München, Luzern, Wien, am Fest der Slawenapostel Cyrill und Method, 14. Februar 1989
Bei der Schreibweise der geographischen Namen in der Sowjetunion habe ich versucht, alte gebräuchliche deutsche Namen beizubehalten. So wie sich Kapstadt, Rom, Athen, Neapel, Prag, Warschau und Moskau fest im Sprachgebrauch gehalten haben, sollten auch Namen wie Lemberg, Wilna, Memel, Reval, Dorpat oder Tiflis erhalten bleiben.
Niemand nimmt es einem Italiener oder Franzosen übel, München als Monaco und Köln als Cologne zu benennen. Ebenso wenig sollte es uns verwehrt sein, die alten Namen im Osten zu gebrauchen, zumal doch manche Ortsnamen in Geschichte und Literatur eingegangen sind. Ich nenne nur die Konvention von Tauroggen oder Werner Bergengruens »Tod von Reval«. Wenn wir z. B. auf die deutsche Benennung Lemberg verzichten, soll dann das russische Lvov, das ukrainische Lwiw oder das polnische Lwów gebraucht werden. Italiener sprachen unbekümmert von Leopoli, die Schweden von Levensberg — und meinen Lemberg.
Allerdings sind auch viele Namen für Mittel- und Großstädte des Ostens aus unserem Sprachbewußtsein verschwunden. Daß Kaunas im Polnischen und Russischen Kowno heißt, ist noch bekannter als der deutsche Name Kauen; auch die deutschen Namen Ponewesch, Telschen oder Wilkowischken für die litauischen Bischofssitze Panevezys, Telšiai und Vilkaviškis sind längst in Vergessenheit geraten.
Selbstverständlich wird bei der Angabe von Adressen die offizielle Bezeichnung der jeweiligen Republik gebraucht. Rudolf Grulich
Obgleich in der Sowjetunion heute viel von Glasnost und Perestrojka die Bede ist, sieht die Praxis der Religionsfreiheit für die katholische Kirche immer noch bescheiden aus. Noch im September 1988 erhielt ich in Moskau eine Broschüre »Katholische Kirche in der UdSSR« des APN-Verlages aus dem Jahre 1984, in der Igor Trojanovski in schönfärberischen Worten auf 64 Seiten die glückliche Lage der Katholiken darstellt. Da wird der Regierungserlaß Stalins »über die religiösen Vereinigungen« vom 8. April 1929 gelobt und behauptet, daß in der Sowjetunion »die Angehörigen aller Konfessionen wie auch die Atheisten die gleichen Rechte und Pflichten genießen und als freundschaftliche Familie zusammenleben«.
Der gleiche Trojanovski, der sich seit 1987 in »Moscow News« und anderen Zeitschriften als Autor der Perestrojka versteht und Glasnost propagiert, verherrlicht 1984 noch jedes Unrecht Moskaus und stellt die tatsächlich nicht existente Gewissensfreiheit als unabdingbares Recht eines jedes Sowjetbürgers dar. Ja, diese Gewissensfreiheit ist nicht nur stets beibehalten, sondern weiterentwickelt und vertieft worden!
Da ist von »durchaus normalen Beziehungen« zwischen der römisch-katholischen Kirche und der Sowjetunion die Rede, von der zuverlässigen Garantie der Rechte der Katholiken, die volle Gewissens- und Konfessionsfreiheit genießen. Damals saßen aber Priester wie Alfonsas Svarinskas und Sigitas Tamkevicius im Gefängnis, zahlreiche Laien waren im Lager und in der Verbannung, weil sie Religionsfreiheit verlangt hatten. Trojanovski schrieb vom erfolgreichen Lehrbetrieb an den Katholischen Seminaren in Riga und Kaunas, obgleich er doch wissen mußte, daß der KGB entschied, wer zum Studium an den Seminaren zugelassen wurde.
Der Autor blieb aber nicht nur beim Beschönigen, er verleumdete auch: Er läßt katholische Geistliche mit den Hitlerfaschisten zusammenarbeiten und behauptet, daß Bischof Vincentas Borisevicius in den letzten Monaten des Krieges faschistische Fallschirmjäger unterstützt habe und später bewaffnete Banden bürgerlicher Nationalisten. Nicht erwähnt wird aber, daß der Bischof 1946 verhaftet und nach grausamen Folterungen Anfang November 1946 erschossen wurde. Trojanovski macht dem Leser Potemkinsche Dörfer vor, wenn er vom Druck religiöser Bücher schreibt. Für die angebliche positive Lage der Katholiken zitiert Trojanovski auch ausländische Besucher: Mitglieder der (Ost)Berliner Katholikenkonferenz oder Vertreter der Ostberliner CDU.
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Trojanovskis Broschüre ist in verschiedenen Sprachen in aller Welt verbreitet worden. Ähnliche Broschüren liegen auch für andere Kirchen vor und werden immer noch verteilt. Unter dem Titel »Mein Glaube ist frei« mußten sogar Kirchenführer verschiedener Glaubensbekenntnisse ihr Lob auf die »Religionsfreiheit« in der UdSSR singen.
Und doch - die Glasnost-Epoche unter Gorbatschow hat seit 1987 auch andere Stimmen erklingen lassen. Trojanovski hat selbst die Wegnahme der Kirche »Maria — Königin des Friedens« in Memel durch die sowjetischen Behörden in einem Artikel von »Moscow News« als Unrecht bezeichnet. Er zitierte den Sekretär des Zentralkomitees, Longinas Sepetis, wonach »die staatlichen Druk-kereien nur mit Verspätung Aufträge für den Druck religiöser Literatur realisieren. Der katholische Kalender erscheint nicht termingerecht. In den Schulen führen manche Lehrer atheistische Propaganda in unzulässiger Weise durch, indem sie es zu Grobheiten und zur Beleidigung religiöser Gefühle gläubiger Menschen kommen lassen«.
Wie sehr vor Gorbatschows »Glasnost« die Wahrheit verfälscht wurde, ist vor allem im Baltikum immer wieder offen ausgesprochen worden. In aller Offenheit sprach der Historiker Lindas Truska am 23. August 1988 anläßlich des 49. Jahrestages des Molotow-Ribbentrop-Paktes davon, daß die Politik des Stalinismus hinsichtlich kleiner Völker der des Faschismus ähnlich sei: Der Molotow-Ribbentrop-Pakt und seine unmittelbare Folge — die Liquidierung des souveränen litauischen Staates — brachten dem litauischen Volk schweres Unheil: Gewalttätigkeit und Folterungen, Massendeportationen und -morde, Zerstörung der Wirtschaft und Kultur.
Wir müssen uns dessen bewußt sein, daß alle Einwohner Litauens, ob Litauer oder Juden, ob Polen oder Russen, die deportiert oder in den Gefängnissen gefoltert wurden oder in den Nachkriegsjahren ums Leben gekommen sind, Opfer des Molotow-Ribbentrop-Paktes sind.« Und Truska fuhr fort: »Es ist die Zeit der Reue gekommen, die die Menschen, die Gesellschaft und das Volk läutert. Die Historiker haben am meisten zu büßen. Ich, als Historiker, schäme mich dafür, daß wir jahrelang nicht die ganze Wahrheit, die halbe Wahrheit oder gar weniger als die halbe Wahrheit - und das ist die reinste Lüge — sagten.
Die Gesellschaft muß ihrerseits einen Druck auf die Historiker ausüben und verlangen, daß sie die ganze Wahrheit und nur die Wahrheit zu allen Fragen schreiben.« Das waren Worte, für die 1983 noch Männer wie Alfonsas Svarinskas oder Si-gitas Tamkevicius zu hohen Haftstrafen verurteilt wurden. Antanas Terleckas konnte als langjähriger Gefangener im Oktober 1988 bei der Gründungsversammlung der Litauischen Umgestaltungsbewegung »Sajudis« unter Beifall erklären: »Es ist eine Freude, sein Volk zu sehen, wie es sich befreit. Ähnlich wie die Kreuzritter die Altpreußen, so hat unser östlicher Nachbar im Jahre 1939 oder sogar früher das litauische Volk unterworfen und seine Kinder zu Totengräbern ihres Volkes erzogen. Daß ich heute von dieser Tribüne aus sprechen kann, danke ich der Mutter Litauen, die die freiheitsliebenden Kinder großgezogen hat. Wie sehr hat man unsere Freiheit gehaßt!
Damit wir dieses Wort vergessen, mußte man zuerst die Intelligenz und die Geistlichkeit vernichten. Heute schmerzt uns tief der geistige Verfall der Nation. Wieviele kluge Lehrer und würdige Geistliche wären aus Gymnasiasten geworden, die im Hain von Rainiai zu Tode gemartert wurden! Zum Trotz der Henker blieb die Nation doch am Leben. Wie viele vor Freude leuchtende Augen sehe ich in diesem Saal.«
Am deutlichsten sprach vielleicht bei der Gründungsversammlung von »Saju-dis« Danute Subac als Vertreterin der Unterstützungsgruppe für cße Litauische Umgestaltungsbewegung (LUB) aus Workuta, wo heute über 6000 Litauer leben: »Es klingt wohl etwas seltsam: »Die LUB-Unterstützungsgruppe aus Workuta. Tausende Kilometer liegen ja zwischen unserer Gruppe und Litauen. Aber Tatsache bleibt Tatsache: es entstand eine Gruppe litauischer Enthusiasten, die das Schicksal Litauens und in Sibirien wohnhafter Litauer nicht gleichgültig läßt. Das tragische Schicksal eines jeden Deportierten ist eine Heldentat, die heutzutage noch keine Anerkennung gefunden hat. Sie wollen weder Medaillen noch Orden.
Sie brauchen ihre Herzenswärme und Litauen. Gewähren Sie ihnen Unterkunft, ermöglichen Sie es ihnen, den Lebensabend im Heimatland zu verbringen, das in ihren Hoffnungen und Träumen lange Jahre lebendig blieb. Schonungslos nannte Frau Subac die Realität beim Namen: >Die stalinistischen Henker leben bis jetzt in Litauen und verfügen über Privilegien und erst jetzt wird die Frage der Rückkehr ihrer Opfer in die Heimat in Angriff genommen.
Wenn wir heute die Frage der Staatsbürgerschaft Litauens stellen, so müssen wir erreichen, daß alle Litauer, unabhängig davon, wo sie leben — in Amerika, Australien, Kaliningrad oder Sibirien — diese Bürgerschaft erhalten. Sie sollen auch alle Verfassungsrechte der Bürger Litauens haben. Wir müssen verhindern, daß wegen Verfehlungen der Eltern und Verwandten noch eine Generation von Litauern in Sibirien leben soll.«
Anschließend stellte sie zwei Forderungen:
»1. Beim Rat des Seimas (des litauischen Parlaments! eine Kommission zu gründen für die Unterhaltung der Beziehungen zu Litauern in der RSFSR. Ihre Hauptfunktion wäre, unseren Landsleuten die Rückkehr zu ermöglichen. 2. Die Sajudis-Gruppe von Workuta zu unterstützen und sie über alles zu informieren. Unsere Aufgaben, Arbeiten und Pflichten sind: den Unglücklichen zu helfen und sie zu trösten, sie in ihrer Hoffnung zu unterstützen, ihre Gräber zu pflegen, die Greueltaten des Stalinismus aufzudecken, ihre Verwandten aufzusuchen, russifizierten Litauern den Unterricht in der Muttersprache zu ermöglichen und sie über litauische Kultur aufzuklären.« Bliebt man auf die auch in deutscher Sprache in Wilna gedruckte Dokumentation der Gründungsversammlung von »Sajudis«, so erstaunt die Offenheit, aber auch der Realismus und das Verständnis für andere Nationen und die nationalen Minderheiten in Litauen. Das drückt auch eine »Erklärung guten Willens« aus, in der es heißt:
»Wir, Teilnehmer der Litauischen Umgestaltungsbewegung, in bewußter Verantwortlichkeit, vor die uns die sozialpolitische Erneuerung, die nationale und ethische Wiedergeburt der Gesellschaft stellt, treten:
für die Einheit, gegen die Spaltung für die Zuversicht, gegen das Mißtrauen für den Aufbau, gegen die Zerstörung für die Förderung, gegen die Unterdrückung in allen Lebensbereichen ein. Wir sind fest entschlossen: den Frieden der Zwietracht entgegenzustellen, die Lüge mit Wahrheit zu bekämpfen.«
Dieser Wahrheit sollen die folgenden Seiten dienen.
Königstein, am 150. Jahrestag der unseligen Synode von Polotzk,
dem 12. Februar 1989
Rudolf Grulich
Wenn wir von der Legende absehen, der Apostel Andreas habe bereits das erste Kreuz an der Stelle des späteren Kiew errichtet, so ist es Papst Klemens I., der dritte Nachfolger des hl. Petrus, der durch seine Verbannung auf die heutige Krim ein frühes römisches Zeugnis in den Gebieten des späteren Rußland gibt. Von ihm stammt auch der sogenannte Klemens-Brief, eine der ältesten christlichen Schriften außerhalb des Neuen Testamentes. Klemens arbeitete als Deportierter in den Steinbrüchen des Chersones und wurde mit einem Anker um den Hals ins Schwarze Meer versenkt. Daher gilt er als Patron der Steinmetzen und wird als Papst mit dem Anker dargestellt. Ausgrabungen im Taurischen Chersones, Inschriften und Ruinen bezeugen christliches Leben und Bischofssitze der ersten nachchristlichen Jahrhunderte am Nordufer des Schwarzen Meeres. Dort begegnen uns später nach der Jahrtausendwende auch lateinische Bischofssitze und Klöster der Franziskaner und Dominikaner, unter dem Chanat der Goldenen Horde auch Niederlassungen der Jesuiten.
In Kiew erbat sich bereits die hl. Olga von Kaiser Otto I. einen lateinischen Erz-bischof, Adalbert von Trier, der sich aber in Kiew nicht halten konnte. In Nowgorod besitzen die deutschen Kaufleute schon früh Kirchen in Gotenhof und in Petershof, die erst Ivan der Schreckliche nach der Eroberung Nowgorods schließen läßt. Die Expansion des Großfürstentums Litauen, das sich mit dem Königreich Polen unter einem Herrscher vereinigt, bringt weite Teile des Reiches der Kiewer Rus' unter polnisch-litauische Herrschaft, wo sich die lateinische Kirche auch im Osten verbreitet.
Im eigentlichen Rußland gab es zwar seit dem 16. Jahrhundert bereits evangelische Kirchen in Moskau, aber erst unter Peter dem Großen wurde es 1705 den Katholiken erlaubt, Kirchen zu bauen. Allerdings war die erste katholische Kirche in Moskau bereits vorher entstanden. Damals wirkten Jesuiten der böhmischen Ordensprovinz in Rußland, auf die auch die erste Weihnachtskrippe in Moskau zurückgeht. Die erste katholische Steinkirche Moskaus wurde nach dem Vorbild der Prager Kreuzherrenkirche erbaut. Aber schon unter
Ivan dem Schrecklichen hatte der Jesuit Antonio Possevino im Auftrag Gregor XIII. versucht, den Zaren und sein Land für die katholische Kirche zu gewinnen. Doch erst als bei der ersten polnischen Teilung im Jahre 1772 Latgalien und Weißrußland zu Rußland kamen, wuchs die Zahl der Katholiken von etwa 10000 auf einige Hunderttausend und vergrößerte sich noch durch die Absiedlung von Kolonisten an der Wolga. Franziskaner und Kapuziner hatten im 18. Jahrhundert Niederlassungen in St. Petersburg, Moskau, Astrachan, Riga und Jamburg, die der römischen Kongregation für die Glaubensverbreitung bzw. dem Nuntius in Warschau unterstanden.
Nach der ersten polnischen Teilung ernannte Zarin Katharina die Große einen Bischof für Weißrußland, den sie 1782 zum Erzbischof von Mohilev machte. Nach der zweiten und dritten Teilung Polens kamen sechs lateinische Diözesen an Rußland: Livland, Samogitien, Wilna, Lutzk und Kamenetz. Die Kaiserin bestimmte damals die Grenzen der Diözese Livland neu und hob die anderen Diözesen ohne Zustimmung des Papstes auf. Stattdessen gründete sie zwei neue Diözesen. Ihr Sohn und Nachfolger Paul I. machte jedoch diesen Beschluß rückgängig und genehmigte im Russischen Reich sechs lateinische Diözesen: Das Erzbistum Mohilev und die Bistümer Wilna, Samogitien, Minsk, Lutzk und Kamenetz. Mohilev war damit die größte Diözese der Welt, da sie bis Alaska reichte.
Unter dem Zaren konnte der seit 1773 vom Papst aufgehobene Jesuitenorden in Rußland weiterbestehen, was Papst Pius VII, 1801 auch genehmigte, ehe er den Orden 1815 wieder für die ganze Kirche zuließ. Für die Katholiken des Königreiches Polen gab es nach dem Wiener Kongreß eine eigene Kirchenprovinz Warschau. Zar Nikolaus I. (1825—1855) ging von Beginn seiner Regierungszeit an nicht nur unversöhnlich gegen die Unierten vor, sondern schloß auch seit 1832 zahlreiche katholische Kirchen. 1839 verleibte er die unierte Kirche auf russischem Boden ganz in die orthodoxe Kirche ein und »legalisierte« dies durch eine Synode in Polotzk.
Trotzdem kam der Zar im Dezember 1845 nach Rom und besuchte zweimal den Papst. Nach dessen Tode 1846 gab es weitere Verhandlungen unter Pius IX. und es kam am 3. August 1847 zum Abschluß eines Konkordates. In diesem sicherte der Zar die Beibehaltung der Kirchenprovinz Mohilev mit den Bistümern Wilna, Samogitien, Minsk, Lutzk und Kamenetz zu sowie die Neugründung eines Bistums Cherson bzw. Tiraspol. Für die Seelsorge an den ka-tholischen Armenien wurde eine besondere Vereinbarung getroffen, außerdem der Weiterbestand der Kirchenprovinz Warschau mit ihren acht Diözesen garantiert.
Dennoch gab es weitere antikatholische Maßnahmen von seiten des Zaren, vor allem in Litauen und Polen. Nach dem polnischen Aufstand von 1863 kam es sogar zum Abbruch der Beziehungen zwischen St. Petersburg und Rom. 1882 wurde ein neues Konkordat vereinbart, doch erst nach der Revolution von 1905 entspannte sich die Lage.
Eine Statistik der Kirchenprovinz Mohilev nach dem »Klemens«, der deutschen Kirchenzeitung Tiraspols, von 1902 ergibt folgendes Bild:
Pfarrkirchen | Filialkirchen | Kapellen | Priester | Seelen | |
Mohilev | 234 | 36 | 267 | 350 | 930 519 |
Wilna | 245 | 38 | 162 | 373 | 1 356 910 |
Samogitien | 225 | 150 | 272 | 645 | 1 254 884 |
Lutzk-Shitomir | 247 | - | - | 302 | 724 466 |
Tiraspol1 | 87 | 34 | 16 | 131 | 297 612 |
In allem: | 1058 | 258 | 717 | 1801 | 4 564 391 |
1 Als Beispiel aufgeschlüsselt nach einzelnen Dekanaten von S. 134—138.
Wenn man die Ruhestandsgeistlichen abrechnete, so kamen im alten Rußland auf einen Priester in der Diözese Mohilev 2820 Seelen, in Wilna 3944, in Sa-mogitien 1973, in Lutzk-Shitomir 2515, in Tiraspol 2400. Im Bistum Tiraspol gab es außerdem noch 46 armenisch-katholische Pfarreien mit 39 Kirchen. 38 Priestern und 30 871 Seelen. Dazu kam eine Pfarrei mit Chaldäer-Katholiken von 319 Seelen. Diese Pfarrei war Sjagut, im Gouvernement Eriwan.
Sitz des Erzbistums Mohilev war die kaiserliche Hauptstadt St. Petersburg, das auch eine Kaiserliche römische katholische Geistliche Akademie und das Priesterseminar beherbergte. Ein weiteres Priesterseminar gab es in Saratow an der Wolga für die Rußlanddeutschen der Diözese Tiraspol.
Am Vorabend des Ersten Weltkrieges studierten an der Geistlichen Akademie 68 Studenten aus zwölf Diözesen, das Priesterseminar zählte mit dem Vorbereitungskurs 160 Studenten. Daneben hatte die katholische Kirche in der Hauptstadt zwei Gymnasien und eine Distriktschule.
Am Priesterseminar wurden neben den alten Sprachen auch Russisch, Deutsch, Französisch und Latgalisch gelehrt.
Bereits 1850 betrug die Zahl der Katholiken in St. Petersburg 28 000, darunter meist Polen und Deutsche. In der ganzen Stadt gab es 13 katholische Kirchen und Kapellen.
Kathedralkirche war die Katharinenkirche auf dem Newski - Prospekt. .Außerhalb der Hauptstadt gab es katholische Kirchen in Kronstadt, Jamburg. Zarskoje Selo und Oranienbaum. Die Zahl der deutschen Katholiken in St. Petersburg betrug 1914 über 5000, die der deutschen Protestanten fast 50000.
Die Erzdiözeise Mohilev zählte 1914 insgesamt 23 Dekanate. Einige Beispiele über den Bestand:
Dekanat Mohilev:
5 Pfarreien, 5 Kirchen und Kapellen. 11620 Gläubige.
Dekanat Rogačevo-Bychow:
3 Pfarreien mit Pfarrkirchen und 7 Kapellen.
Dekanat Gomel:
4 Pfarreien und 1 Filiale, 24 Dörfer mit Kapellen. Dekanat Lepel:
7 Pfarreien mit Pfarrkirchen und 25 Kapellen. 20 000 Gläubige.
1 Dekanat Dünaburg:
12 Pfarreien und 2 Filialen, 10 Dörfer mit Kapellen. 94 000 Gläubige. 2. Dekanat Dünaburg:
8 Pfarreien mit 10 Kapellen und Filialen. 48 000 Gläubige. Dekanat Riga:
3 Pfarreien in der Stadt Riga, weitere in Reval, Dorpat, Walk u. a. 41600 Gläubige.
Dekanat Moskau:
2 Pfarreien in der Stadt und 1 Filiale, dazu außerhalb Moskaus die Pfarreien Nishnij Nowgorod (heute Gorkij, Rjasan und Tuer. 33 000 Gläubige,
davon 27 700 in Moskau.
Dekanatssitze waren auch Irkutsk, Tomsk und Omsk. Außerdem gab es städtische Gemeinden in Archangelsk, Vladimir, Kasan, Kaluga, Tula, Ufa, Charkow und anderen Orten, im asiatischen Teil Rußlands hinter dem Ural in Niko-lajevsk am Amur, Charbin, Taschkent und Harbin.
Es konnten bis zum Ersten Weltkrieg zahlreiche Kirchen neu errichtet werden z. B. in Lepel 1857, Minsk (Maria Himmelfahrt) 1861, Omsk 1867, Irkutsk 1884, Rositten 1893, Riga St. Albert 1903, Tobolsk 1907, Minsk St. Helena 1910. In vielen Orten gab es noch Barockkirchen des 17. und 18. Jahrhunderts, die aus polnischer Zeit stammten.
Beim Kampf gegen die katholische Kirche in Rußland, das sich nach dem Willen Lenins am 30. Dezember 1922 in die Sowjetunion umwandelte, können wir drei Etappen unterscheiden. In der ersten wurden die alten Diözesen liquidiert und die Bischöfe vertrieben; in der zweiten gelang es Stalin, die von Bischof Michel d'Herbigny geheim geweihte Hierarchie zu zerschlagen. Der dritte Abschnitt setzte seit 1939 bzw. 1940 ein, als mit Ostpolen und dem Baltikum ganze katholische Gebiete und Diözesen erstmals unter sowjetische Herrschaft gerieten und dies 1944/45 ein zweites Mal erfolgte. Als erster katholischer Bischof wurde schon 1919 der Erzbischof von Mohilev, Eduard von Ropp, verhaftet und nach mehrmonatiger Haft ausgewiesen. Sein Nachfolger Johann Cieplak wurde 1922 verhaftet und im März 1923 zum Tode verurteilt. Er war angeklagt, er habe versucht, »eine konterrevolutionäre Organisation mit dem Ziel einer Revolte gegen die Gesetze und Verordnungen der Sowjetregierung« zu gründen. Einzige »Vergehen« waren, daß er und die mit ihm Angeklagten Religionsunterricht erteilt hatten, der nach einem Dekret vom 21. Januar 1921 für Personen unter 18 Jahren verboten war, und daß sie sich geweigert hatten, die kirchlichen Wertgegenstände (Kelche u. a.) abzuliefern. Cieplak wurde später gegen einen polnischen Kommunisten ausgetauscht und nach Polen ausgewiesen, sein Generalvikar Konstantin Budkie-wicz wurde aber am Karfreitag des Jahres 1923 hingerichtet. Einen Tag nach der Hinrichtung, am 31. März 1923, schrieb die Pravda: »Warum eröffnet man keinen Prozeß gegen den Papst von Rom? Der Prozeß Cieplak hat bewiesen, daß die verantwortlichere Person in dem von gegenrevolutionären Priestern organisierten Widerstand gegen die Beschlagnahme des Kirchenbesitzes der Papst von Rom ist. Er sollte von einem Revolutionsgerichtshof abgeurteilt werden. Der Prozeß und das jüngst verkündete Urteil… haben bewiesen…, daß der katholische Klerus ein unbändiger Feind der Armen und der Regierung der Bauern und Arbeiter ist.«
Um eine Seelsorge unter den veränderten Bedingungen des neuen Regimes zu gewährleisten, teilte Rom die Sowjetunion in neun kirchliche Sprengel auf. für die folgende Zahlen angegeben werden können.
1. Erzdiözese Mohilev
mit 74 Priestern, 115 Kirchen, 250 000 Gläubigen
2. Diözese Kamenetz
mit 48 Priestern, 100 Kirchen, 300 000 Gläubigen
3. Diözese Minsk
mit 14 Priestern, 46 Kirchen, 150 000 Gläubigen
4. Diözese Shitomir
mit 66 Priestern, 107 Kirchen, 350 000 Gläubigen
5. Diözese Tiraspol
mit 100 Priestern, 90 Kirchen, 300 000 Gläubigen
6. Diözese Wladiwostok (vom 2. Februar 1923) mit 6 Priestern, 6 Kirchen, 20 000 Gläubigen
7. Apostol. Vikariat Kaukasus-Krim
mit 30 Priestern, 30 Kirchen, 70 000 Gläubigen
8. Apostol. Vikariat Sibirien (1. Dezember 1921) mit 12 Priestern, 35 Kirchen, 75 000 Gläubigen
9. Apostol. Administratur für die Gläubigen des armenischen Ritus mit 47 Priestern, 45 Kirchen, 15 Kapellen, 66 618 Gläubigen.
Daneben zählte man etwa zehn Priester (Ukrainer und Russen) des slawischbyzantinischen Ritus für einige tausend Gläubige dieses Ritus, an deren Spitze seit 1921 Exarch Feodorov stand.
Bis 1925 wurden aber alle Bischöfe vertrieben oder ausgewiesen. Monsignore Slivovski von Wladiwostok floh nach China. Deshalb versuchte der Vatikan durch den Präsidenten der päpstlichen Kommission für Rußland, den Jesuiten Michel d'Herbigny, 1926 eine Reorganisation der kirchlichen Verwaltung. Anstelle der alten Diözesen Mohilev und Tiraspol sollten neun neue Bezirke geschaffen werden: Moskau, Leningrad, Mohilev-Minsk, Charkov, Kasan-Sama-ra-Simbirsk, Odessa, Saratov, das Kaukasusgebiet und Georgien. Vier der dafür vorgesehenen Administratoren erhielten die Bischofsweihe im geheimen durch d'Herbigny, der vom Nuntius in Berlin, Eugenio Pacelli, dem späteren Papst Pius XII., die Bischofsweihe erhalten hatte und dreimal in der Sowjetunion war. Der für Moskau geweihte Alexander Neveu war ein Franzose, der Jahrzehnte bei den Donkosaken als Seelsorger gewirkt hatte, Bischof Boleslas Sloskans für Mohilev-Minsk war Lette, sprach aber gut weißrussisch. Bischof Anton Malecki (für Leningrad) war Pole und Alexander Frison von Odessa entstammte einer rußlanddeutschen Familie.
Die sowjetischen Behörden verhafteten aber bald drei dieser Bischöfe, von denen Malecki und Sloskans nach mehljähriger Haft gegen in Polen und Lettland inhaftierte kommunistische Spione in ihre Heimatländer ausgetauscht wurden. Bischof Neveu lebte bis 1936 in Moskau, bis er krankheitshalber nach Frankreich ging, von wo aus man ihm die Rückkehr nach Moskau verwehrte. Bischof Frison wurde nach langer Haft 1937 hingerichtet. Seitdem ist die katholische Kirche Rußlands ohne Hierarchie und begann der Kampf der sowjetischen Behörden gegen die Seelsorger in den Pfarreien. Bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges gab es viele Prozesse gegen Priester »als Spione und Geheimagenten ausländischer Mächte«.
Es war die Zeit der Untergrund-Diaspora vor allem in den Zwangsarbeitslagern, von der Walter Kolarz feststellt:
»In Sibirien und der europäischen Arktis, besonders im Workutagebiet, improvisierten gefangene Priester Gottesdienste, hörten Beichte, tauften sogar eine Anzahl von Menschen und nahmen nichtkatholische Christen in die Kirche von Rom auf. Das Meßopfer wurde an den unmöglichsten Stätten gefeiert, in Bergwerksstollen, in der Ecke einer Gefangenenbaracke, und sogar in Büros, die mit Gefangenen besetzt waren. Wer nicht selbst an den Gottesdiensten teilnehmen konnte, empfing die heilige Kommunion von den Mitgefangenen. Kelche und Altartücher waren äußerst primitiv, der Meßwein wurde aus getrockneten Weintrauben hergestellt, wenn er nicht ins Lager geschmuggelt werden konnte, und die Hostien wurden aus Weizenmehl gebacken. Die Amnestien nach dem Tode Stalins, die den meisten gefangenen Katholiken die Freiheit brachten, beendeten dieses heroische Kapitel in der Geschichte der katholischen Kirche.«
Als Beispiel, wie sehr die katholische Kirche in der Sowjetunion äußerlich zugrunde gerichtet wurde, erwähnen wir Leningrad.
Im alten St. Petersburg, das nach Lenins Tod in Leningrad umbenannt wurde, hatte es einen Erzbischof, ein Domkapitel, eine Geistliche Akademie, ein Priesterseminar und 13 katholische Kirchen gegeben. Völlig verschwunden sind außer Erzbischof, Domkapitel, Akademie und Seminar die Kirche des hl. Kasimir und die Bonifatiuskirche. Die Katharinenkirche auf dem Nevski-Prospekt, die 1783 eingeweiht wurde, ist seit 1922 geschlossen. Im Inneren befindet sich heute ein Fahrradlager. Die liturgischen Geräte und die Meßgewänder erhielt das Leningrader Schauspielhaus.
Die Kirche Maria Himmelfahrt (Krasnoarmejskaja-Straße) ist heute ein Studentenheim, im ehemaligen Priesterseminar ein Institut der Metallarbeiter. Die St.-Stanislaus-Kirche (Pečatnikov-Straße 22) dient als Pelzlager. Von der St.-Marien-Kirche in der Arsenal'naja Nr. 8 ist heute nur noch eine bewachsene Wildnis zu sehen, da die Kirche 1925 ausbrannte und das Pfarrhaus und der Friedhof als Steinbruch benutzt wurden. Die Herz-Jesu-Kirche (Batjuškina Nr. 1) ist heute ein Wohnhaus.
Übrig blieb nur die sogenannte »französische« Kirche Notre Dame de France (Kovenskij Pereulok 7), in der Polen, Litauer, Letten u.a. von Pfarrer Josef Povilonis seit 1965 betreut werden. Die Kirche stammt aus dem Jahre 1880. Neben den 13 Kirchen (davon acht Pfarrkirchen) gab es bis 1917 neun weitere katholische Kapellen und zwei katholische Schulen, die ebenfalls verstaatlicht wurden.
Die Weitöffentlichkeit blickt mit viel Wohlwollen auf den Generalsekretär der KPdSU, Michail Gorbatschow. Er verspricht Demokratisierung, beschwört »Glasnost«, d.h. mehr Transparenz und Öffentlichkeit im innerpolitischen Leben der Sowjetunion, er will die »Perestrojka«, den Umbau der Gesellschaft. Wie aber steht es mit der katholischen Kirche? Sie unterliegt bis heute wie alle Konfessionen den Religionsgesetzen aus der Zeit Stalins, die auch Gorbatschow bisher nicht änderte:
Artikel 124 der Verfassung der UdSSR besagt: »Zum Zwecke der Gewährleistung der Gewissensfreiheit für die Bürger sind in der UdSSR die Kirche vom Staat und die Schule von der Kirche getrennt. Die Freiheit der Ausübung religiöser Kulthandlungen und die Freiheit antireligiöser Propaganda werden allen Bürgern zuerkannt.« Hier liegt bereits Einseitigkeit und Diskriminierung vor: Beschränkung auf Kulthandlungen für die Gläubigen, aber Möglichkeit der Propaganda für Atheisten. Die erste sowjetische Verfassung von 1918 hatte auch den Gläubigen noch die Möglichkeit von »religiöser Propaganda« gewährt. Aber die Verordnung über die religiösen Vereinigungen vom 8. April 1929 schränkte die Tätigkeit der Kirchen ein und unterstellte sie total der Kontrolle des Staates. Das tut noch mehr die Satzung des Sowjets für Religiöse Angelegenheiten beim Ministerrat der UdSSR. Der Bevollmächtigte des Sowjets für Religiöse Angelegenheiten beim Ministerrat der UdSSR hat das Recht:
»a) die Tätigkeit der lokalen religiösen Organisationen … zu kontrollieren,
b) den lokalen sowjetischen Amtsstellen… Unterlagen betreffend die Religion entgegenzunehmen,
c) den republikanischen und örtlichen sowjetischen Amtsstellen … Erläuterungen zur Anwendung der Kultgesetzgebung zu geben,
d) vor den zuständigen republikanischen und lokalen Amtsstellen die Frage betreffend der Eröffnung von Verfahren disziplinarischer, administrativer und strafrechtlicher Art gegen Personen, die die Kulturgesetzgebung verletzt haben, aufzuwerfen.«
Nach einer Instruktion über die Anwendung der Kultgesetzgebung dürfen die Glaub igen als religiöse Vereinigung nur:
»a) religiöse Riten verrichten, Gebets- und andere Versammlungen abhalten,
die mit der Kultverrichtung verbunden sind; b) Kultdiener oder andere Personen, die für die Kultbedürfnisse sorgen, in den Dienst stellen oder wählen;
c) ein Gebetsgebäude oder anderes Kultvermögen benutzen;
d) freiwillige Opfergaben der Gläubigen in den Gebetsraumen für Zwecke sammeln, die mit dem Unterhalt der Kultdiener, des Kultgebäudes oder des anderen Kultvermögens sowie der Exekutivorgane der religiösen Vereinigungen verbunden sind.«
Religionsunterricht für Jugendliche unter 18 Jahren ist verboten. In der Praxis der »Perestrojka« hat sich aber in manchen Republiken, vor allem in Litauen und Lettland, seit 1988 die Lage spürbar gebessert. Es ist zu hoffen, daß noch mehr Positives geschieht, wenn die Religionsgesetzgebung in die Kompetenz der Unionsrepubliken gegeben wird.
Während der Vatikan bereits 1972 (ohne einen Friedensvertrag abzuwarten) die Frage der Diözesen in den deutschen Ostgebieten regelte, ist dies im Falle der ehemaligen polnischen Ostgebiete nicht geschehen - obwohl es einen Friedensvertrag zwischen der Sowjetunion und Polen gibt. Im Päpstlichen Jahrbuch (Annuario Pontificio) werden für das Gebiet der Sowjetunion folgende Diözesen aufgeführt:
Unter Europa heißt es in dem Abschnitt über die geographische Verteilung der Jurisdiktionen: Russia (Rußland); Metropolitansitz: Mohilev; Suffraganbistü-mer: Kamenetz, Minsk, Tiraspol, Shitomir.
Für Mohilev wird bei der Aufzählung aller Erzdiözesen und Diözesen auch der weißrussische Name Mahilau angegeben und werden ohne weitere Angaben eigene Apostolische Administratoren für Kohilev, Moskau, Leningrad, Charkov und Kazan-Samara-Simbirsk genannt. Bei Tiraspol steht im Teil: Erzdiözesen und Diözesen:
Apostol. Administrator von Odessa für den südlichen Teil der Diözese… Apostol. Administrator des Wolgagebietes… Apostol. Administrator des Kaukasus… Apostol. Administrator von Tiflis und Georgien…
Apostol. Administrator für die katholischen Armenier von ganz Rußland…
Unter Asien ist Sibirien (!) als Ländereinheit vermerkt mit einem nicht besetzten Bistum Wladiwostok und einem Apostolischen Vikariat Sibirien.
Alle erst nach dem Zweiten Weltkrieg sowjetisch gewordenen Gebiete werden noch unter den ursprünglichen Ländern geführt:
Estland: Apostol. Administratur Estland Lettland. Metropolitansitz Riga
Suffraganbistum Libau Litauen: Metropolitansitz Kaunas
Suffraganbistümer Kaišiadorys, Panevezys, Telšiai, Vilkaviškis, Prälatur Memel.
Für Wilna wird auf das Stichwort Wilna im Teil »Erzdiözesen und Diözesen« verwiesen, wo zwei Apostolische Administratoren in Polen und Litauen genannt werden, aber keine Angaben über den Bestand der Erzdiözese. Unter »Polen« wird aber noch die Kirchenprovinz Wilna mit dem in der heutigen UdSSR gelegenen Suffraganbistum Pinsk vermerkt sowie Lemberg (mit Lutzk) als lateinisches, ukrainisches und armenisches Erzbistum. Die »Sowjetunion« taucht als Staat nur einmal unter »Europa« eigens auf, jedoch nur für das Gebiet »Ucraina Carpatica« (Karpatenukraine) mit dem Bistum Munkatsch (byzantinischer Ritus).
Im Verzeichnis der Bischofskonferenzen wird die Lettische und Litauische Bischofskonferenz genannt, die Mitglieder des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen C.C.E.E. (Concilium Conferentiarum Episcopalis Euro-pae) sind.
Nach Angaben des Ordinariates der Erzdiözese Riga gab es Ende 1987 auf dem Gebiet der UdSSR 909 katholische Priester des lateinischen Ritus, die 1066 römisch-katholische Pfarreien betreuten. Darunter sind einige griechisch-katholische (meist ukrainische) Priester, die außerhalb der Ukraine im lateinischen Ritus zelebrieren. 630 Pfarreien und 677 Prieser entfallen auf Litauen, 179 Pfarreien und 105 Priester auf die Republik Lettland, so daß wir heute von 257 Pfarreien in der Sowjetunion außerhalb Lettlands und Litauens ausgehen können. In 111 von ihnen sind 55 Priester aus Lettland seelsorgerlich tätig, in 131 weiteren wirken 72 sogenannte »sacerdotes locales«, die sich privat eine theologische Ausbildung aneigneten und dann in Lettland, Litauen oder Polen zum Priester geweiht wurden. Manche Pfarreien ohne eigenen Priester werden auch gelegentlich von Litauen aus betreut, 15 Pfarreien haben überhaupt keine geregelte Seelsorge.
Zur Kirchenprovinz Riga, die heute für die gesamte Sowjetunion (mit Ausnahme Litauens) zuständig ist, zählten Ende 1987 160 Priester. So ist Riga von der räumlichen Ausdehnung her die größte Diözese der Welt. Von den 160 Priestern haben
13 ihre Ausbildung in Riga vor dem Zweiten Weltkrieg erhalten
4 während des Krieges
139 nach dem Zweiten Weltkrieg unter sowjetischer Herrschaft
4 haben kein Seminar besucht
Von den 160 Priestern der Erzdiözese Riga arbeiten 105 in Litauen, darunter 85 Letten, neun Polen und drei Litauer. Die übrigen acht sind Neupriester aus anderen Republiken, die ein Jahr Praktikum nach der Weihe in Lettland absolvieren. Unter den 55 außerhalb Lettlands tätigen Geistlichen sind Letten, Litauer, Deutsche, Polen, Ukrainer, Weißrussen, ein Russe und ein Este vertreten.
1988 traten 30 Seminaristen im Seminar in Riga ein, darunter 14 Polen, vier Letten, fünf Ukrainer, zwei Weißrussen, drei Deutsche, ein Ungar und ein Russe.
In Lettland beträgt das Alter der Priester:
unter 40 Jahren | 24 Priester |
41-50 Jahre | 18 Priester |
51-60 Jahre | 30 Priester |
61-70 Jahre | 13 Priester |
über 70 Jahre | 20 Priester |
Dagegen sind außerhalb Lettlands meist jüngere Priester tätig:
unter 40 Jahren | 36 Priester |
41-50 Jahre | 7 Priester |
51-60 Jahre | 10 Priester |
61-70 Jahre | — Priester |
über 70 Jahre | 2 Priester |
So sind 21,9% der Priester der Metropolie Riga über 60 Jahre alt, doch 31,4% der in Lettland, dagegen nur 3,64% der außerhalb Lettlands tätigen Priester Die höheren Aufnahmezahlen im Priesterseminar lassen eine noch positivere Entwicklung erwarten. Doch gilt dies nur für die in Riga inkardinierten Geistlichen. Die »Sacerdotes locales« sind alle sehr alt.
630 Pfarreien. Wir verzichten auf eine Nennung aller Namen, da sie gleichmäßig über die gesamte Republik verteilt sind.
1. Aglona 2. Aizpúre 3. Aizputhe (Hasenpoth) 4. Alsunga 5. Akniste 6. Andrupiene 7. Ambeli 8. Asúna 9. Auce 10. Atašiene 11. Augškalne 12. Augustova 13. Auleja 14. Balbinova 15. Baltinova 16. Balvi 17. Barkava 18. Bauska-Dzenis (Bauske) 19. Bebrene 20. Berezne 21. Bérzgale (Agl.) 22. Běrzgale (Réz.) 23. Bikava 24. Běrži 25. Borovka 26. Brigi 27. Brodaiži 28. Brunava 29. Budberga 30. Bukmuiža 31. Cesis (Wenden) 32. Círuli 33. Ciskodi 34. Dagda 35. Daugavpils (Dünaburg) 36. Daugavpils St. Peter 37. Demene 38. Dobele 39. Dricáni | 40. Dukstigals 41. Dviete 42. Dunava 43. Eglaine 44. Elerna 45. Erberga 46. Eversmuiža 47. Feimani 48. Grendze 49. Gríva 50. Gudenieki 51. Gulbene 52. Ilukste 53. Indrica 54. Iršvi (Hirschenhof) 55. Izvolta 56. Istalsna 57. Janči 58. Jásmuiža 59. Jaunborne 60. Jaunjelgava 61. Jaunpiebalga (Neu-Prepalg) 62. Jaunsaule 63. Jékabpils 64. Jelgava (Mitau) 65. Jezupova 66. Júrkalne 67. Júrmala-Kemeri 68. Júrmala-Majori 69. Júrmala-Sloka 70. Kalnciems 71. Kalupe 72. Kankali 73. Kaunata 74. Kombuji 75. Koknese (Kokenhusen) 76. Kráslava 77. Krišjána 78. Kuldíga (Goldingen) 1. Aglona 2. Aizpúre 3. Aizputhe (Hasenpoth) 4. Alsunga 5. Akniste 6. Andrupiene 7. Ambeli 8. Asúna 9. Auce 10. Atašiene 11. Augškalne 12. Augustova 13. Auleja 14. Balbinova 15. Baltinova 16. Balvi 17. Barkava 18. Bauska-Dzenis (Bauske) 19. Bebrene 20. Berezne 21. Bérzgale (Agl.) 22. Běrzgale (Réz.) 23. Bikava 24. Běrži 25. Borovka 26. Brigi 27. Brodaiži 28. Brunava 29. Budberga 30. Bukmuiža 31. Cesis (Wenden) 32. Círuli 33. Ciskodi 34. Dagda 35. Daugavpils (Dünaburg) 36. Daugavpils St. Peter 37. Demene 38. Dobele 39. Dricáni | 40. Dukstigals 41. Dviete 42. Dunava 43. Eglaine 44. Elerna 45. Erberga 46. Eversmuiža 47. Feimani 48. Grendze 49. Gríva 50. Gudenieki 51. Gulbene 52. Ilukste 53. Indrica 54. Iršvi (Hirschenhof) 55. Izvolta 56. Istalsna 57. Janči 58. Jásmuiža 59. Jaunborne 60. Jaunjelgava 61. Jaunpiebalga (Neu-Prepalg) 62. Jaunsaule 63. Jékabpils 64. Jelgava (Mitau) 65. Jezupova 66. Júrkalne 67. Júrmala-Kemeri 68. Júrmala-Majori 69. Júrmala-Sloka 70. Kalnciems 71. Kalupe 72. Kankali 73. Kaunata 74. Kombuji 75. Koknese (Kokenhusen) 76. Kráslava 77. Krišjána 78. Kuldíga (Goldingen) 79. Kuprova 80. Kurmene 81. Landskorona 82. Lauciene 83. Laucese 84. Lénas 85. Lielvárde 86. Liepája (Libau) 87. Liepna 88. Líksna 89. Líváni 90. Lívbérze 91. Lizums 92. Lubána 93. Ludza 94. Madalena 95. Malnava 96. Malnava 97. Medums 98. Mežvidi 99. Nagli 100. Nautráni 101. Nícgale 102. Nídermuiža 103. Ogre 104. Okra 105. Ostrona 106. Ozolaine 107. Ozolmuiza 108. Peipini 109. Pasiene 110. Péternieki 111. Piedruja 112. Pienini 113. Pilda 114. Preili 115. Pustina 116. Prezma 117. Puša 118. Pušmucova 119. Raipole 120. Rageli 121. Rauna 122. Rézekne St. Andreas (Rositten) 123. Rézekne Herz-Jesu 124. Riebigi 125. Riga St. Albert 126. Riga St. Anton 127. Riga 128. Riga St. Franziskus 129. Riga St. Jakob 130. Riga St. Josef 131. Riga Christkönig 132. Riga St. Magdalena 133. Riga Mater Dolorosa 134. Rikava 135. Rozentava 136. Rubene 137. Rudzéti 138. Rugáji 139. Rujiena(Rujen) 140. Rundáni 141. Ruskulova 142. Rušona 143. Saka 144. Saldus 145. Sarkani 146. Silaini 147. Silene 148. Sigilda 149. Skaista 150. Skaistkalne 151. Smiltene 152. Sprogi 153. Sprukti 154. Stolerova 155. Stiglava 156. Stirniene 157. Strušani 158. Subate 159. Svente 160. Škilbáni 161. Talsi 162. Tilža 163. Tukums 164. Vaiņode 165. Valmiera 166. Varakļāni 167. Vanagi 168. Vārkava 169. Varnaviči 170. Vecpils 171. Ventspils (Windau) 172. Vidsmuiža 173. Viļaka 174. Viļani 175. Viški 176. Zemgale 177. Zilupe 178. Zosna 179. Znotini
1. Tallinn (Reval) 2. Tartu (Dorpat). Von Tallinn aus betreut.
1. Moskau 2. Leningrad 3. Prohladnoje 4. Novosibirsk 5. Prokopjevsk 6. Kemerovo 7. Tscheljabinsk 8. Orsk 9. Orenburg (7—9 werden von Kustanaj Kasachstan aus betreut) 10. Omsk 11. Tomsk 12. Saratov
1. Kiev 2. Odessa
3. Shitomir 4. Berditschew 5. Novyi Zavod 6. Mihailovka 7. Pokostovka 8. Novgorod Volynskij 9. Lebedovka
10. Lemberg Kathedrale (Lwow, ukrainisch Lwiw) 11. Lemberg St. Anton 12. Sambor 13. Mostiska 14. Ščirec 15. Strij 16. Dobromil 17. Zaločev 18. Novyj gorod |
19. Chmelnik 20. Kazatin 21. Listopadovka 22. Deržanovka 23. Bar 24. Žmerjanka 25. Brailov 26. Verbovec 27. Snitkov 28. Lučinec 29. Vinnica 30. Granov 31. Šargorod 32. Molčani 33. Černovcy 34. Kopilovka 35. Murafa 36. Krasnoje 37. Mjaskovka 38. Čečelnik
39. Polonnoje 40. Slavuta 41. Gorodok 42. Gvardejsk 43. Kamenec Podolskij 44. Kitaj-gorod 45. Deražnja 46. Holuzubincy 47. Muharov 48. Minkovcy 49. Grečani 50. Letičev 51. Struga
52. Kremenec 53. Borščev 54. Galuščincy Region Czemowitz: 55. Czernowitz (Černovcy)
56.—93. Hier gibt es Pfarrkirchen, für die noch elf Priester vorhanden sind. Fünf von ihnen sind krank und arbeitsunfähig. Unter den sechs anderen Priestern ist ein Lette.
Insgesamt sind also 49 römisch-katholische Priester in der Ukraine tätig, davon 28 aus Lettland. Im Seminar in Riga studierten 1987/88 22 Alumnen aus der Ukraine, drei Neupriester machten ihr Praktikumsjahr in Lettland.
1. Grodno Bernhardinerkirche 2. Grodno Pfarrkirche 3. Grodno Franziskanerkirche 4. Adamoviči 5. Sopockin 6. Lobno 7. Teolin 8. Selivanovcy 9. Minojti 10. Vaverka 11. Germaniški 12. Novogrudok 13. Zabolotj 14. Nača 15. NovyjDvor 16. Želudok 17. Vasiliški 18. Iščolna 19. Volkovisk 20. Mscibovo 21. Zodiški 22. Kamenka 23. Ljadsk 24. Ossovo 25. Žirmuni 26. Goža 27. Porečje 28. Konvališki 29. Subotniku 30. Lipiniški 31. Geraneny 32. Lida 33. Radunj 34. Bjalogruda 35. Odelsk 36. Makarovcy 37. Indura 38. Rossj 39. Volpa 40. Lunno 41. Gervjati 42. Mihališki 43. Bystryca 44. Kimiliški 45. Ostrovec 46. Dubnički 47. Gudogaj 48. Višnevo 49. Nestašiški 50. Soli 51. Župrany 52. Cudziniki 53. Ivje 54. Kremjanica 55. Boruny 56. Dobromil 57. Vojstum 58. Trabi 59. Diatlovo 60. Slonim 61. M. Ejsmonty 62. L. Ejsmonty 63. Olekšici 64. Golinka 65. Krupovo 66. Dudi 67. Stare Vasiliški 68. Trokeli 69. Kvasovka 70. Replja 71. Bolšaja Ragoznica 72. Nova Ruda
In den letztgenannten zwölf Pfarreien gibt es keine Priester. Die Gläubigen treffen sich aber an Sonn- und Feiertagen zum Gebet.
73. Glubokaja 74. Mosari 75. Slobudka 76. Dalekije 77. Braslav 78. Zadorožja 79. Naroč 80. Miori 81. Idolta 82. Volkolata
83. Minsk 84. Kriviči 85. Budslav 86. Dolginova 87. Kostineviči 88. Krasnoje 89. Derevnoje 90. Rakuv 91. Rubeževiči 92. Višnevo 93. Lyntupy 94. Karnap
95. Brest 96. Polonecka 97. Iskoldz 98. Stolovici 99. Ruzanik 100. Porozovo 101. Baranoviči 102. Pinsk 103. Logišin 104. Černjavcy 105. Pelišče 106. Nedvedica 107. Nova Miš
Insgesamt arbeiten 56 Priester in Weißrußland, darunter 18 aus Lettland. Zwölf Seminaristen und fünf Neupriester studieren in Riga.
1. Tiflis 2. Shvilisi
Neben einem polnischen Priester in Tiflis ist noch ein lettischer Geistlicher tätig. Im Grenzgebiet zur Türkei liegen etwa zehn Dörfer mit katholischen Kirchen, in denen sich die Gläubigen zu Andachten versammeln.
1. Kišinev (Kischinjov) 2. Belcy 3. Raskov 4. Petropavlovsk
1. Alma-Ata 2. Talgar 3. Issik 4. Ču 5. Aktjubinsk 6. Batamšinsk 7. Karaganda 8. Kustanaj 9. Krasnoarmejsk (Kokčetov) 10. Kelerovka 11. Linsevka 12. Asanovo 13. Izobilnoje 14. Džambul 15. Burno Oktjabrskaja 16. Celinograd 17. Akul Aleksejevka 18. Makinsk 19. Kamenka 20. Šortandi 21. Astrachanka 22. Bestjube 23. Atbasar 24. Kamišinka 25. Novoišimka 26. Pervomajka 27. Roždestvenkaja 28. Malinovka 29. Pavlodar 30. Ščerbahti 31. Krasnoarmejsk (Pavlodar)
Die Zahl der Priester in Kasachstan beträgt nur neun, davon sind drei aus Lettland. Es gibt acht Seminaristen.
1. Dušanbe 2. Kurgan-Tjube 3. Leninabad
Im Seminar in Riga studieren zwei Seminaristen.
1. Frunze 2. Podavčič-Bogdan
Keine katholischen Gemeinden gibt es in den Unionsrepubliken Armenien, Aserbaidschan, Turkmenien und Uzbekistan.
Litauen ist die einzige Unionsrepublik der Sowjetunion mit katholischer Mehrheit.
Unter den Völkern Osteuropas nahmen die Litauer als letzte das Christentum an: Die Kroaten konnten bereits 1941 die 1300-Jahrfeier der Einführung des Christentums feiern, die Tschechen und Slowaken 1963 die 1100jährige Wiederkehr der Ankunft der Slawenapostel Cyrill und Method im Großmährischen Reich. Das Millennium ihrer Taufe haben die Polen 1966 begangen; Ukrainer, Weißrussen und Russen begingen es 1988. Letten und Esten erinnerten 1986 daran, daß 800 Jahre vorher der Augustinermönch Meinhard von Segeberg vom Bremer Erzbischof Hartwig II. zum ersten Apostel der Liven geweiht worden war.
Im Vergleich zu diesen Zahlen ist das Christentum in Litauen noch jung. Doch auch vor der Übernahme der christlichen Religion als Staatsreligion gab es bereits christliche Einflüsse, ja schon 1253 hatte sich der Großfürst Mindaugas, den die Chroniken des Deutschen Ritterordens Mindowe nennen, taufen lassen.
In den Quedlinburger Annalen wird zum Jahre 1008 Litua erstmals erwähnt und vom Märtyrertod des Bischofs Brun von Querfurt bei den baltischen Pruz-zen berichtet. Die vor 1116 in Kiew entstandene Nestor-Chronik nennt schon die beiden Hauptstämme der Hoch- und der Niederlitauer. »Ende des 12. Jahrhunderts waren die Litauer der Schrecken aller ihrer Nachbarn; zeitweilig hatte bereits ein Litauer die Herrschaft im altrussischen Fürstentum Polotzk an der mittleren Düna inne. Anfang des 13. Jahrhunderts stellten die Litauer einen wichtigen politischen Faktor dar, mit dem alle Nachbarn, insbesondere auch die seit Ende des 12. Jahrhunderts an der Dünamündung missionierenden Deutschen, rechnen mußten. Eheverbindungen zwischen altrussischen Fürsten und Litauern sind schon für diese Zeit nachweisbar. Daraus kann geschlossen werden, daß es damals bereits eine herausgehobene Schicht von Kleineren und größeren Herren gab, deren Macht mitunter eine beträchtliche gewesen sein muß.« (Manfred Hellmann) Es war der Purst Mindaugas, dem es gelang, diese litauischen Herrschaften und Fürstentümer zusammenzufassen. 1248 konnte Bischof Nikolaus von Riga den niederlitauischen Fürsten Tautwila taufen, und 1251 bot Mindaugas dem Ordensmeister an, die Taufe anzunehmen. Da 1241 erst in Schlesien der Vormarsch der Tataren zum Stehen gebracht werden konnte, sah Papst Innozenz IV. die Möglichkeit, in den Litauern Verbündete im Osten zu gewinnen und verlieh Mindaugas den Königstitel: Der livländisehe Ordensmeister brachte zur Krönung, die Bischof Heidenreich von Kulm im Auftrag des Papstes vornahm, »zwei gar kunstreiche Kronen« für seinen »Freund Mindowe« und dessen Frau Martha mit (so die Livländische Reimchronik). Es wurde ein erstes Bistum für Litauen errichtet, dessen Leiter, der Deutschordenspriester Christian, direkt der Kurie unterstand. Doch schon am 5. August 1263 wurde Mindaugas ermordet, und damit fanden dieses erste christliche litauische Königreich und sein Bistum ein Ende.
In ihrem Hirtenbrief vom 16. Januar 1985 stellten dazu die litauischen Bischöfe fest.
»Die Geschichte des Staates Litauen hätte ganz andere Wege genommen, wenn dar gekrönte Herrscher nicht ermordet worden wäre. Wären die Nachfolger von Mindaugas ihm gefolgt, und hätten sie das Christentum öffentlich unterstützt, hätten sie die Königskrone für alle Zeiten erhalten können. In diesem Falle hätten die Kreuzzüge gegen Litauen aufhören müssen. Die Bezie-laingen zum Deutschen Orden und später zu den benachbarten Polen wären ganz anders geworden und die Früchte der christlichen Kultur hätten Litauen wesentlich früher erreichen können.« Doch die sowjetische Zensur strich (fiese Passage aus dem Schreiben der Bischöfe.
In der Folgezeit finden wir einen Großfürsten, der griechisch-orthodox war — den Sohn des Mindaugas, Vaisilkas (Woischelg) — und im 14. Jahrhundert, als Algirdas (Olgerd) verschiedene altrussische Fürstentümer unterwarf und mehr als die Hälfte des ehemaligen Reiches von Kiew (einschließlich Kiew) beherrschte, auch einen Metropoliten des byzantinischen Ritus für diese Gebiete seines Reiches. Ein Chronist des Deutschen Ordens schreibt Algirdas den Ausspruch zu, ganz Rußland müsse zu Litauen gehören: Omnis Russia ad Lettwi-nos deberet simplicher pertinere. Die eigentlichen Litauer aber blieben Heiden, auch wenn es Ehen des Adels mit Ostslawinnen gab, die orthodox waren. Großfürst Gediminas hatte Litauen zur Großmacht gemacht, was Litauen auch unter den Nachfolgern blieb. Als Algirdas 1377 starb, sollte Jogaila (polnisch Jagiello) als Großfürst in Vilnius residieren und die anderen Söhne die verschiedenen Teilfürstentümer regieren. Doch gab es zunächst Zwistigkei-ten und Aufruhr, den auch der Deutsche Orden schürte, wobei aber aus den Unruhen Jogaila als Alleinherrscher hervorging.
Im benachbarten Polen war 1382 König Ludwig von Ungarn, der auch die Krone Polens trug, gestorben. Er hinterließ zwei Töchter, von denen Maria im Oktober 1382 in Ofen zur Königin von Ungarn gekrönt, aber nicht vom polnischen Adel anerkannt wurde. Dieser ließ die jüngere, erst 1373 geborene Tochter Ludwigs, Hedwig, 1384 in Krakau zur Königin Polens krönen. Sie war zwar mit Herzog Wilhelm von Österreich verlobt, doch ihre Mutter Elisabeth wandte sich an Jogaila. Trotz Hedwigs anfänglichem Widerstand kam es am 14. August 1385 zum Vertrag von Krewa, in dem Jogaila versprach, Hedwig zu heiraten und sein Land an Polen anzugliedern, dessen König er werden sollte, wenn er sich taufen ließ. Dies geschah am 15. Februar 1386; am 4. März wurde er gekrönt.
»Jogaila kam am Anfang des Jahres 1387 mit einer Schar von Geistlichen und Adligen nach Litauen und begann, in Vilnius und anderen wichtigen Orten Litauens gemeinsam die Taufe Litauens zu organisieren und Kirchen zu bauen. Wegen des Mangels an litauisch sprechenden Priestern, so berichtet man, habe er selber die Glaubenswahrheiten erklärt und das Glaubensbekenntnis und das Vater unser in die litauische Sprache übersetzt«, schreiben dazu die litauischen Bischöfe 1985 in ihrem Hirtenbrief.
Die mit der Taufe verbundene Union Litauens mit Polen nennt Gotthold Rhode »eines der wichtigsten Ereignisse nicht nur der polnischen, sondern der ganzen osteuropäischen Geschichte. Durch sie stieg der Mittelstaat Polen zur osteuropäischen Großmacht auf, erwarb ein weites Feld politischer und kultureller Expansion und erhielt den Charakter eines übernationalen Reiches, an das sich alsbald auch andere Länder in verschiedener Form anschlössen. Sie stellte den polnischen Adel vor eine schwierige Führungsaufgabe gegenüber den Litauern und den orthodoxen Ostslawen, die ganz zu lösen ihm bei den letzteren nicht gelungen ist, bei deren Lösung er aber große politische Fähigkeiten gezeigt hat. Er erbte allerdings auch das Hauptproblem des Großfürstentums Litauen: Die Auseinandersetzung mit dem Großfürstentum Moskau um das gewaltige Erbe des Kiewer Reiches.« Aus dieser Auseinandersetzung gingen später die Russen als Sieger hervor.
Bereits 1388 gründete Großfürst Jogaila das Bistum Wilna, dem 1417 das Bistum Samogitien folgte. Im Fürstensohn Kasimir (1458-1484) verehren die Litauer ihren ersten Heiligen und Patron.
Während der Reformation blieb Litauen katholisch, während das heutige Lettland und Estland damals protestantisch wurden. Zwar war die Mehrheit des litauischen Adels zum Protestantismus übergetreten, doch dank des Jesuitenkollegs in Wilna, das später Universität wurde, wurde Litauen »eine politische Vormacht der kämpfenden römischen Kirche« (G. Ney). Erst bei der dritten polnischen Teilung kam auch Litauen unter russische Herrschaft und erlebte vor alleim in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts harte Unterdrückung von Kirche und Volkstum. Damals entstand die feste Allianz von Kirche und Volk, die bis heute ein litauisch-katholisches Bewußtsein schuf, das in der »Chronik der Litauischen Katholischen Kirche« seit 1972 eine Renaissance erlebte. Bereits Katharina II. verbot den litauischen Bischöfen Kontakte zu Rom. Ihr Sohn und Nachfolger Zar Paul I. unterstellte die Bistümer Wilna und Samogi-tien dem Erzbistum Mohilev, was bis zum Ende des Ersten Weltkrieges in Kraft blieb. Nach dem Aufstand von 1831 wurde die Universität in Wilna ebenso geschlossen wie 32 Kirchen und 20 Klöster. Noch rücksichtsloser gingen die Russen nach dem Aufstand von 1863 vor. Damals wurden sieben Priester hingerichtet und 159 deportiert. Katholiken hatten keinen Zugang zu öffentlichen Ämtern, litauischer Unterricht war verboten. In der Gemeinde Krasiai töteten Kosaken im Jahre 1893 über 100 Menschen.
Im Februar 1918 erklärte ein Landesrat die Unabhängigkeit Litauens, das aber schon 1920 seine Hauptstadt Wilna an Polen verlor. Durch die Schwierigkeiten mit Polen kam es auch zu Spannungen mit dem Vatikan, doch die Kirche konnte ihre Diözesanen neu ordnen und ein blühendes Leben entfalten, das erstmals 1940 und erneut 1944 durch die sowjetische Okkupation gestört wurde. 1925 brach Litauen seine Beziehungen zum Vatikan ab, weil der Vatikan im Konkordat mit Polen Wilna als polnische Kirchenprovinz errichtet hatte. 1926 wurde durch die Bulle »Lituanorum gente« Litauen in seinen damaligen Staatsgrenzen eine Kirchenprovinz mit dem Metropolitansitz in Kaunas (680000 Katholiken) und den Suffragandiözesen Telsiai (380000), Paneve-zys (378000), Vilkaviskis (320000) und Kaišiadorys (320 000 Katholiken). Die wenigen Katholiken des Memelgebietes bilden eine freie Prälatur Memel. 1927 kam es zu einem Konkordat zwischen Litauen und dem Vatikan. In das unabhängige Litauen kehrten damals auch die Jesuiten zurück, die mit der Universität Wilna so viel für Litauen getan hatten. Am Ignatius-Fest 1922 (31. Juli) beauftragte der damalige polnische Jesuitengeneral P. Ledochowski den Provinzial der Niederdeutschen Provinz, P. Bley, die Bischöfe in Litauen zu besuchen. Im September weilte P. Bley in Litauen und besuchte vom 21. bis 24. September die Bischöfe. Er erstattete darüber Bericht nach Rom, wo bereits am 1. November des gleichen Jahres General Ledochowski befahl, von der Niederdeutschen Provinz aus die Mission in Litauen aufzunehmen. Tatsächlich war von einer »taquam Missio Lithuania« die Rede, ein Ausdruck, der in Litauen als einem katholischen Land auf Widerspruch stieß, da man mit diesem Wort nicht Missions- oder gar Heidenländern gleichgestellt werden wollte. So wurde der Ausdruck »Missio Lithuania« nach Möglichkeit in der Öffentlichkeit vermieden. Im Frühjahr 1923 kamen die ersten Niederdeutschen Jesuiten nach Kaunas, das mit einer Jesuitenkirche eine alte Ordenstradition hatte.
Schon am 6. Juni 1923 erhielt der Orden die alte Jesuitenkirche und Teile des Kollegs der alten Gesellschaft Jesu zur Nutzung, am 11. Februar 1924 sogar als Eigentum. In diesen Räumlichkeiten konnten die Jesuiten schon zum Beginn des Schuljahres 1924/25 nach Lehrplänen der Schulen Litauens ein Gymnasium errichten, dessen erster Rektor P. Johannes Kipp wurde. Doch brachte das folgende Jahr einen schweren Rückschlag, als bei den Wahlen im Mai 1926 die katholischen Parteien ihre Mehrheit im »Sejmas«, dem litauisch«! Parlament, verloren und die neue Regierung einen betont antikirchlichen Kurs einschlug. Man hetzte gegen die katholische Kirche und ihre Orden, ja verlangte sogar die Ausweisung der Jesuiten aus Litauen, was bei der Bevölkerung zu großer Unruhe führte. Ein unblutiger Staatsstreich des Militärs brachte bereits kurz vor Weihnachten 1926 erneut den alten Präsidenten Antanas Sme-tona an die Spitze des Staates. Er war nicht nur ein Förderer der Jesuiten, sondern schickte auch seinen Sohn in das Kolleg von Kaunas. Als dieser 1930 zum ersten Abiturjahrgang gehörte, verteilte der Präsident personlich die Zeugnisse an alle Absolventen. Damals zählte das Gymnasium 300 Schüler. Die Zahl stieg bis zum Schuljahr 1933/34 auf 520 an.
Die Arbeit der Patres trug bald Früchte für den Orden: bereits 1929 konnte ein litauisches Noviziat errichtet werden und schon am 25. März 1930, im kirchenrechtlichen Sinn, eine Litauische Provinz des Ordens mit P. Johannes Kipp als ersten Provinzial. Mit dieser litauischen Jesuiten-Provinz wurde 1930 auch Estland vereinigt. Der Ordens-General in Rom überließ aber die junge Provinz noch ganz der Obhut der am 18. Januar 1931 errichteten Ostdeutschen Provinz. Erst am 12. März 1936 wurde Litauen eine unabhängige Vizeprovinz. Zu diesem Zeitpunkt zählten die Jesuiten Litauens zwölf Priester, 33 Scholastiker und 43 Brüder. Damals waren nur noch fünf Patres und zwei Bruder aus der Ostdeutschen Provinz im Lande. Bis zur Aussiedlung der Deutschen aus Litauen im Jahre 1941 waren alle in ihre Heimat zurückgekehrt. Es spricht für die Verselbständigung, daß schon im Schuljahr 1933/34 die Lehrer am Kolleg fast durchweg Litauer waren.
1940 im Jahre der ersten Sowjetischen Besetzung, waren 85 Prozent der Bevölkerung Litauens katholisch. Es gab 37 Männerorden mit 643 Patres und Brüdern; 85 Frauenorden mit 1000 Schwestern, 71 katholische Schulen und Kindergärten, 20 Waisenhäuser, zwei Krankenhäuser, 25 Altenheime, 32 Zeitschriften und sieben Verlage.
Im Jahre 1940 hatte das katholische Litauen 1487 Diözesan- und 152 Ordens-priester. Sie wurden strengen Schikanen und Einschränkungen unterworfen:
Die Kirchengüter wurden zu Staatseigentum erklärt. Neben den Gebäuden und Grundstücken verfiel der Verstaatlichung alles, was im Inventar der Kirchen aufgeführt war, also die Glocken, Kreuze, Bücher, heiligen Geräte und Paramente. – Die Benutzung der Kirche war nur nach Entrichtung eines Mietzinses gestattet. Dieser wurde nach dem Rauminhalt der Gebäude und auf gleiche Weise wie die Gebühren für Luxusrestaurants und Nachtlokale berechnet. - Für den Gebrauch der Glocken, der Kirchengeräte, der Paramente war eine bestimmte Gebühr zu entrichten.
Außerhalb der Kirche wurden religiöse Funktionen verboten; gottesdienstliche Handlungen, die im Freien, auf den Friedhöfen und in Privathäusern abgehalten wurden, galten als gesetzwidrig und wurden streng bestraft.
Am 31. August 1940 teilte der Volkskommissar für das Unterrichtswesen allen Schulleitern mit:
»Mit Beginn des gegenwärtigen Schuljahres sind in allen Schulen die Gebete vor und nach den Unterrichtsstunden abgeschafft. Aus den Schulen müssen alle Zeichen des Kultes und des ehemaligen Regimes, femer alle Bildnisse von Personen, deren Ideologie und Tätigkeit im Gegensatz zur Gründung des sozialistischen Litauen stehen, entfernt werden… Die Schulen müssen mit dem Wappen der Sozialistischen Sowjetrepublik Litauen und mit den Bildnissen der Führer der Weltarbeiterklasse, Lenin und Stalin, geschmückt werden. Die litauische Nationalhymne darf nicht mehr gesungen werden. Die Hymne der Sowjetrepublik Litauen ist die Internationale.«
Am 12. Dezember schrieb der Geheimdienstchef von Wilna an alle Behörden: »Genossen, am 25. und 26. Dezember feiern die Katholiken Feste, die sie Weihnachten nennen. Während dieser Festtage, die in der Nacht vom 24. zum 25. Dezember beginnen, werden in den Kirchen Messen gefeiert und Predigten gehalten. Die beiden Tage werden von den Gläubigen als große Feste betrachtet, das heißt als Ruhetage. Das gegenrevolutionäre nationale Element und vor allem der Klerus werden diese Festtage für ihre antisowjetische Tätigkeit ausnützen und vor allem versuchen:
a) die Arbeiten in den Fabriken und Schulen unterbrechen zu lassen,
b) Propaganda gegen die Beteiligung an den Wahlen zu machen, um mehr oder weniger geistlich getarnte Ansprachen zu halten, sei es durch eine Kleinpropaganda an einzelnen, sei es an Gruppen von Gläubigen, welche die Kirchen, Sakristeien oder die Pfarrhäuser besuchen,
c) gegenrevolutionäre Schriften unter religiösen oder anderen Vorwänden auszuteilen und zu verbreiten,
d) Straßenkundgebungen hervorzurufen oder Agitationen jeder Art zu inszenieren.
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Um die Straße für Zwischenfälle solcher Art zu sperren habt ihr:
1. dem Netz der Nachrichten-Agenten zu befehlen, daß sie euch über alle antisowjetischen Vorbereitungen des Klerus und der ihnen nahestehenden Kreise auf dem Laufenden halten, indem für die Tage vom 20. bis 27. Dezember wiederholtes Zusammentreffen mit den genannten Agenten festgesetzt wird,
2. die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um den normalen Portgang der Arbeiten in den Fabriken und Schulen zu gewahrleisten,
3. während der Nachtzeit des 23., 24., 25. und 26. Dezember motorisierte Patrouillen zu organisieren und die Anzahl der Wachen in den Städten zu erhöhen, zu diesem Zwecke, in Zusammenarbeit mit dem Sekretär des Bezirksparteikomitees, die aktiven Elemente der Partei und der kommunistischen Jugend heranzuziehen und ihnen die dafür erforderlichen Instruktionen zu geben,
4. von allen Vorfällen provokatorischen Charakters Protokolle aufzunehmen und mir davon sofort Meldung zu erstatten.«
Für die Überwachung der Priester war schon vorher bestimmt worden:
»1. Die Anlage eines vollständigen Verzeichnisses aller Priester des Distrikts;
2. darin haben auch die Namen der Leiter von katholischen Organisationen und Vereinigungen zu erscheinen.
3. Sofort ist mittels Agenten aus den Mitgliedern der Pfarreien und dem Personal der bischöflichen Kurien eures Distrikts eine Kampagne zu beginnen.
4. Um jeden Preis sind diejenigen Priester und Kirchenangestellten (Küster, Organisten) zu überwachen, die in enger Verbindung mit den Büros der katholischen Vereinigungen und Gruppen stehen. Suchet sie als Nachrichtenagenten zu gewinnen. Erklärt ihnen, daß sie Spaltungen innerhalb der katholischen Organisationen hervorzurufen haben.
5. Priester und Leiter von Vereinigungen, die Beziehungen zu deutschen Emissären unterhalten, sind aufzuspüren. Klärung des Charakters solcher Beziehungen.
6. In allen Distrikten, wo Klöster bestehen, ist ein Verzeichnis der Ordensleute anzulegen. Diese, vor allem aber ihre Oberen, sind zu überwachen. Innerhalb der Ordensgemeinschaften ist ein Netz von Nachrichtenagenten zu organisieren.
7. Es ist aufzudecken, wo Priester und Studenten sich treffen, um ihre oppositionelle Tätigkeit auszuüben. Bei der Zersetzungsarbeit bedienen wir uns der Studenten der oberen Gymnasialklassen.
8. Bei der bevorstehenden Unterschriftensammlung unter der Bevölkerung durch Priester und aktive Mitglieder der katholischen Vereinigungen, um durch eine Eingabe an die Regierung die Erhaltung des Religionsun ter-richtes in den Schulen zu erreichen, sind die Organisatoren dieser Tätig, keit zu ermitteln und zu überwachen.«
Im Jahre 1944 flohen 257 Priester in den Westen; 1946 siedelten 176 nach Polen über. Bischof Vincentas Borisevicius wurde 1946 nach grausamen Foltern erschossen.
Zwischen 1946 und 1947 wurden 330 Priester nach Sibirien verschleppt. Unter ihnen waren auch die Bischöfe Ramanauskas und Matulionis. Nur noch 120 Priester kehrten 1956 zurück.
Im Jahre 1960 gab es in Litauen nur 929 Priester, 1988 etwa 660, d. h. die Zahl ist gegenüber der Vorkriegszeit auf weniger als die Hälfte gesunken. 1940 gab es vier Priesterseminare, ein fünftes war im Bau; heute gibt es ein einziges in Kaunas, wo das KGB die Seminaristen beschattete und bis 1988 über die Zulassung entschied.
Seit der sowjetischen Okkupation wurden in Litauen 484 katholische Kirchen und Kapellen zweckentfremdet und profaniert, davon 23 in Wilna und 22 in Kaunas. Der Dom von Wilna war eine Gemäldegalerie, die Kasimir-Kirche ein atheistisches Museum, ehe beide Kirchen Ende 1988 der Erzdiözese Wilna zurückgegeben wurden.
Die Diözesanverwalter waren in ihrer Arbeit — trotz Trennung von Kirche und Staat - fast völlig von den staatlichen Behörden abhängig: u. a. durften sie ohne staatliche Erlaubnis keine Firmung spenden. Die Priester waren nur »Kult«-Priester; ihnen war jeglicher Religionsunterricht, auch anläßlich privater Besuche bei Pfarrangehörigen, untersagt, da die sowjetische Verfassung Religionsunterricht vor dem 18. Lebensjahr verbietet.
Für kirchliche Bauwerke - sie wurden alle vom Staat enteignet! — mußte jährlich ein Prozent vom Wert des Bauwerkes als Miete bezahlt werden; der elektrische Strom war sechsmal teurer als für Privathäuser, die Versicherungsprämie dreimal höher als für Gebäude in der Stadt.
Es gab bei dem katholischen Volk der Litauer bis 1989 keine offizielle kirchliche Presse. In keiner einzigen Buchhandlung war religiöse Literatur zu haben. Bei Hausdurchsuchungen wurde häufig nach religiöser Literatur gefahndet. Auf geheime Herstellung von Gebetbüchern und Katechismen stand Haftstrafe. Der Verkauf von Devotionalien war selbst auf Kirchengelände verboten.
Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren durften nicht ministrieren, sie durften auch nicht im Kirchenchor mitwirken oder Orgel spielen. Gläubige Schüler waren in der Schule ständigen Diskriminierungen ausgesetzt; ihnen drohte sehr oft auch eine Sperre des Hochschulstudiums. Seit 1945 mußten 2000 litauische gläubige Lehrer ihren Posten aufgeben.
Auch nach der Entstalinisierung dauerte während der Regierungszeit von
Nikita Chruschtschow der kommunistische Terror an. Elf Priester gingen damals in den Gulag. Die Bischöfe Vincentas Sladkevicius (im Jahre 1959) und Julijonas Steponavicius (im Jahre 1961) wurden verbannt. Im Jahr 1961 wurde auch die von den Gläubigen neu erstellte Kirche »Maria, Königin des Friedens« in Memel geschlossen, ihr Erbauer verhaftet.
Trotzdem kam es in den 60er Jahren zu einer religiösen Wiedergeburt, die untrennbar mit der »Chronik der Litauischen Katholischen Kirche« zusammenhängt. 1972 erschien die erste Ausgabe, seitdem bis 1988 weitere 78 Nummern. In ihrer Ausgabe Nr. 51 schrieben die Herausgeber 1982: »Dieses Jahr ist es nun zehn Jahre her, seit ein hartnäckiger Kampf begann: zwischen den rechtlosen Priestern und den Gläubigen Litauens einerseits und den atheistischen Behörden, unterstützt vom KGB, vom administrativen Regierungsapparat und den Massenmedien andererseits. Hier sind die charakteristischsten Momente des Kampfes:
Am 7. Februar 1972 schickten die Priester und die Gläubigen Litauens der Sowjetregierung über die UNO ein mit 17000 Unterschriften versehenes Memorandum, das die unterdrückte Situation der katholischen Kirche Litauens beleuchtete und die Rückerstattung der Freiheit erlangte. Die Sowjetregierung brachte aber die Bischöfe durch Erpressung dazu, dieses Memorandum zu verurteilen. Die Bewegung für die Freiheit der Kirche konnte die Sowjetregierung allerdings nicht stoppen.
Am 19. März 1972 erschien die erste Nummer der »Chronik der Katholischen Kirche Litauens«. Die Selbstverbrennung von Romas Kalanta am 14. Mai 1972 und die einige Tage dauernden Demonstrationen der Jugend standen zwar in keinem Zusammenhang mit der Bewegung der religiösen Wiedergeburt, begünstigten sie jedoch zweifellos.
Im Bestreben, die Priester zum Nachgeben zu zwingen, ersetzte die Sowjetregierung den Bevollmächtigten des Rates für Religiöse Angelegenheiten, den KGR-Beamten Rugienis, durch den toleranteren Parteibeamten Kazimieras Tumenas. Seine Mission hatte jedoch keinen Erfolg.
Hier einige Etappen der Wiedergeburt Litauens:
Im Jahr 1972 begann sich in Litauen ein geheimes Priesterseminar zu organisieren, das als Reaktion auf die Tätigkeit des KGB im interdiözesanen Priesterseminar von Kaunas entstand. Unter der Geistlichkeit reifte der Gedanke, man könne nicht tolerieren, daß die vom KGB zurückgewiesenen jungen Männer ihr Studium nicht fortsetzen und die Weihen nicht empfangen konnten. Die Gründung dieses Seminars war einer der positivsten Schritte im Nachkriegsleben der katholischen Kirche Litauens. Ehre Initiatoren waren junge Männer, die vom KGB nicht zum Seminar zugelassen worden waren. Dieses Seminar bestand bis 1988.
Am 19./20. November 1973 versetzte das KGB dem Untergrund der katholischen Kirche Litauens einen schweren Schlag. Zahlreiche Hausdurchsuchungen und einige Verhaftungen ließen die amtlichen Atheisten triumphieren: »Es wird keine Gebetbücher mehr geben, die »Chronik der Katholischen Kirche Litauens« ist vernichtet.« Nacheinander erschienen aber neue Veröffentlichungen: »Aura« (»Die Morgenröte«), »Dievas ir Tevyne« (»Gott und Vaterland«), »Tiesos Kelias« (»Der Weg der Wahrheit«), »Rupintojelis« (»Der Schmerzenmann«) u.a. Auch die Chronik konnte weiter im Untergrund herausgebracht werden.
Bewundernswert haben sich auch die geheimen Ordensfrauen betätigt. Manche beteiligten sich aktiv am Kampf für die Freiheit der katholischen Kirche Litauens, andere haben im Stillen die Kinder unterwiesen, die Jugend in Gruppen um sich geschart, wieder andere unterstützten die Aktiven mit Gebet und Opfern. »Es ist schwer, all denen, die beharrlich und sich aufopfernd die Arbeit Gottes taten und weiterhin tun, mit Worten zu danken. Nicht ohne Grund geriet das KGB so in Bewegung: es begann die geheimen Frauenklöster zu verfolgen, in ihnen zu spionieren, und es versuchte in den Klöstern Agenten für sich zu gewinnen usw.«, schreibt die »Chronik«.
Seit dem 1. August 1975 hat die Schlußakte von Helsinki der kämpfenden katholischen Kirche Litauens eine festere Grundlage gegeben. Mit der Berufung auf die KSZE-Schlußakte war es möglich geworden, die elementaren Menschenrechte und Humanität als etwas zu verlangen, was auch von Moskau vor der ganzen Welt versprochen worden ist.
Am 28. Juli 1976 erließ die Litauische Sowjetrepublik eine Verordnung, welche die »Bestimmungen für die religiösen Vereinigungen« bestätigt. Die Regierungsbeamten verschwiegen diese Bestimmungen aber jahrelang, um bei den Priestern und Gläubigen keine Proteste hervorzurufen. Die Annahme der Verordnung zeugt aber dafür, daß die Sowjetregierung in Moskau den Kampf gegen die Gläubigen in Litauen nicht nur weiterführte, sondern verstärkte und die viele Jahre praktizierte Diskriminierung juristisch legitimierte. Im Sommer 1977, während der Vorbereitungen der neuen Gesetzgebung der Litauischen SSR, unterbreiteten die Gläubigen Litauens, die Priester und sogar die Bischöfe der Partei ihre Vorschläge. Die Partei reagierte jedoch nicht darauf, und der die Gläubigen diskriminierende Paragraph 50 wurde in der Gesetzgebung belassen: Den Gläubigen wurde nur das Recht gewährt, »die religiösen Kulte auszuüben«, den amtlichen Gottlosen aber das Recht gegeben, »atheistische Propaganda zu betreiben«.
Am 13. November 1978 wurde in Litauen das »Komitee für die Verteidigung der Rechte der Gläubigen« gegründet. Die Priester und die Gläubigen nahmen die Gründung des Komitees mit Preude auf, es gab jedoch auch solche, die eine baldige Verhaftung der Mitglieder des Komitees erwarteten. »Man muß den Landsleuten in Litauen und im Westen danken, daß sie die Tätigkeit dieses Komitees der Katholiken verstanden und gewürdigt haben«, schreibt die »Chronik«.
Der geistigen Wiedergeburt der Gläubigen Litauens hat vor allem Papst Johannes Paul II. sehr geholfen, indem er verschiedene Male seine besondere Aufmerksamkeit für Litauen bekundete. Sowohl das Beispiel des Heiligen Vaters, wie auch seine ermutigenden Worte gaben den Priestern und Gläubigen Kraft, die Rechte der katholischen Kirche energisch zu verteidigen und Christus treu zu bleiben. Im Jahre 1979 solidarisierten sich 522 Priester und die zwei verbannten Bischöfe mit dem Dokument Nr. 5 des katholischen »Komitees für die Verteidigung der Rechte der Gläubigen« und sprachen sich gegen die »Bestimmungen für religiöse Vereinigungen« aus. Dieser Massenprotest der Priester hat gezeigt, daß die Geistlichkeit Litauens, abgesehen von einem kleinen Teil, der mit dem KGB kollaborierte, nicht gebrochen war. Das hat wohl auch das KGB erkannt und deshalb angefangen, noch intensiver unter dem Klerus zu werben, in der Hoffnung, die Priester Litauens in die Knie zu zwingen. Im Jahre 1980 begannen die Gläubigen und die Priester Litauens eine breite Aktion gegen den Alkoholismus im Volk. Die Sowjetregierung versagte dieser Aktion nicht nur ihre Unterstützung, sondern störte sie sogar gezielt. Es wurde nicht erlaubt, eine katholische Abstinenzlervereinigung zu gründen. Die Bischöfe Litauens, die anfänglich Initiative zur Mitarbeit gezeigt hatten, zogen sich nach der Einmischung der Sowjetregierung von dieser Aktion zurück. Nur der Verwalter des Bistums von Telsiai hat nicht nachgegeben.
Ein bedeutsames Ereignis im Leben der katholischen Kirche Litauens war auch die Gründung der Pfarrgemeinderäte. Die Sowjetregierung erblickte darin von Anfang an eine Gefahr und begann einen direkten Kampf gegen die Pfarrgemeinderäte. Die damals noch verbannten Bischöfe haben den Pfarrgemeinderäten zugestimmt und sie wurden in jedem Bistum zu Kerngruppen, die im Leben der Bistümer und im Kampf für die Rechte der Kirche eine sehr wichtige Rolle spielen. Ein deutliches Beispiel dafür ist das Schreiben der Pfarrgemeinderäte aller Bistümer vom 3. Mai 1981, in dem sie sich gegen die Einmischung der Regierung in die Verwaltung der Pfarreien und gegen die Hetze der Pfarreikomitees gegen die Pfarrer wenden. Die Reaktion der Sowjetregierung auf die sich immer weiter ausbreitende religiöse Wiedergeburt in
Litauen war nicht nur intensivere propagandistische Arbeit, sondern umfaßte auch direkte Zwangsaktionen, z. B. gegen Wallfahrten. So wurde vom KGB das Gerücht über eine in der Gegend von Siluva wütende Schweinepest verbreitet um religiöse Prozessionen nach Siluva zu verhindern. Für die Aktion wurden das KGB, die Miliz und sogar das Militär eingesetzt.
Als 1984 der 500. Todestag des hl. Kasimir gefeiert wurde, gab es zahlreiche Schikanen. Die Bischöfe durften in jenem Jahr nur einen kleinen Kalender, eine Medaille und ein Jubiläumsbildchen herausgeben, und auch dabei gab es Schwierigkeiten. Eine Biographie des Heiligen, die von der liturgischen Kommission vorbereitet wurde, durfte nicht erscheinen. Obgleich der Kalender bereits im Sommer 1983 in Druck gegeben war, verzögerte die Regierung sein Erscheinen bis nach dem Beginn der Feierlichkeiten am 4. März 1984. Jeder Priester erhielt nur 70 Bildchen des hl. Kasimir, jede Pfarrei nur einige Medaillen und wenige Exemplare des kleinen Kalenders, dessen Auflage nur 4000 betrug. Stattdessen begann vor dem Jubiläum eine Kampagne in Presse und Rundfunk gegen den hl. Kasimir und seine Verehrung.
»Die Kirche hat die Verehrung der Heiligen immer für ihren politischen und ideologischen Kampf mißbraucht. Die Gedenkfeier des Todes und der Heiligsprechung Kasimirs organisieren die ultrarechten Aktivisten der litauischen Bourgeoisie in der Emigration und die klerikalen Extremisten in der katholischen Kirche Litauens«, hieß es damals in der Sendung »Kalba Vilnius« (»Hier spricht Vilnius«). Trotz verschiedener Einladungen war 1984 an einen Besuch des Papstes nicht zu denken. Daß er gern nach Wilna gefahren wäre, erklärte Johannes Paul II. ausdrücklich während einer Ansprache in Rom. In der St.-Peter-und-Paul-Kirche in Wilna zelebrierten am 3. März 1984 die Bischöfe L. Pavilonis, A. Vaicius, J. Steponavicius und V. Sladkevicius. Die litauische Predigt hielt der Administrator der Diözese Panevezys, die polnische der Verwalter der Erzdiözese Wilna.
Auf ausdrücklichen Befehl der Regierung wurde der Hauptgottesdienst für Litauer und Polen gemeinsam gefeiert, auch wenn der Platz für ein Volk nicht reichte. Obwohl die Lautsprecher der Kirche seit zehn Jahren funktionierten, waren zum Zeitpunkt des Jubiläumsgottesdienstes die Lautsprecher abgeschaltet, so daß die vielen Menschen vor der Tür und auch die Priester im Altarraum überhaupt nichts hörten. Das Telegramm von Papst Johannes Paul II., das er damals an die Bischöfe und alle Teilnehmer der Feierlichkeiten gerichtet hatte, konnte nicht vorgelesen werden. Bischof L. Povilonis bekam es erst nach den Feierlichkeiten ausgehändigt. Es wurde auch während des feierlichen Gottesdienstes am darauffolgenden Tag nicht verkündet. Am Vorabend der Jubiläumsfeierlichkeiten durfte in der St.-Peter-und-Paul-Kirche, wo schon viele Priester versammelt waren, keine einzige Predigt gehalten und kein Wort über die Feierlichkeiten des folgenden Tages gesagt werden. Es wurde auch nicht gestattet, zu den
Feierlichkeiten mehr Priester als sonst zur Beichtabnahme einzuladen. Die Menschen quälten sich sowohl am Vorabend als auch während der Feierlichkeiten den ganzen Tag in den Reihen vor den Beichtstühlen. Manche von ihnen standen von 10 Uhr morgens bis 17 oder 18 Uhr abends in langen Setdangen, um beichten zu können. Die St.-Kasimir-Kirche, die atheistisches Museum war, wurde streng bewacht. Für die Kinder wurden am 4. März, einem Sonntag, von den Schulen verschiedene Veranstaltungen organisiert, um sie von den Kirchen fernzuhalten. In vielen Orten wurden bereits Ende Februar die Priester verwarnt, Kasimir-Feiern in den Kirchen abzuhalten. Es wurden nur Gottesdienste ohne jede nationale Färbung erlaubt. Im Laufe der Feierlichkeiten kam es in vielen Orten zu manchen unliebsamen Zwischenfällen.
Vor allem Jugendliche wurden am Arbeitsplatz und in der Schule schikaniert, weil sie an den Jubiläumsgottesdiensten teilgenommen hatten. Während der Abschlußfeierlichkeiten des Kasimir-Jubiläums kam es nach der Abendmesse am 23. August zu einem Tumult in der St.-Peter-und-Paul-Kirche. Der Pfarrer von Pociuneliai, Antanas Jokubauskas, stieg zur Kanzel hinauf, um als Gastprediger zu sprechen. Kaum hatte er zu reden begonnen, als der Pfarrer der Kirche, der Dozent des Priesterseminars zu Kaunas, Prancikus Vaicekonis, aus der Sakristei herauskam, zu schreien anfing und mit den Händen deutete, daß die Orgel spielen und die Leute nach Hause gehen sollten. Die Leute bewegten sich aber nicht, und die Orgel blieb still. Der Prediger sprach ruhig weiter. Der regimetreue Pfarrer, der die Beherrschung verloren hatte, griff nach dem Mikrophon, das im Presbyterium stand, aber ein Mann aus der Menge hielt ihn zurück und bat ihn taktvoll, die Predigt nicht zu stören. Als der Pfarrer sah, daß die Leute nicht weggingen und daß der Gastpriester weiterredete, begann er den Prediger zu beschimpfen: »Gläubige, hört nicht auf ihn! Er ist ein Rowdy, er ist kein richtiger Priester! Ich kenne ihn nicht. Die Kirche ist kein Platz für eine öffentliche Versammlung…!«
Plötzlich ging ein Licht nach dem anderen aus. In der Kirche entstand Dämmerung. Als Jakubauskas über die eingekerkerten Priester zu reden begann, schickte der Pfarrer zwei Männer in Chorröcken, um den Prediger von der Kanzel herunterzuholen. Als sie gerade auf die Kanzel steigen wollten, sprang jemand aus der Menge schnell hinzu und hielt einen der Meßdiener an. der andere war aber schon oben beim Prediger und holte ihn herunter. In diesem Moment sprang der Pfarrer in die Menge und wollte bis zur Kanzel vordringen. Die Gläubigen wichen am Anfang zur Seite und machten Platz, nachher aber drang die ganze Menge vor und schob den in Erregung geratenen Pfarrer bis in den Altarraum zurück. Als der Priester A. Jokubauskas von der Kanzel kam, begann die ganze Kirche zu applaudieren. Es ist in Litauen nicht Sitte, in der Kirche zu applaudieren, in diesem Falle aber, da es keine andere Möglichkeit gab, dem Prediger Zustimmung zu bezeugen, klatschten die Gläubigen ungeachtet aller Traditionen so stürmisch in die Hände, daß man nicht einmal mehr den laut über Prediger und Menge schimpfenden Pfarrer hören konnte. Kaum hatte sich das Klatschen etwas beruhigt, beschimpfte der Pfarrer die Gläubigen und den Prediger noch lauter. Um den Pfarrer zum Schweigen zu bringen, fingen die Leute wieder zu klatschen an. Und so ging es wechselweise weiter. Als die Menschen einsehen mußten, daß ihr Pfarrer nicht zu schimpfen aufhörte, fingen sie an, gemeinsam das Lied »Maria, Maria« zu singen, das zu einer Art kirchlicher Nationalhymne geworden ist. »Es war ein trauriger und schauriger Anblick. Es wäre viel leichter zu ertragen, wenn ein Milizbeamter oder ein Regierungsbeamter einen Priester herumziehen oder schlagen würde, als dieses hier…«, schreibt dazu die »Chronik«. Am Abend des nächsten Tages erinnerte der Pfarrer während der Bekanntmachung von der hl. Messe an den gestrigen Vorfall und erklärte, daß die Kirche kein Platz für Politik und öffentliche Versammlungen sei, obwohl sich der Priester A. Joku-bauskas in seiner Predigt nicht mit Politik befaßt hatte, sondern mit den Problemen der Kirche in Litauen. Während der hl. Messe hielt der Pfarrer von Tur-geliai, Dekan K. Vaicionis, die Predigt. Nachdem er zu Beginn kurz über den hl. Kasimir gesprochen hatte, sprach er zum größten Erstaunen der Gläubigen darüber, daß Litauen »in die große Sowjetunion eingegliedert sei«, daß man sich »mit unseren russischen Brüdern vertragen« solle, daß »eine Hoffnung besteht, daß in einer der Kirchen von Wilna die Gottesdienste in russischer Sprache eingeführt werden« und daß »das markanteste Regierungsmerkmal des hl. Kasimir in Litauen die große Sorge um die Katechisierung der Russen« gewesen sei. Es entstand bei den Gläubigen der Eindruck, als sei der Hauptzweck der Predigt, zu beweisen, daß das litauische Volk und die »russischen Brüder« schon immer und ewig die besten Freunde waren. Viele Gläubige lachten, die anderen zuckten mit den Schultern, die dritten wußten nicht, was sie denken sollten.
Am letzten Tag der Feierlichkeiten gab es wieder eine Überraschung. Vor dem Hochamt bat der Pfarrer P. Vaicekonis die Gläubigen, sich auf den Kirchhof zu begeben, um dort die ankommenden Bischöfe zu begrüßen. Die Leute stellten sich auf den Kirchhof bis zum großen Eingangstor und sogar noch weiter bis auf die Straße in Reih und Glied auf und warteten auf die Gäste. Nach längerem Warten hörten die Wallfahrer plötzlich, daß in der Kirche der Gottesdienst begann. Es stellte sich heraus, daß die Bischöfe durch das Seitentor gekommen und durch die Sakristei in die Kirche gegangen waren. Diejenigen, die auf Anweisung des Pfarrers am Haupttor gewartet hatten, fühlten sich hintergan-gen. Die Anweisung in litauischer Sprache, daß die Bischöfe vor dem Gottesdienst durch das Seitentor in die Kirche gelangen sollten, ist, soweit bekannt, von den den Gottesdienst beobachtenden Sicherheitsbeamten gegeben worden. Bei der Predigt von Bischof Vaicius fiel »zufällig« der Lautsprecher aus.
Als 1987 die 600-Jahrfeier der Christianisierung Litauens begangen wurde, war bereits Michail Gorbatschow Generalsekretär in Moskau. Schon 1986 hatten sich zahlreiche Priester der litauischen Diözese an ihre Bischöfe gewandt und gebeten:
1. Mehr Sorge um das Priesterseminar in Kaunas zu tragen, daß nur geeignete Kandidaten aufgenommen werden und nur geeignete Dozenten lehren sollten.
2. Die Priester verlangten, man solle die Instruktion der Kleruskongregation »Quidam episcopi« vom 8. März 1984 befolgen, in der politische Tätigkeit der Priester verboten wird.
3. Man solle die Regierung der Sowjetunion bitten, dem verbannten Apostolischen Administrator der Erzdiözese Wilna, Julijonas Steponavicius, Verwaltung und Leitung seiner Diözese zu gestatten.
4. Sie baten ferner, von Moskau zu verlangen, daß Religionsunterricht erlaubt wird, der bis zum 18. Lebensjahr verboten ist.
5. Die Einstellung der Diskriminierung und Terrorisierung gläubiger Bürger, insbesondere der jungen Generation, zu fordern.
6. Die Rückgabe beschlagnahmter Kirchen und den Neubau von Gotteshäusern zu verlangen.
7. Die Freilassung der verhafteten Priester Svarinskas, Tamkevicius und Matulionis sowie gläubiger Laien zu erwirken.
8. Für die Gläubigen die gleiche Meinungs-, Rede- und Überzeugungsfreiheit zu fordern, wie sie die Atheisten genießen.
9. Sich gegen die Mitsprache der Regierung bei der Auswahl der Kandidaten für das Priesterseminar in Kaunas zu wenden und
10. nicht die Einmischung der Regierung bei der Ernennung von Geistlichen und Besetzung kirchlicher Ämter hinzunehmen.
Wie berechtigt diese Forderungen waren, erfuhr die Welt auch aus anderen litauischen Samisdat-Publikationen. In erstaunlicher Offenheit hatten seit Jahren Litauer protestiert:
Nach der Verhaftung der Priester Alfonsas Svarinskas und Sigitas Tamkevicius verlangten über 130 000 Litauer schriftlich deren Freilassung. In Memel hatten schon 1979 etwa 150000 Menschen die Rückgabe der Kirche Maria Königin des Friedens gefordert. Im Jahre 1987 unterzeichneten 76000 Katholiken eine Petition an die Behörden, als man die Schließung der Christkönigs-Kirche befürchtete. Hätten sich die Prozesse gegen die verhafteten Priester irgendwo anders als in Wilna abgespielt, so hätte sicher die ganze Welt gegen die Räubermanier dieser Prozesse und die Übergriffe gegen Glaubige. die zum Gerichtssaal kommen wollten, protestiert. Junge Priester berichteten schriftlich, wie sie im Priesterseminar vom KGB angeworben wurden. Die Schän-dungen der Kirchen und die brutalen Überfälle auf Pfarrhäuser hörten auch in den ersten Jahren der Amtszeit Gorbatschows nicht auf. So starb 1986 der Priester Juozas Zdebskis bei einem »Autounfall«. Er war einer der Gründer des Komitees zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen im Jahre 1978 gewesen.
Das litauische staatliche Fernsehen brachte nach dem Tod von Zdebskis für die einheimischen Zuschauer eine andere Version des Unfalls, als dies die TASS für das Ausland tat. Über den »Milchwagen«, mit dem das Auto des Pfarrers zusammenstieß, und dessen Fahrer wurden keine Angaben gemacht. Daher schrieb am 23. April 1986 die Untergrundzeitschrift »Chronik der Litauischen Katholischen Kirche« in ihrer Nr. 70: »Das Hinunterstoßen des Priesters B. Laurinavicius unter die Räder eines Lastautos, die sadistische Ermordung der Priester L. Sapoka und Mazeika, die Liquidierung der Helsinkigruppe Litauens, die Anstrengungen, um jeden Preis das Komitee der Katholiken zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen zu vernichten, die andauernden Exzesse des Staatssicherheitsdienstes gegen Priester J. Zdebskis, erlauben die Unterstellung, daß dieser Autounfall kein Zufall, sondern eine sorgfältig vorbereitete und ausgeführte Gewalttätigkeit war, um so mehr deswegen, weil auch verschiedentlich verhindert wurde, die Leiche und die persönlichen Sachen des Priesters J. Zdebskis zurückzubekommen. Das Auto des Priesters J. Zdebskis wurde nach dem Unfall in die Verkehrspolizei von Salcininkai gebracht und dort untersucht. An dem Tag, an dem er ums Leben kam, war das Telefon des Pfarrhauses von Rudamina abgeschaltet, und seine Nächsten erfuhren erst einen Tag später von dem Autounfall. Die Sicherheitsbeamten beobachteten alle Beerdigungsvorgänge aufs genaueste. Die Autos des Sicherheitsdienstes verfolgten aufdringlich jene Jugendlichen, die sich um die Beisetzung kümmerten. Auch als sie nach der Beerdigung schon wieder zu Hause waren, ließen die Sicherheitsbeamten sie noch lange nicht außer acht: wo sie auch hingingen, die Sicherheitsagenten verfolgten sie von früh bis spät.«
Zum Jahresende 1986 berichtete die »Chronik«:
»In der Nacht zum 17. Oktober 1986 wurde der Pfarrer von Pusalotas, Albinas Pipiras (61 Jahre alt), überfallen und schwer verletzt. Schon vorher war A. Pipi-ras per Telefon von unbekannten Übeltätern schikaniert worden. Im August rissen drei Männer und eine Frau am hellichten Tag das Fenster auf und stiegen in das Pfarrhaus ein. Einer der Männer hatte einen Revolver bei sich. Erst als sie im Nebenzimmer mehrere Menschen bemerkt hatten, entflohen die Eindringlinge. Über den Vorfall wurde die Rayonmiliz von Pasvalys informiert, die aber nicht darauf reagierte. Etwa eine Woche vor dem Überfall vom 17. Oktober wurde der Hund vergiftet, der das Pfarrhaus bewacht hatte.
In der Nacht zum 17. Oktober haben vier Personen im Pfarrhaus übernachtet: Der Pfarrer, sein zehnjähriges Patenkind, die 80jährige Tante des Pfarrers und der Sakristan Rimutus Kudarauskas. Der Täter riß ein Fenster der Straßenseite auf und drang in das Zimmer ein, in dem der minderjährige Verwandte des Pfarrers schlief. Nachdem er dem Jungen befohlen hatte, sich den Kopf zuzudecken und ruhig liegenzubleiben, brach er in das nächste Zimmer ein, in dem R. Kudarauskas schlief. Kudarauska wurde zusammengeprügelt und bewußtlos geschlagen.
Später fand man im Zimmer eine Blutlache. Als der Priester A. Pipiras im benachbarten Zimmer den Radau hörte, zündete er das Licht an und sah einen Mann mit einer Maske vor sich, der in einer Hand ein Messer, in der anderen ein kleines Beil hielt. Priester A. Pipiras riß dem Eindringling die Maske vom Gesicht. Der Räuber schlug den Priester mit einigen Beilschlägen auf den Kopf zu Boden und verletzte ihn schwer. Mit eingeschlagenem Schädelknochen und ausgekugeltem rechten Arm wurde der Priester in den Keller hinuntergeworfen. Als der Verbrecher 1500 Rubel gefunden hatte, befahl er dem aus der Bewußtlosigkeit erwachten Sakristan, er solle ihn mit dem Auto nach Memel fahren. Unterwegs hielt er das Messer und das Beil in der Hand, schlief aber im Auto ein, weil er zuviel getrunken hatte. So konnte Kudarauskas entkommen, und herbeigeholte Miliz nahm den Verbrecher fest, der ein Georgier war. Der schwerverletzte Pfarrer wurde am Kopf operiert und blieb am Leben… Die Miliz ging von einem »gewöhnlichen« Verbrecher und Dieb aus, der allein gehandelt habe. Die Zeugen im Pfarrhaus hatten aber mehrere Menschen gesehen und gehört, darunter auch drei rauchende Männer, die unterm Fenster warteten…«.
Auch 1987 war also von Perestrojka in Litauen noch nichts zu spüren. Gegen die Jubiläumsfeier gab es »primitiven atheistischen Materialismus«. So betrachtete der Referent des ZK der KP Litauens. J. Sabakauskas, »die christliche Taufe als Anfang allen Unglücks für Litauen, die russische Besatzung aber als Epoche der nationalen Unabhängigkeit«. Immerhin beurteilte aber auf einer wissenschaftlichen Konferenz in der Staatsbibliothek in Vilnius im Januar 1987 der Philosoph B. Genzelis »die Einführung des Christentums« wie folgt: Auf dem kulturellen Sektor sei der Einfluß des Christentums positiv: Die kulturellen Güter, die die Völker des westlichen Europa geschaffen haben, wurden auch den Litauern zugänglich. Die politische Bedeutung sei angeblich wegen des verstärkten nationalen Einflusses Polens negativ gewesen (obwohl verschwiegen wurde, daß die katholische Taufe die Gefahr, russisch zu werden, vermindert hat). Auf dem religiösen Sektor weigerte sich der atheistische Philosoph ehrenvoll, die Bedeutung der katholischen Taufe Litauens zu beurteilen, denn er könne das als Philosoph der materialistisch-atheistischen Richtung nicht objektiv beurteilen (so die Chronik).
Em anderer Redner erklärte, daß ein »Bulldozzer Atheismus« der litauischen Kultur durch Zerstörung von Kirchen, Kapellen und Kunstwerken großen Schaden zugefügt habe. Andere Wissenschaftler verlangten historisch ehrliche Darstellungen der litauischen Geschichte, wozu die »Chronik« erklärt: »Die Katholiken Litauens wissen, daß, ungeachtet aller von M. Gorbacev verkündeten Reformen und Kampagnen der »Offenheit«, für so eine objektive Beurteilung im heutigen von Atheisten regierten Litauen keine Möglichkeiten bestehen.«
Heute ist es bereits Geschichte, daß Papst Johannes Paul II. auch für dieses Jubiläum Einreiseverbot hatte, nachdem ihm bereits zum Kasimir-Jubiläum 1984 und zur 800-Jahrfeier der Christianisierung Lettlands 1986 nach Riga verwehrt war. Der Funktionär Edvardas Juzenas gab auch die Gründe hierfür an:
— Die antisowjetische Propaganda von Radio Vatikan, insbesondere in den litauischen Sendungen.
— Die Vatikanische Kritik an der Befreiungstheologie.
— Der bisher ungeklärte Status der Erzdiözese Vilnius (die im Annuario Ponti-ficio immer noch unter »Polonia« geführt wird).
— Die Unterstützung litauischer Emigranten durch den Papst.
Die SSR Litauen blieb während der Jubiläumsfeierlichkeiten für kirchliche Besucher aus dem Westen praktisch völlig abgeriegelt. Auch der Erzbischof von Wilnas österreichischer Partnerstadt Salzburg, Dr. Karl Berg, erhielt keine Einreiseerlaubnis. Lediglich Weihbischof Cakuls aus Riga konnte die Katholiken Lettlands vertreten. Auch der Leiter des Außenamtes der russischen orthodoxen Kirche, Metropolit Filaret, durfte teilnehmen, und natürlich als Ehrengäste die Bevollmächtigten für Religionsangelegenheiten, Petras Anilio-nis aus Vilnius und sein Kollege Konstantin Charcev aus Moskau. Kardinal Jaime Sin von Manila durfte erst Mitte Juli (auf Einladung des Moskauer Patriarchats) auch kurz nach Vilnius (und Riga), hatte aber keine Möglichkeiten, mit litauischen Katholiken zusammenzutreffen.
Die bekannte Dissidentin Nijole Sadunaite erklärte in einem uns auf Video vorliegenden Interview, daß nicht einmal die Seminaristen in Kaunas mit dem Kardinal zusammentreffen durften. Über die Teilnahme von Anilionis und Charcev sagte Sadunaite: »Für die Katholiken Litauens war das ein Schlag ins Gesicht. Das gläubige Volk mußte draußen im Regen und Dreck frieren, aber die Totengräber der Kirche, Charcev und Anilionis, saßen als Ehrengäste auf den Thronen«.
Bei der Feierlichkeiten in Litauen, die nur in Vilnius zeitgleich mit den Feiern in Rom stattfinden durften, verglichen die Bischöfe in Predigten die Geschichte der Kirche Litauens mit den Jahreszeiten. »Der jetzt herrschende Winter fallt in diesem Vergleich mit der kommunistischen Zwangsherrschaft zusam-
men, unter der alles gefroren ist, aber die Lebenskeimlinge nicht ausgerottet sind, sondern sich für einen neuen Frühling bereithalten«, konstatierte die Neue Züricher Zeitung vom 29. Juni 1987.
Dieser Frühling kam 1988. Im Sommer 1988 erhielt Litauen einen Kardinal, Vincentas Sladkevicius, der seine Vorstellungen klar äußerte. Verhaftete Priester wurden freigelassen, Kirchen zurückgegeben, der letzte amtsbehinderte Bischof, Grelijonas Steponavicius, kehrte in seine Diözese Wilna zurück.
Kardinal Vincentas Sladkevicius
I. Hoffnungsvolle Veränderungen und schmerzliche Spuren
Jahrzehntelang waren die Katholiken und Bekenner anderer Glaubensgemeinschaften in unserem Lande aus dem öffentlichen Leben ausgestoßen, beschränkt auf die Kirchenwände, die Grenzpfähle von Kirchplätzen und Friedhöfen. Die jetzt entstandenen Veränderungen des öffentlichen Lebens laden uns ein und fordern von uns — der Hierarchie, den Priestern, den Gläubigen, unsere Stellung in der Gesellschaft des Volkes neu zu überprüfen. In wenigen Monaten sind viele Redeverbote gefallen, viele Tabus rückgängig gemacht worden. Es hat sich herausgestellt, daß es nicht wahr ist, daß das Volk fast durchweg atheistisch geworden ist, und daß die christlichen Werte nicht mehr gefragt seien.
In den zwei vergangenen Jahren haben einige hervorragende Kulturschaffende anderer Sowjet-Republiken, und in diesem Jahr auch erstrangige Intellektuelle unserer Republik, sich lautstark über die Bedeutung des religiösen Glaubens für Leben und Moral des Volkes ausgesprochen. Jetzt ist es öffentlich anerkannt, daß die Seele unseres Volkes nicht nur durch zwangsmäßige Kollektivierung der Landwirtschaft und ungünstige Verstädterung, sondern auch durch rücksichtslose Atheisierung schwer geschädigt wurde. Das Gewissen der Menschen wurde verstümmelt, weil sie reden mußten nicht das, was sie dachten, und nicht das tun, was sie sagten; weil sie das verachten mußten, was ihre Eltern und vielleicht auch ihnen selbst heilig war. Gott sei Dank, Persönlichkeiten erleuchteten Geistes haben das erkannt und von den höchsten Stellen aus verkündet: »So kann man nicht weiterleben!« Und ein Strom hat sich Bahn gebrochen. Hat viele Ungerechtigkeiten der jüngsten Vergangenheit bloßgelegt, viele Fehler und Verbrechen, und verlangt dafür die Strafe. Wie sieht das die Kirche?
Die Kirche propagiert keine Rache, auch wenn sie anerkennt, daß man Verbre-chen gegen die Menschlichkeit, gegen Freiheit und Leben unschuldiger Menschen nicht leichtsinnig vergessen darf. Indem sie eine geistige und innere Selbstreinigung der Gesellschaft erstrebt, erwartet die Kirche vor allem das Erwachen des Gewissens. Die Kirche und die Gläubigen werden die Menschen achten, die von sich aus auf Ehrentitel, Medaillen, Privilegien verzichten, die sie im Dienste des Vernichtungsmechanismus unschuldiger Menschen erworben haben, und die auferlegte Strafe als Läuterung annehmen. Schwerlich sind auch Gläubige unter den Menschen gewesen, welche die Verschleppungen organisiert oder durchgeführt, die Verhafteten gequält, Todesurteile oder Urteile langjähriger Verbannung unterschrieben haben. Leider gab es, oder gibt es vielleicht auch jetzt noch eingeschüchterte Gläubige unter den Agenten — in der schamlosen Armee der Denunzianten und geheimen Informanten, die bei jenen schrecklichen Abscheulichkeiten mitgewirkt haben und auch jetzt noch den Unterdrückungsmechanismus unterstützen. Diese gläubigen Menschen, insbesondere die kirchlichen Mitarbeiter, warnen wir mit größtem Nachdruck: Täuscht euch nicht, beschönigt euren Kleinmut nicht, bedenkt die schmerzliche Verantwortlichkeit vor Gott! Kein Preis darf dafür zu hoch sein, damit ihr endlich als freie Menschen mit gutem Gewissen euch fühlen könnt!
Augenblicklich werden ständig zwei verhängnisvolle Abschnitte der neuesten Landesgeschichte genannt: Personenkult des Diktators und die Erstarrung oder Stagnation. Wie haben diese Zeitabschnitte das kirchliche Leben berührt?
In der Zeit des Personenkultes des Diktators hat die Kirche gelitten. Vier von fünf Bischöfen und jeder dritte Priester in Litauen wurden verhaftet und eingekerkert (Bischof Vincentas Borisevicius wurde erschossen, Erzbischof Mecis-lovas Reinys starb im Gefängnis).
Verhaftet und verbannt wurden viele aktive Mitglieder von kirchlichen Organisationen. Schaffende christliche Kultur, viele treue Gläubige, die gesamte katholische Presse, Schulen, Organisationen, Bruderschaften verboten, die Ordensleute auseinandergejagt, nicht wenige Kirchen und drei Priesterseminare geschlossen, die Kloster- und Seminarbiblikotheken beschlagnahmt. Die Kirche hat schmerzlich gelitten, aber in dieser Zeit blieb sie die einzige Institution im ganzen Land, die den Diktator nicht verherrlicht hat. Beim Tauwetter nach dem Tod des Diktators sind viele Betroffene, die am Leben geblieben sind, in ihre Heimat zurückgekehrt, aber man hat weder die religiöse Presse, noch Schulen, noch Vereine wieder zugelassen, ja man hat erneut Kirchen zugeschlossen, systematisch die Wegkreuze und Bildstöcke vernichtet. Der Kampf gegen den Glauben in der Presse und in den Schulen wurde verstärkt, Intellektuelle und Angestellte antireligiösen Pressionen ausgesetzt; durch Drohungen wurden Kinder und Jugendliche von den Altären weggejagt, und weil der Bischof von Vilnius, Julijonas Steponavicius, dagegen protestiert hat, wurde er nach Zagare verbannt und darf bis heute sein Amt nicht ausüben.
In der Stagnationszeit war man sehr bestrebt, die Erstarrung auch der Kirche aufzuzwingen. Durch die sogenannte Registrierung der Geistlichen und andere Kanäle, haben atheistische Beamte konsequent dafür gesorgt, daß die Kirchen in den Städten und andere wichtige kirchliche Stellen möglichst durch solche Priester besetzt wurden, die bereit sind, in der Seelsorge leise und unbeweglich zu sein, die, wenn sie auch Renovierungen vornehmen und die Kirchenwände sauber und glänzend halten, sich aber nicht kämpferisch für die Seelen einsetzen. Drei Priester wurden mit Freiheitsentzug wegen Kinderkatechese bestraft, drei weitere dafür, daß sie »zu früh« die »Glasnost«-Ära angefangen haben.
Die Stagnation hat in einem Vierteljahrhundert sehr tiefe Wurzeln geschlagen und zur Zeit vermag sowohl der Allunionsrat für Religionsangelegenheiten als auch einige Vertreter in unserer Republik sich sehr schwer umzustellen auf einen Dialog mit der Kirche, wollen immer noch diskutieren und verwalten; hohe Funktionäre befürworten immer noch Kandidaten der Stagnation in verantwortungsvolle Posten. Und andererseits, auch wenn auf dem Sektor der Kultur und Information schon erfrischende Erneuerungswinde wehen, sind viele Mitarbeiter der Kirche voller Angst, glauben nicht an den Emst der Umgestaltung und wagen deshalb weder ein mutigeres Wort, noch versuchen sie zu den gewaltsam entrissenen Positionen zurückzukehren.
II. Zeitgemäße Aufgaben der Priester und Gläubigen
Die Geschichte zeigt, daß die Kirche unter verschiedenen wirtschaftlichen und staatlichen Systemen zu überleben vermag. Aber die Kirche darf sich nicht damit abfinden, daß die Bereiche ihrer Tätigkeit ungerecht beschnitten werden, daß Menschenrechte verletzt werden. Die Geschichte zeigt, daß die Freiheit niemandem und niemals geschenkt wurde, sondern daß sowohl einzelne Menschen, als auch die Gesellschaft, bei günstigen Umständen selbst als freie Menschen auftreten müssen. Deshalb können wir heute nicht mehr langerauf die seit drei Jahren versprochenen und immer wieder verschobenen neuen gesetzlichen Regelungen der Kirchenfragen warten, da bis jetzt nicht einmal Projekte vorgelegt wurden! Die verantwortlichen hohen Instanzen haben erklärt, daß die bisherigen Bestimmungen überholt seien und wir werden sie als solche behandeln. Deshalb:
1. Die Bischofskonferenz, die Bischöfe, Bistumsverwaiter und die Leitung des Priesterseminars werden ab jetzt regelmäßig den Bevollmächtigten des Rates für Religionsangelegenheiten ihre Beschlüsse über Ernennungen von Geistlichen, Aufnahmen in das Priesterseminar, mitteilen, aber kein vorheriges Einverständnis abwarten. Weil die sowjetische Regierung das Konkordat der Republik Litauen mit dem Apostolischen Stuhl annulliert und Nichteinmischung in die kanonische Tätigkeit der Kirche deklariert hat, hat die Verwaltung dieser Angelegenheiten durch die Behörde des Rates für Religionsangelegenheiten, durch die Rayonregierung und andere Organe keine juristische Grundlage und muß aufhören. Nur so kann auf kirchlichem Gebiet ein Schritt in Richtung eines Rechtsstaates getan werden, womit sich neulich ein bedeutendes Forum beschäftigt hat.
2. Die Priester, Pfarrer und Kapläne (und die ihnen behilflichen anderen Priester) werden öffentlich die Kinderkatechese und den Religionsunterricht für Jugendliche durchführen, wie es auch in den Jahren 1945 bis 1947 gewesen ist. Die Pfarrer werden zu Beginn und am Schluß des Schuljahres, der Winter- und Frühlingsferien, an den großen Feiertagen und bei ähnlichen Anlässen Gottesdienste für die Schuljugend durchführen, nach entsprechender vorheriger Bekanntmachung. Wenn auch die Schule von der Kirche getrennt ist, so sind doch die Schüler und Studenten durch keine Gesetze von ihr getrennt und die Kirche ist zu deren Seelsorge verpflichtet (vgl. CIC, can. 773—780).
3. Die Hierarchie, die Geistlichen und die Gläubigen werden nicht aufhören zu fordern, daß die Wiege der Christenheit Litauens — die Kathedralskirche von Vilnius - den Gläubigen zurückgegeben und die Entweihung der für alle so kostbaren Kirche des heiligen Kasimir beendet, daß möglichst bald die Kirche in Klaipeda wiederhergestellt und zurückgegeben wird, daß Genehmigungen zum Bau neuer Kirchen dort erteilt werden, wo diese nach Entscheidung der Hierarchie für die Gläubigen nötig sind: In den neuen Städten und den neuen Wohnvierteln der Großstädte. Die Kirchen werden die Gläubigen durch ihre Opfer erbauen. Die Staatsfinanzen werden sie nicht belasten.
4. Wir werden nicht aufhören, bei allen zuständigen Instanzen anzuklopfen, um die Freiheit der religiösen Presse wiederherzustellen. Man möge uns jährlich genügend Menge Papier zuteilen, entsprechend dem Anteil der Gläubigen an der gesamten Volkswirtschaft, und dann werden wir — Hierarchie und die Gläubigen — entscheiden, für welche Publikationen und wie hohe Auflagen wir das Papier verwenden. Da der Staat vor 40 Jahren Hunderte von kirchlichen Gebäuden und mehr als ein Dutzend Druckereien beschlagnahmt hat, soll er nicht so tun, als ob er etwas schenken würde, wenn er Räume für die kirchliche Presse und Polygraphie, Diözesanbibliotheken, Kirchenmuseen, katholische Informationszentren, Clubräume für Gläubige und ähnliches gibt, sondern daß er lediglich ein großes Unrecht wieder gutmacht.
5. Die Pfarrer von geöffneten Kirchen läuten wieder normal die Glocken. Die Priester geleiten die Toten offen mit religiösen Zeichen in den Orten, wo Fußgängerverkehr auf der Straße nicht verboten ist.
6. Die gläubigen Laien mögen bereit sein, unter Ausnutzung von kooperativen Formen, durch Gründung von informellen Gruppen und auch individuell die Fürsorge der Alten, Invaliden, Waisen, Kranken und anderer Hilfsbedürftiger in Angriff zu nehmen, für Kinder und Jugendliche gläubiger Familien die Freizeit mit religiös ausgerichteten Ausflügen und alkoholfreie Abende zu organisieren, Pilger- und Bildungsfahrten und ähnliches zu veranstalten. Wir befürworten die von der Regierung durchgeführte Nüchternheitsaktion, ermahnen die Priester, ein gutes Beispiel echter Nüchternheit zu geben, Nüchternheitstage und -wochen in den Pfarreien durchzuführen, nach dem Beispiel von Bischof M. Valancius kirchliche Nüchternheitsbruderschaften zu gründen. Die Gläubigen laden wir ein, sich an dieser lebenswichtigen Arbeit in jeder Hinsicht zu beteiligen.
7. Wir ermahnen die gläubigen Laien, gemäß den Beschlüssen des IL Vatikanischen Konzils (Dogm. Konst. über die Kirche, Nr. 36-37} die allgemeinen Bestrebungen der Erneuerung und Demokratisierung auf die ihnen mögliche Weise zu unterstützen und in den entsprechenden Bewegungen die katholischen Belange zu vertreten, die hier aufgezählt sind und die noch anstehen. 1940 und 1948 wurde mit einem Schlag maßlos viel von der Kirche weggenommen. Es wäre gerecht, zu erwarten, daß in diesen Jahren der Umgestaltung vieles auf einmal zurückgegeben wird. Aber trotzdem haben wir. die Hierarchie, vor, geduldig zu sein und ermahnen auch unsere Landsleute, geduldig zu sein, nicht alles auf einmal zu fordern, die Gesinnung von Feindseligkeit und unüberlegte Handlungen zu vermeiden. Man darf aber nicht vergessen, daß die gläubige Bevölkerung nur dann geduldig bleiben können wird, wenn sie konkrete Schritte sieht.
P.S. Bereits voriges Jahr haben die Bischöfe in ihrem Hirtenschreiben zum Tag der Jubiläumsfeier der Taufe Litauens erklärt (siehe Katholischer Kalender - Informationen 1988, S. 79): »Brüderlich danken wir allen, die mit der Kirche fühlen, allen, die wegen innerer und äußerer Hindernisse meinen, nicht alle Sakramente empfangen zu können, die aber die Werte des Evangeliums hochschätzen, durch ihren Lebenswandel, ihr Wort und ihr Kulturschaffen den christlichen Geist vertreten; allen, die in ihrer Umgebung die Bestrebungen der einzelnen Gläubigen und der ganzen Kirche unterstützen und beschirmen.« Zu diesen Worten fügen wir unseren ausdrücklichen Dank hinzu allen Kulturschaffenden unseres Volkes, die vom Gerechtigkeitssinn geleitet, immer stärker ihre Stimme für christlich-moralische und kulturelle Werte «heben, gegen deren Verachtung und gegen die Diskriminierung der Gläubigen.«
Aus: Kaunas aidas (Echo von Kaunas), 22. April 1988
Interview mit dem Vorsitzenden der Liturgiekommission der Litauischen Bischofskonferenz, Priester Vaclovas Aliulis MIC
Frage: Wie steht es um die Religiosität der Litauer, wie können Sie diese charakterisieren?
Antwort: Ich möchte eher von den Katholiken Litauens sprechen, ohne unbedingt die Litauer herauszuheben, denn wir glauben, daß etwa zehn Prozent der Katholiken (in Litauen) Polen oder Personen sind, die polnisch beten, obwohl sie im Alltag weißruthenisch sprechen. Zwischen diesen beiden Bevölkerungsgruppen besteht ein Unterschied. Ich möchte sagen, die polnische Frömmigkeit ist traditioneller, was z. B. darin zum Ausdruck kommt, daß ein Angehöriger der polnischsprachigen Gruppe jeden Sonntag die heilige Messe besucht, aber nur einmal im Jahr zur Beichte und zur Kommunion geht. Wenn dagegen ein Litauer jeden Sonntag die Kirche besucht, dann beichtet er drei-bis viermal im Jahr. Ich meine, die Religiosität der Litauer ist bewußter. Aber dafür gibt es in der polnischen Gruppe prozentual wohl mehr solche, die in die Kirche gehen, als in der litauischen Gruppe…
Frage: Lassen sich in Litauen Unterschiede zwischen der Religiosität auf dem Lande und in der Stadt beobachten, die für Polen -.insbesondere in der Zeit vor einigen Jahrzehnten - so charakteristisch waren: auf der einen Seite das in traditioneller Weise gläubige Dorf, auf der anderen Seite die sich allmählich laizisierenden Stadtbewohner?
Antwort: Lange Zeit war das Dorf, das gegenwärtig sehr an Menschen verliert und überaltert, der Hort der Religiosität. Die alte Generation bewahrt den Glauben, die junge Generation ist vom frühen Morgen bis zur Abenddämmerung sehr mit der Arbeit auf dem Felde überlastet. Und so kommt sie den religiösen Verpflichtungen nur mühsam nach und und hat keine Zeit für die religiöse Erziehung der Kinder. Außerdem bereitet der Schuldirektor oder der
Schulinspektor, wenn er besonders eifrig ist — und dies mehr wegen seiner Karriere als wegen seiner Überzeugung —, den Kindern Unannehmlichkeiten oder bemüht sich persönlich, sie (vom Atheismus) zu überzeugen. Kann aber ein Kind zur Verteidigung seines Glaubens gegen einen Lehrer antreten? Obwohl auch das vorkommt. Ich will ein drastisches Beispiel anfuhren. In Südlitauen fragt eine Klassenlehrerin die Schüler nach Ostern, wer in der Kirche gewesen sei. Fast alle. Deshalb fragt sie einen Jungen: »Und woran glaubst du?« Er steht auf und spricht das Glaubensbekenntnis, dann fragt er. »Und Sie, woran glauben Sie?« Und sie vermochte ihm nicht zu antworten. Sporadisch kommen auch solche Fälle vor, solche Fälle einer schönen Haltung. Es verlagert sich jetzt der Schwerpunkt in die Städte, wo es nicht allzu große, aber sehr bewußte Schichten gibt, die sehr stark mit der Kirche verbunden sind und ihr helfen. In Wilna (Vilnius) kann z. B. jeder Ankömmling mit Leichtigkeit feststellen, wie viele Jugendliche am Altar zu finden sind.
Frage: Wie viele Kinder sind getauft? Wie sieht ihre weitere religiöse Erziehung aus? Gehen viele von ihnen zur Ersten Heiligen Kommunion. Antwort: Es läßt sich schwer sagen, wie viele Kinder getauft sind, denn wir führen keine Statistik, noch haben wir je versucht, eine zu führen. Persönlich vermute ich, daß mindestens zwei Drittel der Kinder getauft werden. Mehr als die Hälfte von ihnen geht danach zur Erstkommunion. Die Vorbereitung auf die Erstkommunion ist sehr schwach. Offiziell dürfen nur die Eltern ihre Kinder in den Glaubenswahrheiten unterrichten. Aber da geschieht mehr, manchmal hilft bei der Unterweisung ein Priester, manchmal eine fromme Person oder aber jemand, die man als Ordensschwester ansehen kann, obwohl offiziell Orden nicht existieren. Das sind Personen, die Gelübde ablegen und ein ordens-gemäßes Leben führen. Eine solche Katechese vor der Erstkommunion wird drei Wochen lang während der Sommerferien durchgeführt. Aber häufig ist sie von kürzerer Dauer, denn die Kinder drängt es zu den (Sommer-)Lagem und in die Sommerfrische.
Ein ernstes Problem bildet die Tatsache, daß nicht allzu viele Familien ein ausreichendes religiöses Bewußtsein haben. Natürlich, sie führen ihre Kinder bei der Erstkommunion gern zu einem schönen Fest und gehen selber auch zum Tisch des Herrn, aber schon eine Woche später sind sehr wenige Kinder in der Kirche. Es ist gut, wenn die Kinder am Anfang des Schuljahres und zu Weihnachten ein zweites Mal in die Kirche kommen, aber kaum jemand kommt ein Jahr später zur Osterbeichte. Es ist schmerzhaft, daß viele Kinder aus praktizierenden Familien schon im Alter von 15 bis 16 Jahren religiös gleichgültig werden. Manche erliegen überhaupt in der Schule dem ständigen Einpauken, daß Religion nur Rückständigkeit beideute, daß sie sich mit der Wissenschaft nicht vereinbaren lasse usw. Sie werden ganz einfach gleichgültig, weil sie nicht wissen, wie es wirklich ist. Das religiöse Bewußtsein ist sehr schwach entwickelt, denn woher sollen sie ihr Wissen vervollständigen. So bleiben also im Alter von 20 Jahren nur wenige Jugendliche übrig, die offen praktizieren. Die, welche übrig bleiben, sind ausgezeichnet, sie sind entschlossen, ihr Leben nicht von der Kirche zu trennen. Sie beteiligen sich an den Prozessionen, sie dienen bei der heiligen Messe, und zwar sowohl Jungen wie auch Mädchen.
Frage: Und wie viele Personen lassen sich kirchlich trauen? Antwort: Kirchliche Trauungen sind sehr zahlreich, denn heute haben die Menschen schon weniger Angst als früher. Wenngleich vor etwa zehn Jahren von der Medizinischen Fakultät sechs Assistenten entfernt wurden, die kirchlich geheiratet hatten. Ähnliche Fälle kommen auch heute vor. Leider sind die jungen Leute auf die Ehe wenig vorbereitet. Auf dem Lande ist kaum jemand imstande, eine Brautleutepastoral durchzuführen, denn dort finden überhaupt kaum Eheschließungen statt. In den Städten wird ein Unterricht durchgeführt, und die jungen Leute kommen gem. Aber manche Pfarrer schauen durch die Finger, also gehen die jungen Leute dorthin, wo geringere Anforderungen gestellt werden, was natürlich ihnen selbst schadet. Bei der Trauung gehen manche zur Erstkommunion, weil sie es früher nicht getan haben. Manchmal tun sie das ehrlich im Glauben, manchmal nur um der Form willen, weil es sich so gehört. An ihnen wird man wenig Freude haben, denn sie werden nicht praktizieren. Aber diejenigen, die sich selber bekehren, ohne Zusammenhang mit einer Eheschließung, sind sehr treu und eifrig, so wie Konvertiten eben sind. Es gibt junge Konvertiten im Alter von 20 bis 30 Jahren. Davon gibt es verhältnismäßig mehr unter den jungen Künstlern, die weniger abhängig sind und die das Bedürfnis nach Spiritualität empfinden.
Frage: Wie sieht es mit den kirchlichen Begräbnissen aus? In Polen werden sogar manche Nichtpraktizierenden, ja bisweilen sogar nichtglaubende Menschen kirchlich beerdigt, weil es ihre Familie so will. Ist in Litauen das Begräbnis auch eine Bekundung von Religiosität?
Antwort: Nein, mit den Begräbnissen haben wir ein Problem, denn nicht alle Katholiken - sogar wenn sie sehr gut praktizierende Katholiken sind — haben ein kirchliches Begräbnis. Grund ist die Feigheit der Familie des Verstorbenen, die Angst hat, wenn ein Begräbnis mit Priester erfolgt, dann werde keiner vom Betrieb kommen und man werde vom Betrieb keine Unterstützung erhalten. Man bestellt also nur früh einen Trauergottesdienst für ein paar Personen, danach gibt es dann nur das weltliche Begräbnis. Und so helfen die armen Menschen die Illusionen zu schaffen, daß Litauen nicht mehr katholisch sei. Es gibt aber auch bewußte Familien.
Manchmal wird Druck angewandt. Als z. B. eine Lehrerin aus der Gegend von
Wilna ihren kleinen Sohn kirchlich bestatten ließ, da versandte das Volksbildungsministerium in ganz Litauen ein Rundschreiben, in dem sie gegeißelt wurde, denn so »darf ein fortschrittlicher sowjetischer Lehrer nicht handeln« …
Früher war es schwierig, den Kranken in den Spitalern die Sakramente zu geben, jetzt gibt es die Schwierigkeit nicht mehr. In jedem Krankenhaus kann man den Kranken besuchen — auf seine Bitte oder die Bitte seiner Familie hin.
Frage: Wie sieht in Litauen die Seelsorgsarbeit aus? Entwickelt sich auch hier die in Polen so populäre Standesseelsorge?
Antwort: Eine Standesseelsorge gibt es nicht. Es ist verboten, Gottesdienste für Gläubige gemäß ihrem Alter oder ihrem Geschlecht zu organisieren. Und so sind besondere Gottesdienste für Jugendliche, für Frauen oder Studenten verboten. Es dürfen nur Gemeinschaftsgottesdienste stattfinden, in denen wir uns jedoch besonders an die Jugendlichen wenden können.
Frage: Reicht die Zahl der Kirchen aus, um die Seelsorgstätigkeit durchzuführen?
Antwort: Für ein kleines Land haben wir eine Vielzahl von Gotteshäusern, aber in Wilna und anderen Städten, wo neue Stadtteile entstanden sind, besteht ein Bedarf an neuen Kirchen. Als man sich an die staatlichen Behörden mit der Bitte um eine Baugenehmigung wandte, da antwortete leider der Bevollmächtigte des Rates für Religionsangelegenheiten, Anilonis, in der Zeitschrift »Literatur und Kunst«: »Wie können wir uns mit dem Bau von Kirchen in neuen Siedlungen einverstanden erklären, wenn es dort noch kein Kino und noch kein Kulturhaus gibt. Das bedeutet, die Gläubigen würden privilegiert sein, denn sie würden Kirchen am Ort haben.« Das klingt so, als sollte die Regierung uns Kirchen bauen. Wir aber brauchen ja nur ein Papierchen, demzufolge man bauen darf. Nun, wir hoffen jedoch, daß sich auch das ändern wird.
Frage: Aus welchen Quellen finanziert sich die Kirche in Litauen? Antwort: Was die Unterhaltung der Kirche betrifft, so helfen uns die Gläubigen sehr gern und sehr freigebig. Einstmals diente als Grundlage des Unterhalts der Geistlichen die den Pfarreien beigegebene Landwirtschaft, aber davon haben sie uns befreit. Und wir sind ihnen und dem Herrgott dafür dankbar. Die Priester haben jetzt die Hände frei und können sich ausschließlich mit Dingen der Kirche befassen. Die Leute lassen sie nicht im Stich, deshalb kann der Priester beruhigt sein, was seinen Lebensunterhalt angeht, auch wenn es eine Weine Pfarrei ist, und in der Stadt geht es ihm auch recht gut. Die Gotteshauser sind restauriert und gepflegt, denn der Priester, der der Möglichkeit beraubt ist, Religionsunterricht zu geben und in katholischen Organisationen zu wirken, zeigt seine ganze Energie, indem er sich mit der Ausstattung und dem Aussehen der Kirche befaßt. Manche sind darüber nicht allzu froh, denn was bringt das schon, schöne, aber leere Kirchen zu haben.
Manche, insbesondere jüngere Priester, suchen persönliche Kontakte und fangen an, die Pfarrangehörigen daheim aufzusuchen. 1961 wurde das unter dem Vorwand verboten, man dürfe in den Häusern keine Spenden sammeln. Da aber der Priester nur die Familie aufsucht, ohne Geld zu nehmen, gibt es keine Grundlage, dies zu verbieten.
In der großen Stadt ist das unmöglich, denn man weiß nicht, wer wo wohnt und wer sich das wünscht. Aber schon in der Kreisstadt ist das möglich. Das belebt die Kontakte von Seelsorger und Gläubigen sehr.
Frage: Wie stellt sich die Situation der religiösen Literatur in Litauen dar, wie groß ist das Interesse am katholischen Buch?
Antwort: Bei uns ist es so wie im 16. Jahrhundert, es gibt nur das liturgische Buch, den Katechismus und die Heilige Schrift. Kürzlich kam ein Kalender hinzu. Denn schon im 17. Jahrhundert gab es eine Menge erbaulicher und wissenschaftlicher Literatur. Wann wir aus diesem Zustand des 16. Jahrhunderts herauskommen werden, weiß ich nicht.
Was eine periodisch erscheinende katholische Zeitschrift angeht, so gibt es in dieser Hinsicht nicht einmal beim Klerus Einmütigkeit. Die gläubige Intelligenz wünscht sich das sehr. Ein Teil der Priester, sagen wir einmal der militantere, fürchtet, daß man diese Zeitschrift in einer solchen Form herausgeben muß, die für uns nicht akzeptabel sein wird, daß man Druck ausüben wird, diese Zeitschrift der »Zeitschrift des Moskauer Patriarchats« (der russisch-orthodoxen Kirche) anzugleichen, deren Stil uns nicht zusagt. Ich selber teile diese Befürchtung nicht, denn der Kalender, den wir herausgeben, zeigt, daß man ernsthafte religiöse Artikel drucken kann und daß die Zensur nicht so grausam ist. Sie bitten, daß man etwas wegläßt oder anders formuliert, aber damit kann man leben. Wir müssen uns selber darum bemühen, daß die Zeitschrift ein gutes Niveau hat. Und ich bin Optimist.
Frage: Welche Art religiöser Literatur kommt gut an bei den Lesern? Antwort: Gut in der Heimat bekannt ist der populäre (litauische) Schriftsteller Antanas Maceina, dessen sämtliche Werke aus dem Grenzbereich von Religion und Philosophie bereits aus Amerika zu uns gelangten und in Schreibmaschinenabschriften verbreitet wurden. Sehr viele fremde Bücher werden ins Litauische übersetzt und mit der Schreibmaschine vervielfältigt. Hunderte von Positionen sind, wenngleich manchmal sprachlich nicht allzu korrekt, übersetzt worden.
Ein besonderes Gebiet stellt die Erbauungsliteratur dar: kleine Büchlein mit Gebeten, Offenbarungen, Bildchen u.ä. Anfällig für sie sind besonders die frommen Frauen, bisweilen auch Priester. Sie wird ziemlich stark verbreitet, aber es ist wohl schade um eine so oberflächliche Frömmigkeit, denn man kann sich ja mit seriöserer Literatur befassen. Aber der Bedarf ist wohl so.
Frage: Nutzt die Kirche in Litauen religiöse Literatur aus dem Ausland? Antwort: Vom Ausland kommt die meiste Literatur aus Polen. Wir teilen sie uns mit den polnischen Katholiken (in Litauen), mit der Intelligenz und mit den Priestern. Eine beträchtliche Zahl junger litauischer Priester lernte Polnisch, um polnische religiöse Literatur nutzen zu können. Denn es fällt viel schwieriger, Literatur in anderen Sprachen zu bekommen. In deutscher Sprache kommt ein wenig Literatur aus der DDR sowie aus Osterreich, vielleicht deshalb, weil das ein neutraler Staat ist. Die junge Priestergeneration hatte zumeist schon in der Oberschule Englisch, aber leider kommr sehr wenig englische Literatur. Vielleicht sind sogar unsere litauischen Brüder in England und in den Vereinigten Staaten nicht darüber orientiert, wie sehr wir englischsprachige Literatur benötigen. Wir können sie auch über Wien erhalten. Manchmal kommt Literatur herüber, die in den Vereinigten Staaten in Litauisch gedruckt ist.
Frage: In Litauen wohnt nur ein Teil der katholischen Bewohner der UdSSR. Katholiken gibt es auch in Weißruthenien, in der Ukraine, in Lettland, ja auch in Kasachstan und in Sibirien. Unterhält die Kirche von Litauen Kontakte mit Katholiken in anderen (sowjetischen) Republiken?
Antwort: Mit Lettland unterhalten wir leider nicht so nahe Kontakte, wie sie meiner Meinung nach sein müßten. Irgendwie haben wir immer eine »etwas kühle« Brüderlichkeit zu den Letten. Man hat nichts gegen einander, aber es gibt irgendwie keine herzliche Nähe. Jede Nation hält sich für die stolzere. Einst hielt Lettland sich für zivilisierter und reicher… Heute freunden sich ein wenig die Menschen im Grenzgebiet sowie die Schriftsteller an. Im kirchlichen Bereich gibt es ein wenig Zusammenarbeit zwischen den Liturgiekommissionen, bei den Seminaren steht es damit sehr schwach. Was die Bischöfe angeht, so fahren sie eher nur zu den Begräbnissen der jeweils anderen. Es gibt keine Möglichkeit für die Kontakte anderer (sowjetischer) Republiken zu Litauen… Man nimmt Priester aus Litauen nicht zur Arbeit in anderen Republiken an. Man warnt auch die Theologiestudenten aus (dem lettischen) Riga, sie sollten nicht nach Litauen fahren und keine Kontakte zu Litauern knüpfen. Die Theologiestudenten kennen sich dennoch ein wenig, obwohl es bisher keine offizielle Begegnung der Theologiestudenten gegeben hat. Mit Weißruthenien unterhalten die polnischen Priester aus der Wilnaer Gegend Kontakte, denn sie stützen einander spirituell und patriotisch. Im (Ma-rienheiligtum) Spitzer Tor in Wilna gibt es bei den Hauptfeierlichkeiten im November stets eine Konzelebration in polnischer Sprache mit Priestern aus Weißruthenien. Wilna ist auch die materielle Stütze für die Kirche in Weißruthenien. denn hier versorgen sich die Priester mit Paramenten, mit Büchern und liturgischen Gewändern. In Weißruthenien liegt auch ein bedeutender Teil der Erzdiözese Wilna, aber den (bischöflichen) Administratoren aus Wilna ist es nicht erlaubt, die Kirche auf dem Gebiet der Bjelorussischen Sozialistischen Sowjetrepublik zu verwalten. Aber die Priester und Gläubigen kommen gern hierher zur Beichte und zur Heiligen Kommunion, recht häufig auch zur Erstkommunion und zur Trauung…
Mit der Ukraine gibt es nur geringe Kontakte, wenngleich auch von dort Gläubige zum (Marienheiligtum im) Spitzen Tor in Wilna kommen. Die Ukraine ist jetzt die Wiege geistlicher Berufungen für alle Kirchen, für die lateinische, für die unierte und für die orthodoxe — aus dem Kreis der ehemaligen Unierten. In der Ukraine überwiegen junge Geistliche, die in der Katechese und in den Predigten schon die ukrainische Sprache gebrauchen. Sie suchen dort auch nach irgendwelchen Formen des Ordenslebens, wenngleich ohne Klöster… Kontakte werden mit Estland unterhalten, auf einer etwas anderen Basis, denn Estland ist fast ganz lutherisch. Vor dem Krieg gab es 14 Prozent orthodoxe Esten, die diesen Glauben im 19. Jahrhundert aus materiellen Gründen angenommen hatten. Heute hat die Orthodoxie in Estland keinen Zuspruch, und es fehlt hier an Priestern' estnischer Herkunft. Offizielle Kontakte unterhält unsere Liturgiekommission mit der estnischen lutherischen Kommission. Wir unterhalten Kontakte hauptsächlich in der Frage der Übersetzungen der Heiligen Schrift. Aus Estland kommen häufig junge Katholiken nach Lettland — Konvertiten —, die mehr aus dem katholischen Geist schöpfen wollen. Sie sagen, in Litauen ist alles Religiöse katholisch, und das hat für sie große Bedeutung.
Frage: Die litauische Kirche unterhält wenig Auslandskontakte. Die Bischöfe fahren seit kurzer Zeit häufiger nach Rom. Wie gestalten sich die Kontakte der Kirche in Litauen zu anderen Kirchen in Mitteleuropa?
Antwort: Nach Wilna kommen zahlreiche Priester aus Polen gereist, nach Polen fahren die polnischen Priester aus dem Wilnaer Gebiet. Sie stützen dadurch den polnischen und den katholischen Geist. Die Priester aus Polen fahren alle zu der polnisch-sprachigen Heilig-Geist-Kirche. Es liegt ihnen sehr daran, den polnischen Geist zu stützen. Das festigt den polnischen Patriotismus bei den Ordensschwestern, die unter ihrem Einfluß stehen. Das geschieht z. B. so bei der Kongregation der Eucharistieschwestern, die Erzbischof Matulewicz (Matulaitis) mit dem Gedanken gründete, das Apostolat unter den Weißruthenen zu fördern. Da diese Priester, die das Polentum festigen, zugleich auch die Kirche festigen, so mögen sie kommen. Es wäre schön, wenn sie es wahrlich im
weitgefaßten katholischen Geiste täten, demzufolge nicht nur der Pole Katholik sei, sondern auch der Litauer und Weißruthene Katholik sein kann. Kontakte mit Katholiken in anderen Ländern sind sehr schwach entwickelt. Die vielleicht besten Kontakte gibt es mit der DDR, von wo zweimal Delegationen von Bischöfen kamen, an ihrer Spitze Kardinal Bengsch und der spätere Kardinal Meisner. In die DDR fuhren mehrmals Professoren des Priesterseminars in Kaunas, um das Theologiestudium in Erfurt zu besuchen. Auch der Rektor des Seminars unterhält Kontakte mit Priestern aus Deutschland, denn er nimmt an der Berliner Konferenz teil. Aus Ungarn war Kardinal Lekai bei uns, unsere Bischöfe waren in Ungarn vor 28 Jahren. In diesem Jahr kam unerwartet Kardinal Sin von den Philippinen nach Wilna. Der Besuchstermin wurde mehrmals geändert, so daß manche Priester vom Aufenthalt des Kardinals erst aus der Presse erfuhren.
Reisen zu Auslandsstudien sind sehr selten. Vor über 20 Jahren konnten zweimal je zwei Priester zum Studium nach Rom fahren. Der gegenwärtige Bischof Michalevicius hat ein Jahr ein Zusatzstudium in Latein bei den Salesia-nern in Rom gehabt. Mehr Priester sind nicht gefahren. Zur Zeit werden gewisse Versuche unternommen, daß Priester reisen und im Femstudium an der (Warschauer) Katholischen Theologischen Akademie studieren können. Einer der Priester will Kirchengeschichte an der Katholischen Universität Lublin studieren, aber man weiß nicht, was daraus wird…
Frage: Die Litauer erlebten das vergangene Jahr als großes 600-Jahr-Jubiläum der Taufe Litauens. Auch die Polen haben die Feier dieses Jahrestages aufmerksam verfolgt. Welchen Einfluß hat Ihrer Meinung nach dieses Jubiläum auf das religiöse Leben der Litauer? Bei den Polen wurde oft der Vorwurf erhoben, daß die litauischen Bischöfe im Brief anläßlich des Jubiläums kein einziges Mal Polen erwähnt haben, ein Land, das so wichtig für das Werk der Christianisierung war.
Antwort: Das Jubiläum wurde von den Gläubigen intensiv erlebt. Eine dreijährige Vorbereitung ging voraus: Im ersten Jahr ging es um Geschichte, im zweiten Jahr um Katechese, das dritte Jahr war das Jahr des Lebendigen Christlichen Geistes. Am besten wurde der Plan im ersten Jahr ausgeführt. Die Jubiläumskommission bereitete 40 Themen für Predigten aus dem Bereich der Geschichte des Christentums in Litauen vor. Es gab auch einen Brief der Bischöfe zu diesem Thema. In diesem Brief wurde sowohl Jadwiga wie auch Jagiello wie auch die Polen erwähnt. Auch in den Predigten. Das erklärt es warum im letzten Hirtenbrief davon nicht die Rede war… In dem Brief gab es u.a. Worte der Dankbarkeit unserer Kirche für Kulturschaffende, die mit uns sympathisieren. Gegenwärtig, in der Zeit von »Glasnost«, sprechen die Menschen der Kultur sehr wohlwollend über die Kirche, über ihren guten Einfluß auf die Moral des Volkes, und sie verurteilen auch die unheilvollen Folgen der forcierten Atheisierung…
Frage: Wie beurteilen Sie die Folgen der Jubiläumsfeiern für die Zukunft des Christentums in Litauen?
Antwort: Ich meine, das Volk hat sich stärker bewußt gemacht, daß es ein christliches Volk ist. Für die Zukunft wird die Heiligsprechung von Erzbischof Jerzy (Anmerkung: gemeint ist Erzbischof Jurgis Matulaitis) wohl größere Bedeutung haben. Denn das ist von Dauer. Wir haben einen neuen Heiligen, wir haben sein Grab und die Reliquien…
Von den Feierlichkeiten im vergangenen Jahr waren besonders die Seligspre-chungsfeiem in Marijampole am erhabensten und am schönsten. Zehntausende Pilger, über tausend Personen in Volkstrachten, in Ministrantenkleidung und in Weiß bei den Prozessionen. Auf der ganzen Strecke der Prozession, vom Pfarrhaus bis zur Kirche, sah man die Menge auf beiden Seiten der Straße und auf dem Friedhof an der Kirche. Die Menschen gingen mit erhobenem Haupt, mit Begeisterung, im Glauben ihrer Vorfahren. Wir haben einen eigenen Heiligen, der Hl. Vater kennt uns und liebt uns. Ich denke, die Verehrung des seligen Jerzy (Jurgis) wird noch stärker zur Entwicklung des religiösen Lebens beitragen…
Frage: Die heikelste Frage habe ich mir für den Schluß gelassen. In Polen wird immer wieder der Vorwurf erhoben, daß die in Litauen wohnenden Polen litu-anisiert werden. Manche erheben den Vorwurf, daß die Kirche Litauens zur Entnationalisierung der (dort lebenden) Polen beiträgt. Wie gestalten sich die Beziehungen zwischen polnischen und litauischen Katholiken? Antwort: Nun, endlich sind wir bei unseren gemeinsamen Fragen. Bei diesen Fragen sehe ich durch eine rosa Brille. Wir wissen von den alten Reibereien, gegenwärtig gibt es weniger davon. Es gibt weniger Feindseligkeit (zwischen Polen und Litauern) als vor einem halben Jahrhundert. Das Leben hat dies ganz einfach gelehrt. Wenn die nachbarschaftlichen Beziehungen sich korrekt gestalten, dann gewöhnen sich die Menschen langsam daran, daß auch der Litauer ein Mensch ist und daß der Pole ein Mensch ist. Populär ist der spaßhafte Spruch: »Er ist ein Pole, aber ein guter Mensch.«
Ich gehöre zu einer Generation, die sehr antipolnisch erzogen wurde. Ich bekam meine Ausbildung bei den Marianenpatres, sie haben uns das überhaupt nicht eingeimpft, aber in der ganzen Bevölkerung gab es diese Haltung. Als ich nach Wilna kam (Anmerkung des Übers.: Wilna gehörte vor dem Zweiten Weltkrieg zu Polen und hat heute noch eine große polnische Minderheit), war es am Anfang schrecklich. Da kommt ein Pole in den Beichtstuhl, und ich weiß nicht, wie ich vorgehen, was ich anfangen soll. Das war etwas Schreckliches.
Später, und zwar schnell, hat man sich daran gewöhnt. Ich lernte sehr ehrliche, einfache, wirklich gute (polnische) Katholiken kennen. Sind sie daran schuld, daß ihre Vorväter die litauische Sprache aufgegeben und die polnische Kultur angenommen haben? … Einen solchen Polen, der auf seine litauische Abstammung stolz ist, achten wir sehr. Aber die meisten (hier lebenden) Polen sträuben sich mit Händen und Füßen - bloß keine litauische Abstammung haben, bloß das nicht, bloß das nicht… Was soll man mit einem Menschen anfangen, der so eingestellt ist?
Innerhalb der Kirche sind die Beziehlingen meiner Meinung nach recht gut. Wenn insbesondere unsere polnischen Brüder im Wilnaer Gebiet sich beklagen, dann versündigen sie sich. Denn es gibt Gottesdienste in polnischer Sprache in allen Pfarreien, wo es eine größere oder kleinere Gruppe von Polen oder polnischsprachigen Menschen gibt, so wie das ziemlich oft auf dem Dorf der Fall ist, wo man im Alltag weißruthenisch und in der Kirche polnisch spricht. In Wilna selbst gibt es zwei rein litauische Kirchen, eine rein polnische Kirche (Heilig-Geist-Kirche), ein prächtiges Gotteshaus unmittelbar im Zentrum der Stadt, um das wir sie nur beneiden können. In den übrigen Kirchen ist die Zeit der Gottesdienste auf die Minute genau zwischen polnischen und litauischen Gottesdiensten geteilt.
In den Jahren 1945 bis 1946 und 1956 bis 1957 sind sehr viele polnische Geistliche nach Polen ausgereist, mehr als Gläubige selbst, denn Erzbischof Jalbr-zykowski wollte, daß die jungen Priester ausreisten und in Polen überdauerten, während die alten an Ort und Stelle blieben. Damals hätte man viele Kirchen schließen müssen, wenn es nicht die litauischen Geistlichen gegeben hätte. Bischof Paltarokas wiederholte mehrmals, daß die Theologiestudenten für die polnischen Gläubigen die polnische Sprache erlernen sollten. In etwa 60 bis 70 Kirchen im Wilnaer Gebiet werden Gottesdienste in polnischer Sprache gehalten, in 36 von ihnen ausschließlich in polnischer Sprache: manchmal wird das Evangelium litauisch gelesen. Etwa 50 litauische Priester haben Polnisch gelernt, um Polen seelsorgerisch zu betreuen. Vielleicht vermitteln sie keinen vom Polentum eingefärbten Glauben, aber sie vermitteln ihn sowohl den Polen wie auch den Litauern. Deshalb sollten also die Polen nicht von einer Lituanisierung sprechen.
Die Pariser (polnische Exilzeitschrift) »Kultura« schrieb einmal in einem Artikel…, daß ich, als ich in einer polnischen Pfarrei war, die Namen der Kinder in litauischer Version aufgeschrieben hätte. Dieser Vorwurf ist aus den Fingern gesogen. Im übrigen gibt die gleiche Redaktion Namen von Litauern in polnischer Version wieder, was uns Litauer beleidigt. Die (polnische Exilzeitschrift j „Kultura« warf auch dem Kaplan im (Marienheiligtum vom) Spitzen Tor, Priester Kazimieras Meilus, eine antipolnische Haltung vor. Dabei predigt er polnisch und gibt Religionsunterricht in Polnisch…
Traurig ist, daß es keine polnischen Kindergärten gibt, es gibt nur litauische und russische. Der letztere leitet automatisch die Kinder in die russische Schule weiter. Nur wenige (polnische) Personen schicken ihre Kinder in litauische Schulen, wenngleich die Kinder dann besser ihr Polentum bewahren, weil der Unterschied (zwischen Litauisch und Polnisch) stark ist. In der russischen Schule verlieren die Kinder im areligiösen Milieu am schnellsten den Glauben. Domherr Leopold Chomski vermochte nicht, seine Pfarrmitglieder zu überreden, sie sollten eine polnische Schule beantragen. Das ist für mich eine große Tragödie.
Schlimmer noch ist die Situation der Weißruthenen. Allein Priester Carniauski ist weißruthenischer Patriot, vielleicht ist er zu fanatisch, wodurch er wohl der Sache der Weißruthenen eher schadet. Priester Carniauski übersetzte das Missale, das Lektionar und die Lesungen aus der Heiligen Schrift ins Weißruthenische. Sie wurden bestätigt vom Hl. Stuhl, aber man kann sie nicht druk-ken, weil die (sowjetischen) Behörden behaupten, es lohne sich nicht, weil höchstens zehn Priester die Messe in Weißruthenisch feiern werden. Alle Priester in Weißruthenien sind sehr polnisch eingestellt. Ich unterstütze den Grundsatz, daß man eine ganze Nation vor den Toren der Kirche läßt, wenn man ihre Sprache nicht in die Kirche hineinläßt. Es gibt zur Zeit eine religiöse und nationale Wiedergeburt bei den Weißruthenen, insbesondere bei den jungen Leuten; wenn der Katholizismus (in Weißruthenien) nur ein polnisches Gesicht haben wird, dann werden sie ihm die kalte Schulter zeigen.
Frage: Und wie beurteilen Sie die Beziehungen zwischen beiden Nationen vor dem Hintergrund der Ereignisse Ihres Aufenthalts in Polen? Wie sehen die Litauer die katholische Kirche in Polen?
Antwort: Ich sehe die Kirche in Polen. Mich freuen drei Dinge: die Katechese, die (katholische) Presse und die neuen Gotteshäuser. Ich freue mich, wenn ich sehe, welch großer Teil der Jugend an der Kirche hängt. Ich sehe, daß die Religiosität der Polen stärker patriotisch gefärbt ist als bei den Litauern. Bei uns erwähnt man in Gebeten und Formeln selten das Vaterland, und die Muttergottes trägt auf ihrer Brust nicht das Wappen. Ich bin ein wenig traurig, daß (in Polen) das Verständnis für litauische Dinge recht klein und von Gefühlen beeinflußt ist. Man spricht (hier in Polen) vom gemeinsamen Erbe, von der Vergangenheit, von der Union (zwischen Polen und Litauen), vom gemeinsamen Schicksal. Wir aber wollen lieber von guter Nachbarschaft sprechen.
Für uns war die Union (zwischen Polen und Litauen) eine historische Notwendigkeit, die sich aber in nationaler Hinsicht (für die Litauer) als verderblich erwiesen hat, deshalb preisen wir sie nicht. Das Christentum mußte zu uns (Litauern) nicht unbedingt zusammen mit einer politischen Union (mit Polen) Hand in Hand kommen. Wir haben für diese Union einen hohen Preis bezahlt, ein Drittel der Litauer polonisierte sich, wozu der polnische Klerus in bedeutendem Maße beitrug. Wenn ihr von uns Dankbarkeit für die Taufe erwartet, so sage ich, daß Polen seine Taufe »kostenlos« bekommen hat, wir aber haben für unsere Taufe mit Bevölkerung und mit Territorium bezahlt. Manche sehen die Stärke der Kirche in Litauen in engem Zusammenhang mit der Kirche in Polen. Wir sind uns über die Bedeutung der polnischen Kirche sehr im klaren. Wir freuen uns, daß die Kirche in Polen soviel Stärke besitzt, daß sie kluge Kardinäle und den geliebten Hl. Vater hat. Populär sind in Litauen die polnischen Märtyrer, der hl. Maximilian (Kolbe) und Priester Jerzy (Po-pieluszko — Anmerkung des Übers.). Wir sind der Kirche in Polen sehr dankbar, aber wir bitten darum, man möge sich daran erinnern, daß die Stärke der litauischen Kirche auch ihre eigenen Quellen hat. Deshalb sprechen wir lieber von guter Nachbarschaft, nicht aber von der Union (mit Polen). Denn können sich heute drei Millionen mit 37 Millionen vereinigen? Wir aber werden ja immer weniger. Im Wilnaer Gebiet haben sich manche litauischen Sprachinseln poio-nisiert…, und in Weißruthenien haben sich solche Inseln poIonisiert und weißruthenisiert… Wir werden weiterhin weniger…
Entnommen aus der Warschauer katholischen Wochenzeitung »Lad« vom 31. Juli 1983. Das Interview mit Priester Vaclovas Aliulis führte Andrzej Chodkiewicz. Aus dem Polnischen übersetzt von Wolfgang Grycz. Entnommen aus »Informationen und Berichte - Digest des Ostens« herausgegeben vom Albertus-Magnus-KolIeg/Haus der Begegnung Königs tein e.V., Nr. 12/1988 S. 1.
Das heutige Lettland (bzw. Livland) hatte Jahrhunderte lang als eine Bastion des Luthertums gegolten. Als 1918 eine unabhängige Republik entstand, war nur ein Viertel der Bevölkerung katholisch, und zwar im Osten des Landes in Latgalien (Lettgallen), der bis zur Teilung Polens polnisch war. Weithin unbemerkt ist seitdem der Katholizismus jedoch zur dominierenden Konfession Lettlands geworden. So stehen heute ca. 400000 Katholiken nur 300000 Lutheranern gegenüber (wobei die Zahl der Praktizierenden bei beiden wesentlich geringer liegen dürfte).
In Lettland und im Exil feierten 1986 Protestanten und Katholiken den 800. Jahrestag des Beginns der Christianisierung. Im Jahre 1186 weihte Erzheehof Hartwig II. von Bremen den Augustiner-Chorherren Meinhard aus Segeberg in Holstein zum Bischof der Liven. 1184 hatte Meinhard bereits in Üxküll am rechten Düna-Ufer eine Kirche erbaut. Ihm waren nach seiner Bischofsweihe noch zehn Jahre der Wirksamkeit geschenkt, ehe er am 14. August 1196 starb.
Sein Fest wird an seinem Todestag begangen, also einen Tag vor dem Marianisehen Hochfest der Aufnahme der Gottesmutter in den Himmel. In der Reformation trennte sich der größte Teil des heutigen Lettlands von der Katholischen Kirche. Lettland ist aber ein marianisches Land geblieben. Das Gnadenbild der Schmerzhaften Muttergottes in Riga blieb erhalten. Zahlreich sind die Mariengedichte und Lieder lettischer evangelischer Dichter. Das gilt noch mehr von dem Teil Lettlands, der unter polnischer Herrschaft katholisch blieb und erst im Zuge der Teilungen Polens an Rußland kam: Latgalien oder InQantien, wie es in Polen hieß. Hier waren im 16. und 17. Jahrhundert Jesuitenmissionare tätig, und es entstanden Wallfahrtsorte wie Skaistkalne (Schönberg) oder Izvolta, dessen Kirche und Gnadenbild 1941 von den Bol-schewiki zerstört wurden.
Die konfessionelle Spaltung gab den Latgalen ein gegenüber den Letten eigenes Bewußtsein, ja manche sehen das Latgalische sogar als eigene Sprache. Im eigentlichen Lettland war das Erzbistum Riga 1561 mit dem Ende des Ordensstaates erloschen. Mit Beginn der polnischen Herrschaft kamen 1582 Jesuiten nach Riga, die ein Kolleg errichteten, an dem auch Peter Skarga wirkte. Als der schwedische König Gustav Adolf 1621 Riga eroberte, wurde die katholische Kirche wieder unterdrückt. Erst unter der russischen Herrschaft Peter des Großen wurde 1722 wieder eine kleine katholische Holzkirche erbaut und 1784 die erste gemauerte Pfarrkirche (Mater Dolorosa). Die Jesuiten übernahmen sie 1806 und nach ihrer Vertreibung 1820 die Dominikaner, im Jahre 1868 dann der Weltklerus.
Ende des 19. Jahrhunderts setzte bei den Latgalen ein nationales Erwachen ein, nachdem in Latgalien die Russifizierungspolitik heftiger war als in den baltischen Provinzen. Latgalen gehörte administrativ zum Gouvernement Wi-tebsk Seit dem 17. Jährhundert gibt es erste latgalische Schriftzeugnisse, die sogenannten »Latovica«. Die Russifizierung nach der Aufhebung der Leibeigenschaft ging Hand in Hand mit einem totalen Sprach- und Druckverbot des Latgalischen bis 1904, während das Lettische von diesem Verbot nicht betroffen war (wohl aber das Litauische).
Die Anfänge des latgalischen Schrifttums und einer Nationalbewegung sind in St. Petersburg zu finden, wo am dortigen katholischen Priesterseminar das Latgalische für die künftigen Seelsorger unterrichtet wurde. Die damals gebrauchte Petersburger latgalische Orthographie besaß bis in die Anfangsjahre des lettischen Staates ihre Geltung. Der Professor am Priesterseminar und Abgeordnete der ersten russischen Duma, Francis Klemps, gab 1905 die erste Zeitung in latgalischer Sprache »Gaisma« (Das Licht) heraus, der weitere kurzlebige Organe folgten. In Petersburg lebten damals etwa 60 000 Latgaler, die auch Musikvereine und Jugendverbände gründeten. Populäres Schrifttum entstand meist in Form religiöser Erbauungsbücher. Es gab bereits damals
Versuche, mit den Letten in eine Gemeinschaft der Schriftsprache zu treten, doch das Volk lehnte die »baltischen« Schriften ab, daher einigten sich führende Latgaler am 17. August 1907, »die Mundart Latgalens als Schriftsprache anzuerkennen und die Bücher und Zeitschriften für das Volk in dieser Sprache herauszugeben«. Prälat Nikodemus Rancans gründete erste Schulen und landwirtschaftliche Unterstützungskassen. Wie in Polen waren katholische Kirche und Volk untrennbar verbunden. »Die Kirche hatte sich gewissermaßen latgalisiert, und die Interessen der Kirche deckten sich bisweilen mit den Interessen des Volkes«. (Mikelis Bukss)
Immer wieder fuhren zwar Latgaler nach Riga und baten um Hilfe für die Lat-galen. Schon damals gab es Politiker, die Autonomie für Lettland und Einschluß Latgalens wollten. Einer der führenden Latgaler schrieb 1910 über seinen Besuch in Riga:
»Wir fanden Reichtum, wir hörten viele schöne patriotische Worte, jedoch fanden wir weder Herzlichkeit noch Entgegenkommen«. Die Gleichgültigkeit der Letten in den baltischen Provinzen gegenüber Latgalen zeigte sich noch 1916, als die Abgeordneten der baltischen Provinzen Autonomie nur für Lettland forderten. »Warum wurde Latgalen vergessen?« fragte damals Fr. Trasuns, der im unabhängigen Lettland in seinen Parlamentsreden oft an diese Mißachtung erinnerte. Trasuns rief vom 7. bis 9. Mai 1917 die Latgaler zu einem Einigungskongreß nach Rositten, auf dem eine Vereinigung mit dem übrigen Lettland gefordert wurde bei »vollem Selbstbestimmungsrecht über Sachen der lokalen Selbstverwaltung, Administration, Sprache, Schule und Kirche«. Ein ähnlicher Kongreß trat am 30. Juli 1917 in Riga zusammen und nahm die Beschlüsse von Rositten an. Der in Rositten gewählte Latgalische Landesrat aber wurde von der russischen Kerenski-Regierung nicht anerkannt. Erst die Sowjets ermöglichten die Abtrennung Latgalens vom Gouvernement Witebsk Am 18. November 1918 wurde die Republik Lettland gegründet, in der Latgalen den dritten Stern über dem Staatswappen bildete.
In der harten Zeit der sowjetischen Okkupation steht die katholische Kirche zum Latgalentum. Kardinal Julijans Vajvods ließ als Bischof von Riga nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil neben dem Lettischen auch das Latgalische als Kirchen- und Liturgiesprache zu.
Schon unmittelbar nach der Unabhängigkeitserklärung Lettlands errichtete Papst Benedikt XV. am 22. September 1918 das Bistum Riga neu. Erster Bischof war der aus Weißrußland stammende Msgr. Eduard Graf O'Rourke, Nachfahre einer aus Irland nach Rußland eingewanderten Familie. Er hatte das Gymnasium in Wilna und Riga besucht und war 1907 nach dem Theologiestudium in Innsbruck für das Bistum Kaunas geweiht worden. In St. Petersburg war er als Professor und Spiritual am Priesterseminar tätig, später auch als Domkapitular. Seine vielfältigen Sprachkenntnisse waren ihm dabei von großem Vorteil. 1920 verachtete O'Rourke auf das Bistum Riga, um einem geburtigen Letten Platz zu machen. Er ging später als Bischof nach Danzig. Sein Nachfolger in Riga wurde Antonius Springovics.
1922 kam es zu einem Konkordat mit Lettland, das der Katholischen Kirche sehr entgegen kam. Sie erhielt 1923 die St.-Jakob-Kirche in Riga als Kathedrale. 1924 erhob Rom Riga zur Erzdiözese. 1938 errichtete Pius XI. eine lettische Kirchenprovinz Riga mit dem Suffraganbistum Libau (Liepaja). In beiden Diözesen mit 20 Dekanaten und 150 Pfarreien gab es 180 Priester, die 250 Kirchen und Kapellen betreuten. Das Priesterseminar war 1924 von Aglona nach Riga verlegt worden, wo 1938 auch eine Katholische Theologische Fakultät an der Universität errichtet wurde. Im Lande waren Jesuiten, Kapuziner und Marian« vertreten, an weiblichen Ordensgemeinschaften die Heilig-Kreuz-Schwestem und die Schwestern vom Armen Kinde Jesu. Neben den beiden Diözesanbischöfen gab es einen Weihbischof in Riga. Hier lebte auch der Be-kennerbischof Boleslas Sloskans.
Am 16. Juni 1940 besetzte die Rote Armee Lettland, die erste Kirchenverfolgung begann. Die Theologische Fakultät wurde aufgelöst, katholische Bücher vernichtet, 40000 Menschen wurden bis 1941 deportiert. Im Juni 1941 wurden elf Priester ermordet bzw. mit unbekanntem Ziel verschleppt. Als 1944/45 die Rote Armee Lettland erneut besetzte, mußten drei Bischöfe das Land verlassen, nur Metropolit Antonius Springovics blieb. Er weihte 1947 Pater Strods zum Weihbischof von Libau und Kasimir Dulbinskis zum Weihbischof von Riga Dulbinskis wurde im Mai 1949 zum erstenmal verhaftet und in ein Arbeitslager in die Komi-Republik deportiert. 1955 nach Lettland zurückgekehrt, wurde er im Februar 1956 erneut verhaftet und deportiert. Im September 1958 wurde Dulbinskis wieder nach Lettland entlassen, er durfte aber sein Bischofsamt in der Diözese Riga nicht ausüben. 1959 wurde er abermals verhaftet und nach Weißrußland deportiert, wo er als Holzfäller und als Zimmermann arbeiten mußte. 1964 durfte er nach Lettland zurückkehren, ohne jedoch als Bischof tätig sein zu dürfen. Dies wurde ihm erst 1989 wieder gestattet.
Insgesamt wurden nach 1944 zehn Priester ermordet und 40 weitere deportiert. Die Zahl der Seminaristen wurde von 60 auf 15 reduziert, 1965 durften insgesamt nur fünf Studenten im Seminar sein. 1958 gab es für die 179 Pfarreien noch 164 Priester, 1979 nur 136 und 1988 nur noch 105. Nach dem Tode von Metropolit Springovics 1958 stand Bischof Strods an der Spitze der Kirche Lettlands.
Seit 1964 leitete Julijan Vajvods als Apostolischer Administrator die Erzdiözese Riga. 1972 erhielt er in Valerian Zondak einen Weihbischof (+ 1985). Im Oktober 1982 konnte Papst Johannes Paul II. den damals 56jährigen Msgr. Janis Cakuls zum Weihbischof für beide lettische Diözesen ernennen, mit dem Recht der Nachfolge von Bischof Vajvods, den der Papst 1983 zum ersten lettischen Kardinal ernannte. 1988 erhielt Riga mit Vilem Nukss einen weiteren Weihbischof. Die Zahl der Seminaristen in Riga hat sich in den letzten Jahren sehr erhöht. Es wurden auch Nichtletten zugelassen: Polen, Weißrussen, Ukrainer, Deutsche und andere. Im Studienjahr 1988/89 konnten 30 Seminaristen eintreten, darunter 14 Polen, fünf Ukrainer, vier Letten, drei Deutsche, zwei Weißrussen und je ein Russe und Ungar.
Seit 1988 dürfen erstmals auch Ausländer in Gruppen nach Aglona, den bekanntesten Wallfahrtsort im Osten Lettlands. Das 1699 gegründete Dominikanerkloster beherbergt in der 1780 gebauten Kirche ein Gnadenbild, das eine Nachbildung der Muttergottes von Trakai in Litauen ist. Vor dem Zweiten Weltkrieg, als Lettland wie Litauen und Estland noch unabhängige Staaten waren, besuchten jährlich bis zu 200000 Pilger diesen Gnadenort. Nach der Besetzung durch die Russen wurde 1940/41 auch hier das Kloster samt der wertvollen Klosterbibliothek völlig zerstört. Das Gnadenbild jedoch ist bis zum heutigen Tage erhalten geblieben und wurde trotz der bolschewistischen Okkupation weiter verehrt und von zahlreichen Pilgern besucht. Aus Nachrichten der letzten Jahre wußte man, daß in Aglona die Zahl der Wallfahrer von Jahr zu Jahr zunahm. Die Erhebung von Bischof Julijan Vajvods zum ersten lettischen Kardinal hatte die 400000 Katholiken Lettlands mit neuer Hoffnung erfüllt. Vor allem an Pfingsten und am Fest Maria Himmelfahrt kamen Jahr für Jahr Zehntausende von Gläubigen nach Aglona.
Die Pilger reisten nicht nur aus der Lettischen SSR an, sondern auch aus der Ukraine und aus Weißrußland, oft auch aus Moskau und Leningrad, wo schon immer starke lettische Gemeinschaften bestanden. Da Aglona nur ein kleiner Ort mit etwa 6000 Einwohnern ist und die sowjetische Regierung bisher keine Übernachtungsbetriebe für die Wallfahrer erlaubte, mußten die Pilger oft die ganze Nacht im Freien oder in der Kirche verbringen. Sie brachten ihre Verpflegung von daheim mit. Nur für die Trinkwasserversorgung ist bei der Kirche ein Brunnen vorhanden. Mannigfach waren die Schikanen der Behörden, um die Wallfahrten in Lettland zu unterbinden. Im Jahre 1978 wurden z.B. schon am 14. August alle Straßen zehn Kilometer vor Aglona von der Miliz gesperrt. Trotzdem kamen 20000 Wallfahrer zu Fuß, über die Felder. Allein am Festtag Mariä Himmelfahrt jenes Jahres wurden 15000 Kommunionen ausgeteilt. Bischof Vajvods konnte mehrere Hundert Gläubige firmen. Dies wiederholte sich Jahr für Jahr. Bis vor kurzem durften nur die in Aglona ansässigen Priester Beichte hören und Messe lesen. Sie waren deshalb an den Festtagen Tag und Nacht im Beichtstuhl und am Altar. Da überall kommunistische Spitzel in Aglona tätig waren, konnten die auswärtigen Priester, die an der Wallfahrt teilnahmen, ihren priesterlichen
Aufgäben nicht nachkommen. Dies hat sich seit 1986 alles geändert. Selbst Fußsvallfahrten wurden nicht mehr behindert.
Werm heute die römisch-katholische Kirche in Lettland zur stärksten Konfession geworden ist. so liegt es auch daran, daß der Staatsatheismus sowjetischer Prägung unter den lettischen Lutheranern größere Einbrüche erzielt hat als unter den Katholiken.
Schließlich nannte der orthodoxe Metropolit Leonid von Riga und Lettland noch einen weiteren Grund für das landesweite Vordringen des Katholizismus; Viele Letten, deren Vorfahren Mitte des 19. Jahrhunderts im Zuge einer staatlich gesteuerten Konversionsbewegung orthodox geworden waren, sind in einen Identitätskonflikt geraten. National werden sie von ihren Landsleuten als Sympathisanten des Russentums und der sowjetischen Russifizierungspo-litik, politisch oft als Befürworter der Sowjetisierung Lettlands angesehen. In «fiesem Konflikt entscheiden sich viele orthodoxe Letten zum Übertritt zur katholischen Kirche, die ihnen mit ihrer größeren liturgischen Vielfalt näher steht als die lutherische Kirche ihrer Vorfahren.
Regional ist die katholische Kirche in Lettland auf dem Wege, in jene nationale Rolle hineinzuwachsen, die für die katholische Kirche in Litauen so kennzeichnend ist.
Adressen:
Ordinariat Riga UdSSR-Latvija,
226047 Riga, Pils Jela 2.
Priesterseminar: 226003 Riga, Kijevas Jela 16.
Für das Gebiet des heutigen Estland hatte bereits 1167 Erzbischof Eskil von Lund den Zisterziensermönch Fulko zum Bischof geweiht. Missionarsarbeit erfolgte auch von deutscher und dänischer Seite. Der dänische König Knud VI. unternahm 1196 einen Kreuzzug, König Waldemar II. im Jahre 1221 einen weiteren, wobei er die Esten besiegte und Reval gründete. Bischof Albert von Riga hatte 1202 den Orden der Schwertbrüder gestiftet, der die christlichen Kolonien sichern und erweitem sollte. Seine Mitglieder, die Brüder des Ritterdienstes Christi, lebten nach der Templer-Regel. 1237 schloß sich der Orden dem Deutschen Orden an. Als erste Bischofssitze entstanden Reval (1221), Dorpat (1224) und Ösel (1226). Als Ordensleute wirkten Zisterzienser, Dominikaner und Birgittiner. Reval gehörte als Diözese zum Erzbistum Lund, während Ösel und Dorpat dem 1255 zum Erzbistum erhobenen Riga unterstellt wurden. Die Reformation fand früh Eingang in Estland. Schon Martin Luther richtete ein
Sendschreiben an »die Christen in Riga, Reval und Dorpat«. 1525 wurden die Orden vertrieben, die Birgitten hielten sich bis zur Zerstörung des Klosters bei Reval 1577 durch die Russen.
Die wenigen Katholiken gehörten in der Zeit der russischen Herrschaft zum Erzbistum Mohilev. In den Jahren 1940 bis 1944 erhielten sie in Reval eine neue Kirche, St. Peter und Paul, die anstelle des Refektoriums des alten Zisterzienserklosters in der Russen-Straße entstand. Dieses Refektorium diente vor dem Kirchenbau den Katholiken als Gotteshaus. Eine weitere Pfarrkirche gab es in Dorpat. Bei der Staatsgründung 1918 lebten in Estland nur 2000 meist polnische und litauische Gläubige. Sie wurden 1918 dem neugegründeten Bistum Riga unterstellt. Der Nuntius in Reval, Erzbischof Zechini, der Jesuit war, übertrug die beiden einzigen katholischen Pfarreien in Dorpat und Reval seinem Ordensbruder P. Heinrich Werling aus der Niederdeutschen Provinz. Im Sommer 1924 übernahm Pater Josef Karte die Pfarrei in der Hauptstadt. Außer diesen beiden Jesuiten gab es bis 1931 nur noch einen invaliden Weltpriester. Nach dem Konkordat errichtete der Heilige Stuhl für Estland eine Apostolische Administratur mit Sitz in Reval. Erster Administrator wurde der Nachfolger von P. Karte in Reval, P. Gottlieb Profittlich aus Koblenz. Neben den beiden Pfarreien in der Hauptstadt und in der Universitätsstadt Dorpat gab es Kirchen in Narwa und Walk sowie Kapellen in anderen Orten wie Wesenberg und Arensburg. In die neue Apostolische Administratur kamen 1931 auch bayerische Kapuziner. 1934 gab es in Estland bereits zehn katholische Priester, darunter vier Jesuiten, die mit den Kapuzinern gemeinsam ein katholisches Monatsblatt »Kiriku elu« (Kirchenleben) herausgaben. 1936 wurde Estland von der Provincia Germania Orientalis S.J. losgelöst und der Viceprovincia Litu-ania angegliedert. Im gleichen Jahr ernannte Papst Pius XI. Peter Profittlich zum Titular-Erzbischof, der am 27. Dezember die Bischofsweihe erhielt. Als 1939 Estland im Molotow-Ribbentrop-Pakt von Hitler der Sowjetunion überlassen wurde und diese dem kleinen Land die Unabhängigkeit nahm, arbeiteten zehn Jesuiten aus sieben verschiedenen Ordensprovinzen im Land, dazu 13 weitere Priester. Die deutschen Jesuiten kehrten nach Deutschland zurück, Erzbischof Profittlich blieb aber in Reval und wurde von den Sowjets deportiert. Sein Schicksal ist bis heute nicht aufgeklärt.
Derzeit werden die beiden Pfarreien in Reval und Dorpat von dem 1957 geborenen und 1985 zum Priester geweihten Esten Rein Ónapuo betreut. Die Kirche in Reval befindet sich in der Vene-Straße 18, die Wohnung des Pfarrers in der Karl-Marxi 76—7. Die Gottesdienste finden in polnischer und estnischer Sprache statt, gepredigt wird auch in Russisch. Bei vielen älteren Gläubigen ist Erzbischof Profittlich nicht vergessen. Im Zuge von »Glasnost« und »Perestrojka« sind Pläne geäußert worden, zu seinem Andenken eine Tafel an der Kirche anzubringen.
Lieber Bruder, meine lieben Geschwister und Anverwandten!
Da ich nicht einzeln schreiben kann, benutze ich die Gelegenheit, um Euch allen einen ausführlichen Brief zu schreiben:
Zunächst danke ich allen, die mir zu Neujahr und zum Namenstag geschrieben haben: noch besonderen Dank den Soldaten, die mir alle schreiben wollten, wenn auch nicht alle Briefe und Karten angekommen sind. Dann möchte ich Euch allen noch gemeinsam schreiben, was jetzt gerade mein Herz erfüllt. Es wird das ein Abschiedsbrief sein, ein Abschiedsbrief vielleicht nur für Monate, vielleicht auch nur für Jahre, vielleicht auch für immer. Ihr habt sicher gehört, daß noch einmal eine Umsiedlung nach Deutschland aus den Baltenstaaten, Litauen, Lettland und Estland stattfinden soll. Man hat mir dringend geraten, als Deutscher auch an dieser Umsiedlung teilzunehmen. Es gab verschiedene Gründe, die mir den Gedanken der Umsiedlung nahelegten. Ich kann diese Gründe im einzelnen nicht darlegen. Jedenfalls war ich schon nahe daran, mich bei der Kommission der Umsiedlung anzumelden. Da aber fügten sich verschiedene Umstände in meinem Leben so ganz eigenartig, daß ich erkannte, daß es Gottes Wille sei, daß ich hier bleibe. Den Ausschlag gab dann ein Telegramm aus Rom, aus dem ich ersah, daß dieser Entschluß auch dem Wunsch des Heiligen Vaters entspräche. Wenn ich aber diesen Entschluß fasse, dann ergeben sich daraus verschiedene Konsequenzen: die erste ist die, daß ich nach Abfahrt der Deutschen und der Liquidierung der deutschen Gesandtschaft, die wohl Anfang März beendet ist, jede Korrespondenz mit Deutschland aufgeben muß. Wollte ich weiter mit deutschen Staatsbürgern brieflich verkehren, würde das als sehr verdächtig angesehen werden. Man würde in mir vielleicht einen deutschen Spion sehen und mich dementsprechend behandeln. Darum muß der heutige Brief der letzte sein. Ich kann nicht mehr schreiben, bis sich die Verhältnisse geändert haben. Und ich möchte auch Euch bitten, mir vorläufig nicht zu schreiben. Es könnte das für mich nur unangenehme Folgen haben.
Die zweite Konsequenz ist die, daß ich verzichten muß auf allen Schutz, den ich als Deutscher bis jetzt von Seiten der Deutschen Gesandtschaft und des Deutschen Reiches genossen habe, daß ich dann Sowjetbürger werde und mich restlos dem Sowjetstaate unterstelle. Da Ihr wißt, daß der Sowjetstaat im Prinzip religionsfeindlich eingestellt ist, werdet Ihr verstehen, daß dieser Entschluß von weittragenden Folgen sein kann. — Bis jetzt ist die religiöse Lage etwa so: alle Kirchenhäuser mit einer Ausnahme sind verstaatlicht worden. Wir haben dadurch etwa acht Häuser verloren und zwei Kapellen. Drei Kirchen sind schon nationalisiert. Die anderen werden bald folgen. Es ist nur noch nicht sicher, ob man für die Benutzung der Kirchen wird Miete bezahlen müssen. Wenn Mieten bezahlt werden müssen, werden diese wahrscheinlich sehr hoch sein, so hoch, wie etwa auch für mein Zimmer. Für dieses Zimmer mußte ich im vergangenen Monat 160 Rubel bezahlen, während ein Zimmer neben mir, das nur zwvei Meter kleiner ist, nur elf Rubel kostet. Für die Geistlichen wird eben die höchste Mietnorm aufgestellt. - Bei diesem Satz müßten wir für unsere Kirche 2500 Rubel bezahlen, was wir natürlich nicht können. Wir müßten also dann versuchen, entweder mit Lutheranern und Orthodoxen eine gemeinschaftliche Kirche zu mieten oder den Gottesdienst an mehreren Stellen in Privathäusern zu halten, was natürlich auch schwierig wäre. Sonst haben wir vorläufig zum Leben genug. Und die Leute opfern soviel, daß wir wohl nicht zu hungern brauchen werden. Es sei denn, es käme Krieg, womit in Zukunft gerechnet werden muß, wenn man auch noch nicht weiß, wann das sein wird und wie sich dann alles gestalten wird. Die einzige Gefahr, die mir drohen könnte, ist die, daß man anfinge, Priester von hier wegzuschicken oder zu verhaften. Bis jetzt ist das zwar noch nicht geschehen. Aber es ist möglich, daß man in Zukunft strenger sein wird. Eine direkte Lebensgefahr wird wohl kaum bestehen, wenn nicht eine Krankheit bei größeren Strapazen sich einstellen würde, da Ihr ja wißt, daß meine Gesundheit nicht gerade die beste und mein Körper wohl nicht mehr so widerstandsfähig ist. Direkte Lebensgefahr könnte eventuell im Falle eines Krieges eintreten,
Obwohl also die Zukunft nicht gerade angenehm sein wird, habe ich doch den Entschluß gefaßt, hier zu bleiben. Es geziemt sich ja wohl, daß der Hirte bei seiner Herde bleibt und mit ihr Freud und Leid gemeinsam trägt. Und ich muß sagen, daß der Entschluß zwar einige Wochen Vorbereitung kostete, ich ihn dann aber nicht etwa mit Furcht und Angst gefaßt habe, sondern sogar mit großer Freude. Und als es dann endlich klar war, daß ich bleiben solle, war meine Freude so groß, daß ich vor Freude und Dank ein Te Deum gebetet habe. Überhaupt habe ich dabei so sehr das Gnadenwirken Gottes an meiner Seele gespürt, daß ich mich wohl selten im Leben so glücklich gefühlt habe wie am Donnerstagabend nach der Entscheidung. Ich hätte es jedem sagen mögen, wie gut Gott doch gegen uns ist, wenn wir uns ihm ganz hingeben, wie glücklich man doch werden kann, wenn man bereit ist, alles, Freiheit und Leben, für Christus dahinzugehen. — Nie bin ich daher auch Gott so dankbar für die Gabe des Priestertums gewesen wie in den letzten Tagen. Ural das nicht nur deshalb, weil Gott so gut zu mir war, sondern auch, weil ich so viel Liebe und Dankbarkeit bei den Menschen fand, als sie hörten, daß ich nun hier bleiben würde. Gewiß, äußerlich ist in den letzten Jahren viel zerstört worden von dem, was ich in den letzten zehn Jahren aufzubauen versucht habe. Aber von dem, was ich an Seelen wirken durfte, ist so viel geblieben. Und gerade manche von den Konvertiten, die ich in den letzten Jahren in die Kirche aufgenommen habe, zeigen eine ergebende Liebe und Dankbarkeit. So kann ich wirklich trotz allem dem lieben Gott nicht genug dankbar sein für alles das, was er mich hier hat wirken lassen. Was nun die Zukunft angeht, so weiß ich natürlich nicht, was kommen wird. Heiner kann die Entwicklung mit Sicherheit voraus-sagen. Eines weiß ich aber jetzt sicher: es ist der Wille Gottes, daß ich hier bleibe, und ich bin froh darüber und gehe mit großem Vertrauen der Zukunft entgegen. Und dann wird schon alles gut sein. Und mein Leben und, wenn es sein soll, mein Sterben wird ein Leben und Sterben für Christus sein. Euch allen mochte ich aber noch einmal danken für all Euere Liebe, auch für die Opfer an Geld, die ihr für unsere Mission gegeben habt. Gott möge es Euch allen vergelten und Euch alle reichlich segnen! Gerne werde ich meine Dankbarkeit am Altäre beweisen, wie ich auch um Euer Gebet herzlich bitte. Wenn Ihr etwas Gutes für mich tun wollt, dann laßt gelegentlich eine heilige Messe für mich lesen. Vielleicht kann auch der Herr Pastor von Leimersdorf, der Heimatort Birresdorf gehört zur Pfarrei Leimersdorf, meine Landsleute um ihr Gebet bitten, damit Gott mir auch in Zukunft seine Gnade nicht versage, damit ich an allem, was da kommen mag, meinem hohen, heiligen Beruf und meiner Aufgabe treu bleibe und für Christus und sein Reich meine ganze Lebenskraft und, wenn es sein heiliger Wille ist, auch mein Leben hingeben darf. Das wäre wohl der schönste Abschluß meines Lebens.
Sollte es aber Gottes Wille sein, daß ich die schwere Zeit durchlebe und vielleicht später noch etwas für den Neuaufbau der Kirche hier arbeiten kann, dann will ich auch dafür dankbar sein. Sobald es dann möglich ist, werde ich ein Lebenszeichen von mir geben.
So möge Gott uns alle in seinem heiligen Dienste und in seinem heiligen Glauben treu erhalten und uns alle segnen. Und aus der Ferne sende ich Euch allen den bischöflichen Segen:
Der Segen Gottes des Allmächtigen, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes komme über Euch alle und bleibe bei Euch allezeit. Amen. Mit herzlichem Abschiedsgruß
Euer Eduard
Alle Gebiete der Sowjetunion außer Litauen gehören heute zum Bistum Riga. In der Messe wird der Name des Bischofs von Riga genannt. Bischof Boleslas Sloskans, der 1981 im Exil in Belgien starb, war der letzte Bischof für Weißrußland gewesen. Bis heute ist die Kirche in Weißrußland ohne Hierarchie. Wenn man davon ausgeht, daß ein Fünftel Weißrußlands katholisch war, müßte die Zahl der Katholiken mindestens 2,2 Millionen betragen, darunter auch 350 000 Polen und einige Zehntausend Litauer. 1980 gab der orthodoxe Metropolit Filaret von Minsk an, es seien 103 katholische Kirchen in Weißrußland geöffnet. Nach Angaben aus Riga bestehen derzeit 107 Gemeinden, die von 56 Priestern betreut werden. 18 davon stammen aus Lettland, Das bedeutet, daß jeder Priester fast 40 000 Gläubige betreuen muß. Dabei ist das Alter der meisten Priester sehr hoch, viele sind nur sogenannte »sacerdotes lo-cales«, die sich im Selbststudium theologische Kenntnisse aneigneten und dann in Litauen, Lettland oder Polen geweiht wurden. Die heute in der weißrussischen SSR liegende polnische Diözese Pinsk (der Vorkriegszeit) hat in Drohiczyn für den bei Polen verbliebenen Teil der Diözese einen Apostolischen Administrator. Zwischen den beiden Weltkriegen, als Pinsk polnisch war, zählte die Diözse über 400000 Katholiken in 137 Pfarreien mit 210 Welt-und 142 Ordenspriestem. In der »Restdiözese« Drohiczyn lebten davon 92000 Gläubige in 35 Pfarreien. Weitere Teile Weißrußlands gehörten bis 1939 zur Erzdiözese Wilna, deren Restteil in Bialystok als »polnische« Diözese weiterbesteht.
Während die ukrainisch-katholische Kirche (des byzantinischen Ritus) seit der Pseudo-Synode von Lemberg 1946 verboten ist und auch unter Gorbatschow trotz vieler Eingaben noch nicht wieder zugelassen ist, existiert die römischkatholische Kirche in der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik weiter. Neben zahlreichen Pfarreien in ehemals polnischen Gebieten gibt es auch katholische Gemeinden in Kiew und Odessa. Die neugotische Kirche in Kiew ist heute Konzertsaal; in der Sepetovskaja 6 im Westen der ukrainischen Hauptstadt liegt die einzige geöffnete katholische Kirche Kiews, die aus einem Wohnhaus umgebaut wurde. Sie wird von einem lettischen Priester betreut. In Odessa pastorisiert der Salesianerpater Thaddäus Hoppe die Gemeinde in der St. Peter Kirche (Chulturina 5). Die übrigen Kirchen Odessas sind zerstört oder zweckentfremdet wie die Kathedrale in der Karl-Marx-Straße. Die meisten Katholiken in der Ukraine — es sind meist Polen - gibt es im Gebiet von Vinnica und Chmelnick; die Priester betreuen meist mehrere Gemeinden, da für die 93 Gemeinden nur 49 Priester zur Verfügung stehen.
Die alte Kirche in der moldawischen Hauptstadt Kischinjow ist zweckentfremdet. Gottesdienste finden in der Friedhofskapelle statt. In Raškovo wurde 1977 eine aus einem Wohnhaus umgebaute Kirche von den Behörden abgerissen. In Raškovo, Belcy und Petropavlovsk werden regelmäßig von zwei lettischen Priestern Gottesdienste abgehalten. Adresse des Priesters in Kischinjow: Azovskaja 11/1
Bis vor kurzem gab es im europäischen Teil der RSFSR nur zwei Gemeinden in Moskau und Leningrad, seit einigen Jahren ist eine weitere in Saratov an der Wolga entstanden.
Die einzige geöffnete katholische Kirche Moskaus liegt in der Malja Lubjanka 12, unmittelbar neben dem KGB-Gefängnis gleichen Namens. Priester ist dort der betagte Litauer Stanislaus Mazejko. Die Kirche ist die alte französische Kirche und König Ludwig dem Heiligen geweiht. Bis 1950 konnte hier ein französischer Priester tätig sein, dann wurden Priester aus Riga geschickt. In Leningrad blieb von ehemals 13 Kirchen ebenfalls nur die ehemalige französische Kirche (Kovenskij pereulok 7) übrig. Pfarrer Josef Povilonis ist ebenfalls Litauer.
Durch die Massendeportationen von Deutschen, Polen, Litauern u. a. durch Stalin seit den 30er Jahren sind im asiatischen Teil der Sowjetunion zahlreiche katholische Gemeinden entstanden. In Sibirien gibt es heute in Nowosibirsk, Omsk und Tomsk registrierte Pfarreien, die teils von Kasachstan, teils von Litauen aus betreut werden.
Die meisten Gemeinden hinter dem Ural liegen in der Kasachischen SSR, worüber wir beim Kapitel über die Rußlanddeutschen ausführlicher berichten, aber auch in Kirgisien und Tadschikistan. Einige Priester sind unierte Ukrainer, die im lateinischen Ritus zelebrieren.
In Georgien geht das Christentum auf die hl. Nino aus Kappadokien zurück, die zu Beginn des 4. Jahrhunderts dem Lande südlich des Kaukasus die Lehre Christi brachte. Mit Armenien gehört Georgien zu den ältesten christlichen Ländern, da sich König Mirian schon um das Jahr 320 bekehrte. Sehr früh gab es bereits Kontakte mit Rom. Der georgische Katholikos Kyrion wandte sich um das Jahr 590 an Papst Gregor den Großen um Rat. Der hl. Mönch Hilarion (f 875) weilt während seines Asketen- und Pilgerlebens auch in Rom. Fachleute nehmen an, daß die Georgier in ihren vielen Klöstern im Ausland, vor allem auf der Balkanhalbinsel, die »Petrus-Liturgie«, also die römische Liturgie in georgischer Sprache, verwandten.
Während der Kreuzzüge kommt es erneut zu Kontakten mit Rom und 1329 schafft Papst Johannes XII. in Tiflis einen lateinischen Bischofssitz, der bis zum Jahre 1507 besteht. Waren damals hauptsächlich Dominikaner tätig, so sind es seit dem 17. Jahrhundert Theati-ner und Kapuziner, die in Georgien wirken. Unter den Kapuzinern waren besonders zahlreich die Patres aus Böhmen und Mähren vertreten. So war nach 1765 ein Aloysius von Prag Präfekt der georgischen Mission. Für 1770 bis 1780 wird ein Pater Alexius aus Reichenberg genannt. Erst im Jahre 1801 wurde das bis dahin selbständige Georgien russisch. Die Vertreibung der Kapuziner 1845 durch die russische Regierung ließ die georgischen Katholiken des lateinischen Ritus fast priesterlos zurück. Da der Zar den Katholiken den Gebrauch des Georgischen im Gottesdienst verbot, übernahmen armenische katholische Priester manche Pfarreien. So kam es, daß von den 50000 georgischen Katholiken, die es 1917 gab, 40000 dem armenischen und 10000 dem lateinischen Ritus angehörten, es aber kaum Unierte des byzantinischen Ritus gab.
Eine 1861 in Konstantinopel von P. Petrus Charistchiaranti gegründete Kongregation der Diener der Unbefleckten Empfängnis stellte die meisten georgischen Priester. Auch eine Schwesternkongregation gleichen Namens entstand in der Türkei. Die georgische Kirche in Feriköy in Konstantinopel war bis zum Ersten Weltkrieg ein gern besuchter Wallfahrtsort von Christen verschiedener Konfessionen. Nach der Gründung der Diözese Tiraspol mit dem Bischofssitz in Saratov an der Wolga gehörte auch Georgien zu diesem Bistum. 1903 besuchte Bischof Eduard von Ropp Georgien und weihte eine neue Kirche in Batum. Auch sein Nachfolger, Bischof Kehsler, weilte 1912 auf Visitation in Georgien.
Nach der Revolution von 1917 wurde Georgien eine selbständige Bepublik. Katholiken aus allen Pfarreien trafen sich damals in Tiflis und verlangten von Rom die Einführung des byzantinischen Ritus. Der Heilige Stuhl sandte 1919 einen Weißen Vater, P. Delpuch, und 1920 den Dominikaner Raymondo nach Tiflis.
1923 wurde ein eigener Apostolischer Visitator ernannt, der aber nach dem Aufstand von 1924 das nun wieder von Moskau beherrschte Land verlassen mußte. Damals gab es sieben Pfarreien und mehrere Filialen in Georgien. In Tiflis standen zwei Pfarrkirchen, weitere in Manglis, in Gori (der Heimat Stalins), in Hutais. Aehalziche und Batum. Davon ist nur die Pfarrkirche St. Peter und Paul in Tiflis geblieben. Unter den Gläubigen sind Georgier, Polen, Deutsche. Armenier und Assyrer, d. h. aramäisch-sprechende Katholiken des chakiaischen Ritus. Die Gottesdienste finden außer in den Sprachen dieser Völker auch in Russisch statt. Die Maria-Himmelfahrt-Kirche in Tiflis wurde beschlagnahmt und ist fast verfallen. Zur Zeit soll sie als Konzertsaal renoviert werden. An der türkischen Grenze ist ein weiterer katholischer Priester tätig, doch ist dieses Gebiet für Ausländer gesperrt. Die Gläubigen treffen sich zum Teil auch ohne Priester in den Kirchen dieser Grenzregion. Der Priester in Tiflis Jan Snezinki wohnt in der Nähe der Kirche in der Cubinas-vili-Straße 9.
Mit 1,936 Millionen Sowjetbürgern, die sich bei der letzten Volkszählung vom 17. Januar 1979 als Deutsche bekannten, ist diese deutsche Volksgruppe mit Abstand die größte deutsche nationale Minderheit im heutigen Osteuropa. Unter den mehr als 100 Völkern und Nationalitäten der UdSSR stehen die Deutschen damit an 14. Stelle. Unter den »christlichen« Völkern stehen die Deutschen nach Russen, Ukrainern, Weißrussen, Armeniern, Georgiern, Moldawien! und Litauern sogar an 8. Stelle, also noch vor den Letten, Polen oder Esten. Nach der Volkszählung wären die Deutschen zahlenmäßig auch stärker als die Juden in der Sowjetunion. Fast die Hälfte, nämlich 900 000 Deutsche, leben heute in der SSR Kasachstan, wo sie 6,13% der Gesamtbevölkerung bilden. Die Russische SFSR beherbergt 791 000 Deutsche, was nur 0,58% der Bevölkerung dieser größten Unionsrepublik ausmacht, doch gibt es Bezirke (»Oblast«) wie die Altai-Region, wo die 125 000 Deutschen, 4,64% der Bevölkerung, oder den Bezirk Omsk, wo die 121 000 Deutschen 6,17% der Bevölkerung bilden. An dritter Stelle steht die SSR Kirgisistan (oder Kirgisien), mit 101 000 Deutschen (2,88% der Gesamtbevölkerung), an vierter Stelle die SSR Tadschikistan, deren 39999 Deutsche, 1,02% der Bevölkerung entsprechen. In den übrigen Republiken leben weitere 105 000 Deutsche.
Die Geschichte der Ansiedlung dieser Deutschen auf heute sowjetischem Boden kann hier nur kurz behandelt werden. Sie reicht von der Missionierung und Kolonisation des Deutschen Ordens unter Pruzzen, Esten, Letten, Liven und Kuren über deutsche Kaufleute und Handwerker des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit bis zur Erschließung der Steppen Südrußlands und des Wolgagebietes durch deutsche Bauern im 18. Jahrhundert. Unter der Zarin Katharina entstanden allein bei Saratow an beiden Ufern der unteren Wolga 104 Ortschaften, die das Kernstück der späteren Autonomen Wolgadeutschen Republik bildeten.
Die selbst aus Deutschland stammende Zarin hatte in einem Manifest von 1763 allen Einwanderern zugesichert: »Alle in unser Kaiserreich zur Ansiedlung Angekommenen haben unbehindert freie Ausübung der Religion nach ihren Satzungen und Gebräuchen, und weiche nicht in Städten, sondern in besonderen Kolonien und Flecken auf leeren Ländereien sich anzusiedeln wünschen, können Kirchen und Glockentürme bauen, die dazu erforderliche Anzahl Pastoren und andere Kirchenbedienstete halten, mit alleiniger Ausnahme der Erbauung von Klöstern.«
Es folgte die Ansiedlung von Mennoniten-Kolonien in »Neurußland«, Dorfgründungen in Bessarabien, aber auch auf der Krim und im Kaukasus-Gebiet. Eine hohe Kinderzahl führte zur Gründung von vielen Tochterkolonien bis nach Sibirien hin, wo es schon vor dem Ersten Weltkrieg 115 000 Deutsche gab. Die Oktoberrevolution und die folgenden Jahre des Bürgerkrieges mit der furchtbaren Hungersnot schwächten das Deutschtum in der Sowjetunion, das in seiner großen Mehrheit auf dem Lande lebte. Die Siedlungen an der Wolga erhielten 1924 den Status einer »Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik der Wolgadeutschen«, in der mit 422 000 Seelen etwa ein Drittel aller Wolgadeutschen lebte. Die Deutschen machten in dieser Autonomen Republik zwei Drittel der Gesamtbevölkerung aus, der Rest waren Russen, Ukrainer, Tataren u. a. Die Zerschlagung des freien Bauerntums und die Deportation dieser »Kulaken« jenseits des Urals, die Enteignung des Besitzes und Stalins Terrormaßnahmen forderten allein 1933 bei der rußlanddeutschen Bevölkerung 140000 Todesopfer. Der antikirchliche Kampf traf die Katholiken und verschiedene protestantische Kirchen hart und nahm den Deutschen mit der Liquidierung der Geistlichkeit die Führungsschicht. Der Todesschlag für das Deutschtum im europäischen Rußland kam aber 1941.
Zwei Monate nach Hitlers Oberfall auf die Sowjetunion erließ der Oberste Sowjet der UdSSR am 28. März 1941 einen Erlaß »über die Umsiedlung der in den Rayons des Wolgagebietes lebenden Deutschen«, in dem man den Deutschen vorwarf, es gäbe unter ihnen »Tausende und Zehntausende Diversionisten und Spione, die auf ein Zeichen aus Deutschland warten, um in den von den Wolgadeutschen besiedelten Gebieten Sabotage durchzuführen«. Über die Brutalität der Umsiedlung gibt es Augenzeugenberichte. Blutbäder und Massaker, Folterungen, Lager im Freien bei 30 bis 40 Grad unter Null kosteten Zehntausenden das Leben. »Obwohl sie strenge russische Winter gewiß gewohntwaren, starben im Winter allein 30000 bis 40000 Wolgadeutsche, besonders Kinder, Frauen und Alte«. Dieses Schicksal teilten die Wolgadeutschen mit Tschetschenen, Krimtataren, Kalmücken, Inguschen und anderen ebenfalls deportierten Völkern. Bis 1955 schwieg Moskau über diese Deportationen. Erst der Ukas »über die Amnestie der Sowjetbürger, die mit der Besatzungsmacht während des Großen Vaterländischen Kreiges 1939 bis 1945 zusammengearbeitet haben«, führte zur Aufhebung der Kontrolle der Deutschen durch die Geheimpolizei und zur Entlassung aus den Zwangsarbeitsla-gem.
Erst 1964 wurde in einem Erlaß des Präsidiums des Obersten Sowjet der UdSSR ein Teil des Erlasses von 1941 aufgehoben und erklärt, daß die 1941 »wahllos erhobenen Anschuldigungen unbegründet und ein Ausdruck der Willkür unter den Bedingungen des Personenkultes Stalins waren«. Eine völlige Rehabilitierung aber erfolgte nicht, eine Rückkehr in die alten Wohngebiete wurde nicht erlaubt »in Anbetracht dessen, daß die deutsche Bevölkerung an ihrem neuen Wohnort auf dem Territorium einer Reihe von Republiken, Regionen und Gebieten des Landes festen Fuß gefaßt hat, während die Gegenden ihres früheren Wohnortes besiedelt sind«. An dieser Situation hat sich bis heute nichts geändert.
Die räumliche Aufteilung der Sowjetdeutschen 1979
Wie bereits eingangs erwähnt, leben die meisten Deutschen heute in Kasachstan, wo sie sich so aufgliedern
(in Klammern Anteil an der Gesamtbevölkerung);
Bezirk Karaganda | 130863 | (10,41%) |
Bezirk Zelinograd | 102654 | (10,68%) |
Bezirk Kustgnai | 94584 | (10,3%) |
Bezirk Pavlodar | 81487 | (10,10%) |
Bezirk Koktschetav | 76438 | (12,41%) |
Bezirk Dschambul | 69446 | (7,46%) |
Bezirk Alma Ata (ohne die Hauptstadt) | 60664 | (7,14%) |
Bezirk Tschimkent | 50742 | (3,24%) |
Bezirk Semipalatinsk | 44057 | (5,70%) |
Bezirk Nord-Kasachstan | 37634 | (6,57%) |
Bezirk Taldy-Kurgan | 35661 | (5,38%) |
Bezirk Aktjubinsk | 30084 | (4,75%) |
Bezirk Dscheskasgan | 23729 | (5,28%) |
übrige Gebiete und Hauptstadt Alma-Ata | 62164 | (1,63%) |
Die Veröffentlichungen der Volkszählung 1979 lassen für die RSFSR folgende Aufgliederung zu:
Region Altai | 124745 | (4,64%) |
Region Krasnodar | 24237 | (0,51%) |
Region Krasnojarsk | 54518 | (1,70%) |
Bezirk Omsk | 120806 | (6,17%) |
Bezirk Novosibirsk | 64895 | (2,48%) |
Bezirk Kemerovo | 47040 | (1,59%) |
Bezirk Orenburg | 43827 | (2,10%) |
Bezirk Sverdlovsk | 33588 | (0,75%) |
Bezirk Volgograd | 26746 | (1,08%) |
Bezirk Tjumen | 22316 | (1,18%) |
Bezirk Tomsk | 15027 | (1,73%) |
ASSR der Kabardiner und Balkaren | 9905 | (1,49%) |
ASSR der Kalmücken | 5509 | (1,87%) |
ASSR der Chakassen | 11130 | (2,23%) |
Auf dem übrigen Territorium der RSFSR leben unter 106 Millionen Menschen weitere 186473 (0,18%) Deutsche.
Obwohl die UdSSR heute 53 nach Völkern und Nationalitäten benannte politische Einheiten zählt, und zwar 15 Unionsrepubliken, 20 Autonome Sozialistische Sowjetrepubliken, acht Nationale Gebiete und zehn Nationale Kreise, sind die Deutschen nicht im Genuß solcher Vergünstigungen. Sie erlangten seit 1955 lediglich wieder den Anspruch auf das Recht auf Schulunterricht in der Muttersprache, das in Artikel 121 der Verfassung allen Volksgruppen der Sowjetunion zugesichert ist. Seit 1956 ist deutschsprachiger Schulunterricht in der RSFSR, seit 1957 auch in Schulen der SSR Kasachstan, Tadschikistan und Kirgisistan wieder zugelassen.
Deutschsprachige Lehrbücher konnten seit 1956 wieder gedruckt werden, es wurden an Pädagogischen Schulen Kurse für deutsche Lehrer eingerichtet und auch Fernkurse ermöglicht. Neben deutschsprachigen Rundfunksendungen sollten auch deutschsprachige Zeitungen die Erhaltung der Muttersprache fördern. Bereits 1957 erschien die Wochenzeitung »Neues Leben« in Moskau, zu der die Tageszeitung »Freundschaft« in Zelinograd und die »Rote Fahne« im Altai-Gebiet kam. 1980 erfolgte die Eröffnung eines deutschen Theaters. Trotz dieser kulturellen Einrichtungen ist aber die deutsche Sprache als Muttersprache der Sowjetdeutschen unaufhaltsam auf dem Rückzug. Im Jahre 1959 gaben von 1,62 Millionen Deutschen in der UdSSR noch 75% Deutsch als Muttersprache an. Bis zur Volkszählung 1970 stieg zwar die Zahl der Deutschen auf 1,846 Millionen, es sank aber der Prozentsatz der deutschen Muttersprachler auf 66,8%. Für 1979 gaben nur noch 57% Deutsch als Muttersprache an, so daß trotz der Steigerung der absoluten Zahlen die Zahl der Deutschsprechenden von Volkszählung zu Volkszählung zurückgegangen ist.
Im Päpstlichen Jahrbuch existiert für die rußlanddeutschen Katholiken noch ein eigenes Bistum Tiraspol. Die bei der Ansiedlung zwischen 1764 und 1767 entstandenen 34 deutschen katholischen Kolonien (von insgesamt 104) zählten anfangs zu der 1783 neugegründeten Erzdiözese Mohilev. Da die meisten Geistlichen dieser Diözese nur polnisch sprachen, wurden Anfang des 19. Jahrhunderts Patres des in Rußland nicht aufgehobenen Jesuitenordens eingesetzt, deren Wirksamkeit lange beim Volk in Erinnerung war. Im Gefolge des Konkordates mit Rußland wurde 1848 die Diözese Tiraspol errichtet, für die zunächst die Hafenstadt Cherson als Bischofssitz vorgesehen war. Bischofssitz wurde dann aber Saratow an der Wolga. In seiner »Geschichte der Diözese Tiraspol« beschreibt der spätere Bischof Kessler die Grenzen der Diözese: »Die Diözese Tiraspol umfaßte die Provinzen Georgien, Bessarabien, Taimen, Bkaterinoslaff, die Gouvernements Cherson, Saratow, Nikolajewsk, Nowou-sensk (südl. Kreis des Gouvernements Samar), Astrachan, Stawropol und das Dongebiet (Schnurr, Joseph, S. 96). Die Grenze verläuft also im Osten: 100 Kilometer vor dem Ural (Fluß), entlang der nördlichen und westlichen Küste des Kaspischen Meeres, umfaßt den Kaukasus; im Süden: wird die Grenze gebildet durch Persien und die Türkei, das Asowsche Meer liegt auf Diozesange-biet, ebenso die nördliche Küste des Schwarzen Meeres. Seit der Abtrennung Bessarabiens (1921) reicht das Territorium der Diözese bis an den Dnjestr, an dessem linken Ufer Tiraspol liegt. Im Norden stellen die Grenzen der Gouvernements Cherson, Ekaterinoslaff, Dongebiet, Saratow und des Kreises Nikola-jewsk auch die der Diözese dar.«
Erster Bischof war der galiziendeutsche Dominikaner Heianus Kahn, der auch das Diözesanseminar in Saratow eröffnete. Er war 1789 geboren und früh Dominikaner geworden. In Grodno hatte er gelehrt, war dann Kurat in Dorpat und Prior in Riga, ehe er erster Bischof in Saratow wurde. Ihm folgte nach achtjähriger Sedisvakanz der 1826 in Ornbau in Bayern geborene Franz Xaver Zottmann, der am Priesterseminar in Saratow gelehrt hatte. An diesem Seminar wurde 1864 der erste rußlanddeutsche Seminarist geweiht. Bis 1882 waren bereits 68 deutsche Priester daraus hervorgegangen. Ihm war ein kleines Seminar angeschlossen. Von den 160 Zöglingen, die es dort 1902 gab. waren 136 Deutsche, elf Polen, sieben Litauer, zwei Georgier, zwei Tschechen und ein Armenier.
Bischof Zottmann errichtete die Kathedrale in Saratow und dankte 1889 freiwillig ab: »Wenn man 16 Jahre in Rußland Bischof ist, das ist soviel als 50 Jahre in Deutschland. Ich habe der Diözese durch Sammlung eine Domkirche gebaut, 58 000 Rubel von der Regierung ausgewirkt zur Erbauung des Bischöflichen Hauses, 62 000 Rubel zur Erbauung eines Seminars, meiner Diözesan-regierung wurden 19 neue Pfarreien errichtet und elf Pfarrkirchen und viele Bethäuser gebaut, die Diözese mit Deutsch redenden Priestern so ziemlich versehen, das Seminar reformiert und eigentlich erst zu einem Seminarium gemacht. - Kurz der Anfang ist gemacht, mein Nachfolger mag nun die Sache weiterführen; ich selbst bin alt, hinfällig, nervenschwach und kann mich mit nichts anderem mehr beschäftigen als mit dem Gedanken an die Ewigkeit: zur Regierung der Diözese Tiraspol gehören starke Nerven«, schrieb er in die Heimat nach Eichstätt.
Auf ihn folgte der Kolonistensohn Anton Johannes Zerr (1889-1901), der erste rußlanddeutsche Bischof der Diözese. Er gründete das Diözesanblait »Klemens«, das 14tägig erschien. Sein Nachfolger war dann der baltische Baron Eduard von der Ropp, der bald Bischof von Wilna und 1917 Erzbischof von Mo-hilev wurde. Er hatte in St. Petersburg, dann in Kaunas und Innsbruck Theologie studiert. Ihm folgte als Bischof Josef Aloisiiis Kessler. Er gründete eine Zeitung »Deutsche Rundschau« und baute 31 Kirchen, ehe der Erste Weltkrieg und die Oktoberrevolution die Diözese fast tödlich trafen. Der 1926 geheim geweihte letzte Bischof Alexander Frison wurde 1937 in einem Schauprozeß zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Seit 1936 gab es keine Priester mehr in den Gemeinden. Die Kirchen wurden entweiht, die meisten Kirchtürme abgetragen. Der damals unter Stalin besonders aktive »Verband der kämpfenden Gottlosen« veröffentlichte eine eigene »Antireligiöse Bibliothek für das deutsche Dorf« und eigene atheistische Zeitschriften in deutscher Sprache. Für die Arbeiter gabe es das Blatt: »Der Gottlose an der Drehbank«, für die Dörfer das »Neuland«. Als 1941 die deutschen Truppen Rußland überfielen, gelang es dem erst kürzlich in Fürth verstorbenen Prälaten Nikolaus Pieger, die südliche Ukraine zu besuchen. Er taufte Hunderte von Kindern und schildert ein kirchliches Leben voll tiefer Gläubigkeit. Er schreibt in seinen »Erinnerungen«:
Im Einverständnis mit der Apostolischen Nuntiatur in Bukarest und unter Bewilligung der für die Kriegsdauer und die Kriegszonen erlassenen Privilegien habe ich in der Zeit vom 20. August bis 10. September 1941 folgende Gemeinden besucht:
Zuerst kam ich in die Gemeinde Straßburg mit 2500 Seelen. Dieses deutsche Dorf machte zunächst den denkbar schlechtesten Eindruck. Durch die Kämpfe waren verschiedene Häuser des Dorfes zerstört worden, auch die Straßen sahen verwahrlost aus. Wie ich später erfuhr, hatte die Gemeinde durch das I Erdbeben des vorangegangenen Jahres stark gelitten. Die Leute besaßen keine Mittel und durch ihre Inanspruchnahme beim Kollektivbetrieb keine Zeit, ihre Häuser instand zu setzen.
Überdies mußten alle Häuser wegen Tarnung gegen die Flieger mit Schmutz beworfen werden, Als ich in ein Haus gegenüber der Kirche eintrat, wurde ich sofort mit großer Freude aufgenommen. Nachdem die Leute gehört hatten, ich sei katholischer Priester, war ihre Freude unbeschreiblich groß. In kurzer | Zeit hat das ganze Dorf von meinem Aufenthalt erfahren. Man bat mich, die Kirche zu weihen und den Gottesdienst zu halten.
Die Kirche war im allgemeinen erhalten, aber die Glocken waren abgenommen und der Turm abgetragen. Das Innere der Kirche erinnerte nicht mehr an ein Gotteshaus. Alle Altäre, Bilder und dgl. waren verschwunden. Die Behörden hatten einen Tanz- und Theatersaal daraus gemacht. Als die Menschen hörten, dort solle am nächsten Morgen Gottesdienst gehalten werden, machte sich die ganze Gemeinde noch am späten Abend daran,
die Kirche zu reinigen. Um acht Uhr am anderen Morgen holten mich die Leute von meiner Wohnung ab und geleiteten mich zur überfüllten Kirche, die sie notdürftig geschmückt und mit einem Notaltar versehen hatten. Am Chor, wo sie drei Pässer mit Wasser aufgestellt hatten, hieß mich der alte Kirchenvater als katholischen Priester in der Kirche willkommen und bat mich, ihnen Wasser zu weihen und ihrer entweihten Kirche die kirchliche Weihe zu geben. Während der Zeremonien sang der Chor zu meiner großen Überraschung in völlig korrekter Weise in Lateinisch die Allerheiligen-Litanei. Das Te Deum nach der kirchlichen Weihe wurde mit einer Begeisterung gesungen, wie ich es zuvor noch nicht erlebt hatte.
Nach einer Ansprache folgte ein Requiem für die ermordeten oder verstorbenen Gemeinde-Mitglieder. Das Requiem und abschließende Salve Regina wurde vom Chor, der das letzte Mal beim feierlichen Gottesdienst im Jahre 1932 gesungen hatte, drei- bis fünfstimmig gesungen. Nach dem Gottesdienst wollten mich die Leute unbedingt in ihrer Gemeinschaft behalten, zumal vor einigen Wochen die rumänischen Popen in ihrer Kirche Gottesdienst gehalten und ihren »Heiligen«, Petrache Lupu, dort dem Volke vorgeführt hatten. Mit Tränen in den Augen ließen sie mich ziehen, nachdem ich ihnen einige Rosenkränze überlassen und das Versprechen gegeben hatte, recht bald wiederzukommen bzw. einen katholischen Priester zu schicken. Nach dem Requiem taufte ich etwa 300 Kinder. Dabei wurde mir gesagt, daß noch über 100 Kinder zu taufen wären.
Am gleichen Nachmittag kam ich nach Baden mit 2 300 Seelen. Obwohl ich nur einen informativen Besuch in dieser Gemeinde vorhatte, zwangen mich die Leute, ihre Kirche zu weihen und wie in Straßburg Requiem für ihre Verstorbenen zu halten. Um 6 Uhr nachmittags hielt ich die kirchliche Weihe und den Gottesdienst in derselben Weise wie in Straßburg. Nach dem Gottesdienst baten mich die Leute, obwohl es schon dunkel war, mit ihnen in den Friedhof zu ziehen, um die Gräber der Verstorbenen, die ohne priesterlichen Segen und ohne Einsegnung gestorben waren, zu versiegeln (einzuweihen) und einen neuen Friedhof einzuweihen. Das Wehklagen und Weinen der Menschen bei diesen Zeremonien war derart ergreifend, daß ich es mein Leben lang wohl nie vergessen werde. Die ganze Nacht waren sie hei mir in der Wohnung und erzählten von ihrem Leid und ihrem Jammer während der Bolschewistenzeit. Ein früherer Seminarist aus Saratow, der zu diesem Zeitpunkt religiöser Führer der Gemeinde war, erklärte, der Tag der Neueinweihung der Kirche und des Friedhofs sei der schönste Tag seines Lebens. Seit Jahren hatten sie auf einen Priester gewartet und wollten schon an den Heiligen Vater in Rom schreiben. Endlich sei ihr Wunsch in Erfüllung gegangen. Am nächsten Tag kam ich in die Gemeinde Kandel, wo ich mein Kommen zuvor durch einen Reiter hatte melden lassen. Als ich gegen zehn Uhr zur Kirche kam, wurde ich am Portal von 18 festlich gekleideten Mädchen mit Sträußen in den Händen und einem Blumenkranz empfangen. Der alte Kirchenvater hieß mich im Namen der Gemeinde als Priester Gottes herzlich willkommen und bat um den priesterlichen Segen für die ganze Gemeinde. Unter den brausenden Klängen der guterhaltenen Orgel und dem Absingen des Ecce sacerdos magnus wurde ich feierlich zum Altar geleitet. Weihe des Taufwassers, Kirchenweihe und Requiem sowie Kindertaufe erfolgten in der bei Straßburg beschriebenen Weise. Nach dem Gottesdienst wollte ich sofort in die nächste Gemeinde Weiterreisen, aber die Leute ließen mich nicht gehen. Sie zwangen mich, in Prozession unter Singen und Beten durch das Dorf zu ziehen und es zu weihen. Leider war es mir aus Zeitmangel nicht möglich, jedes einzelne Haus zu weihen und zu besuchen.
Am gleichen Tag kam ich noch in die Gemeinde Selz mit 3000 Seelen, wo ich mich leider nur wenige Stunden aufhalten und keinen feierlichen Gottesdienst halten konnte. Die Leute mußten sich mit einer kleinen Andacht für ihre Verstorbenen begnügen. Noch am gleichen Tag wollte ich in das ungefähr 40 km entfernte Dorf Landau fahren. Bei schlechten Straßen blieben wir mit dem Auto kurz vor einer Gemeinde stecken. Als ich ausstieg, um Hilfe zu holen, kam mir ein altes Mütterlein mit einem Kind auf dem Arm entgegen, und bevor ich noch ein Wort sagen konnte, frage sie: »Seid ihr ein katholischer Priester?« Ich war in der Gemeinde Poniatovka mit 1447 Seelen. Da die Kirche von den Machthabern vollständig zertrümmert worden war, hielt ich im Hof dieser Bäuerin den Gottesdienst, weihte das Weihwasser und taufte Kinder. In einer Stunde hatte sich zu diesem Gottesdienst fast die ganze Gemeinde versammelt und bedauerte, daß ich schon wieder weiterziehen mußte. Auf dem Weg nach Landau kam ich noch durch die kleine Gemeinde Frieden-heim mit 232 Seelen. Nach der Weihe des Weihwassers und kurzer Andacht für die Verstorbenen ließ mich die Gemeinde ziehen, nachdem ich ihnen das Versprechen gegeben hatte, recht bald wiederzukommen bzw. einen Priester zuschicken.
In Landau, der Zentrale des Beresaner Gebietes, konnte ich mich an diesem Tage nur ungefähr eine Stunde aufhalten; ich versprach, den nächsten Sonntagsgottesdienst in dieser Gemeinde zu halten. Bei meinem Weggang knieten die Leute nieder und baten um den priesterlichen Segen. Am nächsten Tag war ich in Karlsruhe mit 2550 Seelen. Diese Gemeinde der Ukraine hatte die größte Kirche unter den deutschen Gemeinden. Das Gotteshaus war genauso entweiht und mißbraucht wie an allen anderen Orten. Die Beteiligung am Gottesdienst war hier nicht so stark, auch hatte diese Gemeinde weder einen Organisten noch einen Kirchenvater. Die Teilnahme der Anwesenden jedoch war nicht weniger ergreifend wie anderswo. Nach dem Gottesdienst kam eine Frau und meldete, sie habe in ihrem Haus die Altarsteine und einige Hostien eingemauert. Als ich das den Leuten mitteilte, zog die ganze Gemeinde zu diesem Haus, wo ich dann selbst die aufbewahrten Heiligtümer aus der Mauer nehmen und in feierlicher Prozession zur Kirche tragen mußte. Eine selten ergreifende Feier war diese Einholung der geretteten Reliquien.
In Katharinental mit 2300 Seelen traf ich noch einen alten Priester, Pater Greiner, einen 81jährigen, blinden Greis. Er erzählte mir in lebhafter Weise vom Schicksal der übrigen Priester in der Ukraine, die wegen ihrer deutschen Haltung und ihres priesterlichen Berufs gefangen, verschleppt oder auch gemartert worden waren. Mit Stolz berichtete er, keiner sei abtrünnig geworden, alle hätten als Märtyrer für ihren katholischen Glauben und für ihr Deutschtum die Leiden, ja selbst den Tod auf sich genommen.
In der 42 km entfernten Gemeinde München mit 1200 Seelen traf ich die religiösesten Menschen. Es gab in dieser Gemeinde keinen einzigen Deutschen, der Kommunist geworden wäre. Keine einzige Ehe wurde geschieden. Vor dem Gottesdienst sagte man mir, das Friedhofskreuz, die Monstranz sowie einige Reliquien aus dem Altarstein seien gerettet worden. Im Hof des Schmiedemeisters mußte ich das Kreuz mit ausheben und die Monstranz mit den Reliquien und einem schönen Meßgewand in einem Stall ausgraben. Die Leute hatten es dort versteckt. Da bei der Monstranz der Fuß fehlte, ließ ich noch rasch einen Holzfuß anfertigen und konnte nach dem Gottesdienst wieder das Allerheiligste in der Monstranz zur Anbetung aussetzen. Die Freude der Leute darüber war unbeschreiblich. Immer wieder sagten sie: »Jetzt wird es gutgehen; denn wir haben unsern Herrgott wieder gesehen«. Diese Gemeinde hatte noch mehr aufbewahrt: einen Kelch, eine Schachtel mit Hostien, einige Reliquien aus dem von den örtlichen Machthabern zertrümmerten Altarstein, das weiße Taufhemdchen und eine Büchse mit Weihrauch. Vor meiner Abfahrt versammelte sich die Gemeinde, um nochmals den priesterlichen Segen zu erbitten. Mit Tränen in den Augen hielt der Schulze, der in vier Jahren Verbannung 4330 km zurückgelegt hatte, die Dankesrede und schloß mit den Worten: »Herr Pater, wenn Sie einst in die Ewigkeit kommen, wird der liebe Herrgott sie mit den Worten empfangen: Tritt ein, du getreuer Knecht, in die Freuden deines Herrn; weil du den weiten Weg in die Ukraine nicht gescheut und auch die Münchener besucht hast, sollst du reich belohnt werden.«
Beim Gottesdienst in Rastatt mit 3000 Seelen hielt ich wiederum Weihwasserweihe, Einweihung der Kirche und des Friedhofs. Einige hundert Kinder mußte ich am gleichen Tag noch in dieser Gemeinde taufen. Als ich Neu-Rastatt mit 700 Seelen besuchte, kam ein Bauersmann und bat mich, auch nach Klein-Rastatt mit 500 Seelen zu kommen, um die dortigen Kinder zu taufen. Wenn es auch ein Umweg von 11km war, so konnte ich diese
Bitte doch nicht abschlagen und taufte noch am gleichen Tag in dieser Gemeinde 85 Kinder.
Beim angesagten Gottesdienst in Landau mit 2500 Seelen war die Kirche bis auf den letzten Platz gefüllt, ebenso bei der Nachmittagsandacht und beim Gottesdienst am andern Tag. Besonders stark war dort die Teilnahme der Schuljugend, die mich den ganzen Tag überallhin begleitete. In Speyer mit 3000 Seelen besaß der Bolschewismus die meisten Parteimitglieder. Trotzdem war die Kirche beim Gottesdienst bis auf den letzten Platz gefüllt. Kindertaufe, Versehgang, Beerdigung füllten dort den ganzen Tag aus. Die letzte Gemeinde, die ich besuchte, war Sulz mit 2000 Seelen. Die Anteilnahme der Gemeinde war ebenso ergreifend wie in den anderen Gemeinden. Überwältigend war der Gang zum Friedhof, wo kurz zuvor eine Reihe von Leuten beerdigt worden war, die die Gewalthaber erschossen hatten. Wie überall konnte ich mich auch in dieser Gemeinde nur dadurch freimachen, daß ich versprach, recht bald zu Besuch zu kommen oder einen Priester zu schicken. Ungefähr vier Wochen lang war ich in den deutschen Gemeinden in Rußland tätig. Nach meiner Rückkehr nach Rumänien sandte ich sofort einen persönlichen Bericht an den Heiligen Vater mit der Bitte, den früheren Priester der Diözese Saratow/Tiraspol, Prälat Dr. Martin Glaser, der damals Regens im Priesterseminar in Jasy war, zum Leiter der katholischen Mission in dem besetzten Gebiet zu ernennen. Schon nach zehn Tagen wurde Prälat Glaser Apostolischer Visitator von Transnistrien.
In aller Eile planten wir den Aufbau der Seelsorge in den besetzten Gebieten und schon im Oktober konnte die zweite Fahrt nach Rußland erfolgen, und zwar mit dem Ziel Odessa.
Damals fuhr auch der neuernannte Apostolische Visitator und mein Mitarbeiter in Rumänien, Pater Kampe, jetziger Weihbischof von Limburg, mit. Wir konnten widerum einen Sanitätsgefreiten, der ebenfalls Kaplan war, gewinnen, uns mit seinem Lastwagen mitzunehmen. Anfang November kamen wir nach schwerer Fahrt in Odessa an. Unser erster Weg führte zur Kathedrale, die dem heiligen Klemens geweiht war. Bald fand sich eine Reihe von Leuten ein, und wir konnten mit ihnen die Lage besprechen.
Die Kathedrale, die in der Katharinenstraße 33 stand, war wie alle anderen Kirchen entweiht worden. Zeitweise war sie ein Lagerschuppen, dann Pferdestall und Militärdepot. Die Gläubigen von Odessa hatten schon vor unserem Kommen das Gotteshaus einigermaßen instand gesetzt. Natürlich konnten nur die gröbsten Schäden behoben werden. Alle Altäre waren entfernt, das große Altarbild, das die Himmelfahrt Mariens darstellt, war aus dem Rahmen geschnitten und dafür ein großes Stalinbild eingesetzt worden. Der Marmorfußboden war teilweise stark beschädigt, die Fenster zum Teil ohne Glas. Trotzdem konnte bald der erste Gottesdienst durch Prälat Glaser gehalten werden.
In kurzer Zeit hatte sich bei den täglichen Gottesdiensten eine vielköpfige Gemeinde eingefunden.«
Zur gleichen Zeit konnte ein polnischer Priester aus England die polnischen Katholiken in der Sowjetunion besuchen. Erst 1988 durfte eine Polin, welche die schlimme Zeit der Verschleppung überlebte, in der katholischen Warschauer Wochenzeitung »Lad« darüber berichten. Sie erwähnt auch Rußlanddeutsche:
… In der Zeit freundschaftlicher Beziehungen zwischen Stalin und der polnischen (Exil-)Regierung (nach Hitlers Überfall auf die UdSSR) erlaubte man einem polnischen (katholischen) Priester, aus England zum Seelsorgsdienst zu den Polen zu kommen, die in Kasachstan waren. Der Priester, der von Dorf zu Dorf fuhr, machte unterwegs einen ehemaligen Organisten ausfindig, dieser schloß sich dem Priester an, und sie suchten gemeinsam die Polen auf. Obwohl es keine Möglichkeit gab, die Nachricht weiterzugeben, weil es an der entsprechenden Kommunikation fehlte, verbreitete sich die Nachricht von der Ankunft des Priesters sehr schnell. Zu ihm eilten nicht nur die Polen, sondern auch die Angehörigen verschiedener Religionen sowie Konfessionslose. Das fiel zusammen mit dem 25. Jahrestag der Einführung der Sowjetmacht, mit dem Jahrestag der Schließung der Kirchen und des Verschwindens der Gastlichen.
Die freudige Nachricht von dem Besuch des Priesters in unserem Bezirk war einige Wochen vorher zu uns gelangt. Man beschloß, unsere Kinder auf die Erste Heilige Kommunion vorzubereiten. Es waren mehrere Kinder, aber keiner von uns Erwachsenen hatte den Katechismus so gut im Gedächtnis, daß er die Kinder hätte unterrichten können. Lehrbücher für den Religionsunterricht gab es nicht, und in dieser Lage übertrug man … meiner Schwester sowie Wandzia Urboś die Aufgabe, die Kinder auf die Beichte vorzubereiten. Die Mädchen machten sich an die Arbeit, und als der Priester ankam, war alles bereit. Der Priester wohnte bei uns, wo sich ein medizinischer Versorgungspunkt befand, das war das größte und ordentlichste Haus. Am ersten Tag fand eine Beichte aller Polen sowie die Erstkommunion der Kinder statt, später eine feierliche Heilige Messe. Die Kerzen wurden angesteckt, und es fielen die sakramentalen Worte…, die an Den gerichtet waren, der alles sieht und über alles wacht und ohne dessen Willen niemandem ein Haar vom Haupte fällt. Herr Organist Chojnacki stimmte die Lieder an. Alle sangen mit. Vor Freude und Glück weinten alle zusammen mit dem Priester. Nach der Feier sagte der Priester, es habe sich gelohnt hierherzukommen, um Menschen zu sehen, die so durchdrungen seien von tiefem Glauben, von der
Sehnsucht und der Liebe zu Gott. Die Freude und die Gespräche fanden kein Ende.
Als es gegen Abend nötig wurde, Wasser anzuwärmen, damit der Priester sich waschen konnte, fehlte es an Holz zum Heizen. Keiner von den Polen wollte losgehen, um Holz zu holen. Der Priester bemerkte unsere Verwirrung und fragte, ob etwas Schlimmes geschehen sei. Wir sagten ihm, wir gingen für gewöhnlich, um Holz zu holen, in die Kolchose und wir würden je ein paar Holzkloben stehlen, aber heute befänden wir uns nach der Hl. Beichte, und niemand wollte sündigen. Der Priester lächelte und sagte: »Dann werde ich Holz holen gehen, nur muß mir jemand von euch den Weg zeigen.« Man brauchte viel Heizmaterial, denn alle Brunnen waren eingefroren, und man mußte das Wasser aus dem Schnee auftauen. Und so verging unser erster Tag mit dem Geistlichen; mit Gebet, mit Gesprächen und praktischen Dingen. Die Nachricht von der Ankunft eines Priesters verbreitete sich in Windeseile. Von Morgengrauen an hatte die örtliche Bevölkerung begonnen, hierherzuströmen. Anfangs kam die ältere Generation; die Jugendlichen und Kinder schauten aus gewöhnlicher Neugier durch die Fenster hinein. Die älteren baten um die Beichte und andere Sakramente.
Angeregt durch die älteren Leute, begannen ganze Familien heranzuziehen, und sie baten um die Taufe. Weil kein Wasser aus dem Brunnen zu holen war, waren wir Tag und Nacht damit beschäftigt, Schnee aufzutauen, um dem Priester das für die Taufe notwendige Wasser zur Verfügung zu stellen. Noch vor dem Abend begannen Fuhrwerke aus anderen Ortschaften vorzufahren, die voll von Menschen verschiedenen Alters waren: sie baten dringend um den Dienst des Priesters. Die Wohlhabenderen brachten als Gabe viele Lebensmittel sowie Geld mit, und sie wollten Kerzen, Medaillons, Rosenkränze, Bilder, Ikonen weihen lassen, dazu nutzten sie die Gelegenheit. Eine deutsche Familie brachte einen ganzen Koffer voll liturgischen Geräts: da waren schöne bestickte Ornate, Chormäntel, Stolen, Meßwäsche, ein goldener Kelch, eine Patene, liturgische Bücher, ja sogar ein Vermeidungsbuch und Meßwein.
Wieviel Freude und Glück spiegelte sich in den Gesichtern dieser Menschen, als sie dem Priester das zurückgaben, was einst der Kirche gehört hatte. Sie hatten diese Schätze viele Jahre lang aufbewahrt, nur um sie in Hände geben zu können, die dessen würdig waren. Als der Priester diese Geschenke erhielt, verstummte er vor Rührung. Der Glaube und die Aufopferung dieser Menschen waren nicht nur rührend, sondern geradezu erstaunlich. Am folgenden Tage gab es auf dem Platz keinen freien Raum mehr. Mit jeder Stunde kamen mehr Menschen. Sie bewegten sich vorwärts auf ihren Knien, die Hände zum Gebet gefaltet oder zum Himmel gereckt, dabei sangen und beteten sie. Beim Anblick des Priesters baten sie ihn, ihnen die Sünden nachzulassen, die sie im Laufe des ganzen Lebens begangen hätten. Es ertönte ein Schreien, ein Weinen, ein Singen. Was sich dort abspielte, läßt sich weder beschreiben noch berichten.
An Schlaf war für uns nicht zu denken. Die Ernte war groß, doch der Arbeiter waren wenige. Und deshalb tauften alle Erwachsenen, nachdem sie vom Priester angeleitet worden waren, die Ankommenden. Die Kinder wiederum schleppten Schnee zum Kessel, sie heizten den Ofen, um so schnell wie möglich das für die Taufe notwendige Wasser liefern zu können. Der Priester aber wußte nicht ein noch aus vor Arbeit. Tausende von Menschen verlangten nach der heiligen Beichte. Dem Priester hingen die Arme vor Ermüdung herunter. Er sprach einige Worte auf Latein, machte das Kreuzzeichen und sprach den Segen. Ich erinnere mich nicht an viel von diesen Ereignissen, wir alle waren in einem gewissen Schock.
Als die Leitung der Kolchose sah, was sich um den Priester herum abspielte behauptete sie, bei uns beginne eine Revolution.
Am vierten Tag kam ein Wagen der Polizei vor das Kontor gefahren. Die Polizei trieb die Menschenmenge auseinander, sie drang in unser Haus ein und rief den Priester heraus. Nach einem kurzen Gespräch nahm man ihn im Auto mit. und sie fuhren unter dem Schreien und Lamentieren der Menschen davon. Als man den Priester verhaftete, sagte der Polizeichef zu ihm: »Wir haben dir erlaubt, nach deinen Polen zu sehen, du aber führst eine Teufelsarbeit durch, du hast die Menschen sehr, sehr verdorben, du hetzt sie zur Rebellion gegen die Sowjetmacht auf. Oh, das ist schlecht.«
Man verhaftete den Priester und setzte ihn im Gefängnis fest. Einige Wochen später kam von ihm eine Nachricht. Er bat darum, ihm warme Wäsche und Lebensmittel zu schicken. Er erinnerte auch daran, daß er Tag und Nacht arbeite, daß er Beichte höre und die Sakramente spende. Er meinte, daß er gerade dort notwendig sei, er habe soviel Arbeit, daß ihm die Zeit seines Lebens dafür nicht ausreichen werde.
Ein anderes Mal erhielten wir einen Zettel von dem Priester, auf dem er schrieb, daß die Vorsehung die Geschicke der Menschen unterschiedlich lenke. Unsere Verbannung nach Sibirien sei notwendig gewesen, damit durch uns das Licht des Glaubens in den Menschen angezündet werde, die dieser Gaben beraubt seien. Daß er Tausende von Menschen hatte taufen und mit Gott versöhnen können, war ein wirkliches Wunder der göttlichen Vorsehung und der göttlichen Liebe.
Gekürzter Auszug aus der Warschauer Wochenzeitung .Lad« vom 21 August 1988. Originalüberschrift: «Die Ankunft des Priesters.« Aus dem Polnischen übersetzt von Wolfgang Grycz. Entnommen aus Informationen und Berichte — Digest des Ostens, herausgegeben vom Albertus-Magnus-Kolleg/Haus der Begegnung Königstein e.V., Nr. 10/1988, S. 10.
Jahrzehnte später trifft man diese Gläubigkeit auch in Zentralasien. Dort hat der 1975 verstorbene polnische Priester Wladyslaw Bukowinski Heldenhaftes geleistet. Seine Memoiren, die er vor seinem Tode bei einem Heimataufenthalt in Polen niederschrieb, sind eine wichtige Quelle für die Geschichte der katholischen Diaspora in Sowjetasien. Darin lesen wir u. a.: »Im asiatischen Teil der Sowjetunion stehen unter den Katholiken an erster Stelle… die Deutschen, an zweiter Stelle die Polen und an dritter die Litauer… Die Katholiken übertreffen die Orthodoxen; sie bemühen sich, Glaube und Frömmigkeit ihren Kindern und Enkeln zu überliefern. Im Kampf um die Seele des Kindes hängt das meiste von der Familie und besonders von der Mutter ab. In der multinationalen katholischen Bevölkerung der Sowjetunion gibt es sehr wenig überzeugte Atheisten, es gibt mehr Agnostiker, aber weniger als unter den Orthodoxen. Zahlreich ist bei der jüngeren Generation die Zahl derer, die gläubig sind, aber gar nicht oder sehr wenig beten. Solche jedoch bekreuzigen sich für gewöhnlich am Abend vor dem Schlafengehen und lassen stets ihre Kinder taufen…«
Um die Auswanderungsgesuche nach Deutschland in den 70er Jahren etwas zu stoppen, mußten die Sowjets sogar neue Kirchengemeinden zulassen. In Kasachstan gab es Fälle, wo Rußlanddeutsche das Ultimatum stellten: entweder wir dürfen eine Kirche bauen oder wir beantragen die Ausreise nach Deutschland. So entstanden registrierte Gemeinden in Aktjubinsk, Alma-Ata, Dschambul, Issyk, Karaganda, Kustanaj, Pavlodar, Zelinograd (alle Kasachstan), in Prunze (Kirgisien), Taschkent (Usbekistan), Duschambe (Tadschikistan), Irkutsk, Tscheljabinsk und Nowosibirsk (RSFSR). Deutsche Katholiken gibt es aber auch in den Gemeinden Moskau und Leningrad, Tiflis (Georgien) und Kischinew (Moldawien).
Jenseits des Urals sind nur wenige Priester tätig. Der letzte Priester der Diözese Tiraspol, Prälat Michael Köhler, starb 1983, der letzte deutsche Priester in der Sowjetunion überhaupt 1984. Es war der Kapuzinerpater Thomas Maria Gumppenberg, der vor dem Krieg in Lettland tätig war und in seinen letzten Lebensjahren Aktjubinsk betreute. Inzwischen ist 1984 ein deutscher Seminarist, Josef Werth, in Litauen zum Priester geweiht worden, der heute in Aktjubinsk als Nachfolger von P. Thomas die Gemeinde leitet. In Riga erhielt 1987 Josef Schmidtlein die Priesterweihe, dem andere folgten. Elf rußlanddeutsche Seminaristen studieren 1988/89 in Riga, darunter zwei Diakone. Die anderen Priester für die Deutschen sind Litauer, Letten, Polen und Ukrainer, die oft bis zu 25 Außenstationen betreuen. So kommt es, daß -wie die von der Deutschen Bischofskonferenz in Königstein eingerichtete Seelsorgestelle für die katholischen Rußlanddeutschen unter Leitung von
Pfarrer Peter Macht feststellt - »sehr viele unserer Glaubensbrüder in der Sowjetunion in ihrem Leben noch niemals eine katholische Kirche gesehen, niemals einen feierlichen Gottesdienst erlebt haben. Viele versammeln sich auf dem Friedhof und in Privathäusern zum Gebet. Für die Erstkommunion der Kinder oder zum Empfang der Firmung reisen manche Hunderte, ja Tausende von Kilometern weit. Und eine Distanz von 200 Kilometern halt sie nicht vom Beichten ab.«
Schwester Valentina Dötzel, eine nach Deutschland ausgesiedelte Vorbeterin und Helferin in der Gemeinde, berichtete auf einem der Kongresse »Kirche in Not« in Königstein über das kirchliche Leben: »Im allgemeinen zelebrierte der Priester am frühen Morgen die heilige Messe. Wenn er aber abgereist war, wurde gemeinsam unter Leitung von Schwester Gertrud das Morgengebet gelesen. Sie verteilte auch die hl. Kommunion, wofür sie vom Priester eine besondere Erlaubnis hatte. Sie tat das mit Hilfe eines besonderen Löffels, um die Hostie nicht mit den Fingern zu berühren. Danach folgten Dankgebete. Abends versammelten sich wieder alle zum gemeinsamen Gebet unter ihrer Leitung. Es wurden Gebete gesungen oder aus der Heiligen Schrift gelesen.« Diese Schwestern leben in Gemeinschaften, obwohl katholische Orden in der Sowjetunion offiziell nicht erlaubt sind. Von den sowjetischen Ortsbehörden werden sie aber als monaschki (Nonnen) tituliert. Nur durch diese »Betschwestern«, wie sie von den Rußlanddeutschen nicht abfällig, sondern als Ehrenbezeichnung genannt werden, und durch den Glaubensmut der Laien kann die Kirche bei dem Priestermangel bestehen. Solche tapferen Schwestern kamen auch aus der übrigen Sowjetunion freiwillig nach Kasachstan. So berichtet eine Polin aus Georgien:
»Ich bin in Kasachstan seit dem 28. Mai 1976 tätig. Zuvor wohnte ich - eine Katholikin — in (Sowjet-)Georgien. Dort erzählte mir ein heiligmäßiger, heute nicht mehr lebender Priester vor Jahren viel von den hier (in Kasachstan) lebenden Menschen, zu denen er hin und wiederfuhr. Dabei hörte er sie von den Zeiten erzählen, als sie sich hier, zerstreut über ein riesiges, einige Tausend Kilometer zahlendes Gebiet, wiederfanden, auf dem sie einige Dutzend Jahre unter unmenschlichen Bedingungen existieren mußten. Der Priester, von dem ich hier spreche, kam ab und zu hierher, um seelsorgliche Funktionen wahrzunehmen. Jeweils mußte er stundenlang ohne Unterbrechung, und zwar vorwiegend nachts (aus Furcht vor Verhaftung) zwischen acht bis vierzehn Stunden Beichte hören, er feierte die hl. Messe und teilte die Sakramente aus. Es beichteten Menschen, die zehn bis 40 Jahre nicht das Bußsakrament empfangen hatten, weil sie keine Möglichkeit gehabt hatten, einen katholischen Priester zu treffen. Die Ernte dort war groß, aber der Arbeiter waren wenige. Unter dem Einfluß dieser Erzählungen entschloß ich mich, in dieses Gebiet überzusiedeln mit der Absicht:
1. dort einen Mittelpunkt der Liebe zu schaffen, an dem unser Herr Jesus sakramental wohnen könnte und an dem Seine Gegenwart selbst die Wirklichkeit beeinflussen würde;
2. einen Stützpunkt für jeden Priester zu gewährleisten, der es riskieren würde, im Namen der Liebe Gottes und der Liebe zum Nächsten, welcher sich in einer sowohl geistlichen wie auch oft materiellen extremen Notlage befindet, jegliche Schwierigkeiten auf sich zu nehmen;
3. mit den Menschen hier und zu ihrem Wohl mit allen unter diesen Umständen möglichen Mitteln persönlich zu arbeiten.
Die Stadt Z. zählt ungefähr 300000 Einwohner. Sie ist weit ausgedehnt. An Verkehrsmitteln gibt es nur Autobusse. Es sind wenig Busse vorhanden, deshalb wartet man an den Haltestellen häufig vierzig bis sechzig Minuten. Die nationale Zusammensetzung ist differenziert: Russen, Kasachen, Ukrainer, Polen, Deutsche, Zigeuner, Inguschen, Juden u. a.
Die Stadt begann sich in den fünfziger Jahren in einem modernen Stil zu entwickeln. Es entstehen neue Siedlungen, die aus den typischen Wohnblöcken zusammengesetzt sind. Die alten Häuser sind - zu 99 Prozent - ebenerdige, kleine Hütten, die aus Saman (Lehmziegel mit Beimischung von Mist, Stroh u.a.) zusammengefügt sind, ohne Fundament, mit flachen, erdüberschütteten Dächern, auf denen im Sommer Gras wächst (daher der Name dieses Häuschens - »Semlanka«). Die Fenster sind ganz klein, was sich aus der Notwendigkeit ergibt, während des langen Winters, der hier sieben bis siebeneinhalb Monate dauert, die Wärme zu halten.
Es gibt hier mehr Polen als Deutsche (im Gegensatz zu anderen Städten Kasachstans, wo es mehr Deutsche als Polen gibt). Die Polen sind Katholiken, die Deutschen sind Katholiken oder Lutheraner.
Die Stadt hat eine orthodoxe, gut erhaltene Kirche, in der drei Geistliche wirken, eine moslemische Moschee für die Kasachen, ein protestantisches Gotteshaus und ein Gebetshaus für die Baptisten. Die Katholiken haben noch keine Kirche, obwohl ihr Kampf um ein eigenes Gotteshaus schon 25 Jahre dauert. Die Polen sind Nachkommen von Familien, die in den Jahren 1934/36 aus dem Gebiet der polnischen Grenze in diese Einöde umgesiedelt wurden. Seinerzeit, im Angesicht der Vernichtung, entschlossen sie sich, »heimzukehren«. Man rechnete mit ihnen in der Weise ab, daß von allen Männern nur zwei am Leben blieben. Es leben noch Zeugen dieser Ereignisse, aber Einzelheiten sind hier nicht notwendig.
Es gibt bis heute noch Familien, in denen sich die Muttersprache erhalten hat. Die Kinder sprechen polnisch, die Großmütter lehren sie das Vaterunser. Die mittlere Generation und jüngere Generation war nie im Lehen in einer richtigen Kirche, hat keinen einzigen feierlichen Gottesdienst gesehen noch liturgische Gewänder (die hier von Zeit zu Zeit herkommenden Priester benutzen nur Chorrock und Stola).
Ich verfüge über einige Dias, die das Innere von Kirchen in Litauen und Lettland darstellen — man muß diese strahlenden Gesichter und tränenvollen Augen gesehen haben, als ich ihnen das zeigte, als ich von der Liturgie und dem katholischen Leben erzählte.
Um die Stadt herum gibt es viele sogenannte »Posiolki« — kleine Städtchen, die je einige Tausend Einwohner zählen, etwa zehn bis 40 Kilometer von Z. entfernt. Dort gibt es auch viele polnische Katholiken. Sie alle warten auf ihre Kirche und einen Priester. In einem dieser »Posiolki«, in einem Privathaus, richtete man in den Jahren 1949/50 ein Kirchlein ein. Man bekam jedoch keine offizielle Bestätigung für die Kirche, der Priester wurde gezwungen, wegzufahren, und heute lebt er nicht mehr.
Vor 20 Jahren begann man erneut den Kampf um ein ständiges »offizielles« Haus des Gebets. Man sammelte Geld, erhielt eine mündliche Genehmigung und kaufte ein Haus für 12000 Rubel. Der Priester war sehr eifrig. Der Gottesdienst fand in drei Sprachen statt: in Polnisch, Deutsch und Ukrainisch. Das katholische Leben begann sich sehr dynamisch zu entwickeln, aber das dauerte nicht lange. Man gab keine schriftliche Genehmigung, man nahm den Katholiken das Haus weg, und der Priester mußte sich während einiger Monate aus Furcht vor Verhaftung verstecken. Einer der Organisatoren war ein ganzes Jahr in Haft.
Dieses Ereignis bewirkte, daß man allgemein mutlos wurde und eine pessimistische Einstellung gegenüber allen derartigen Versuchen in der Zukunft einnahm. Noch nach 20 Jahren hörte ich, wenn es um die Möglichkeit ging, die Genehmigung zur Eröffnung einer Kirche zu erhalten, die Äußerung: »Letzten Endes werden sie uns doch alles wegnehmen.«
Gegenwärtig versammeln sich die deutschen Katholiken am Sonntag und an den Feiertagen zum gemeinsamen Gebet an zwei Stellen, wo das Allrheiligste Altarsakrament aufbewahrt ist… in einem Schränkchen, in einem Kästchen. Das Gebet dauert zwei bis vier Stunden. Gewöhnlich wird das Gebet von einer der Frauen angeführt — die anderen antworten. Es werden Gottesdienste zu besonderen Zeitperioden abgehalten — im Mai, im Juni, in der Rosenkranzzeit, in der Fastenzeit, schließlich Meßgebete.
Die Gläubigen singen auf Latein das Asperges, das Kyrie, das Gloria, das Credo, das Sanctus, das Benedictus, das Agnus Dei und der Zeit angepaßte Lieder in der Muttersprache. Man hört die Lesung und das Evangelium, stets wird ein Gebet in der Intention des Hl. Vaters und der ganzen Kirche gesprochen. Die polnischen Katholiken hatten die ganze Zeit über keinen festen Ort für ein gemeinsames Gebet. Man verabredete für jeden Sonntag, bei wem man sich zum Gebet treffen solle. Wenn jemand an einem Sonntag nicht anwesend sein konnte, so war es für ihn schwierig, zu erfahren, wo das nächste Treffen stattfinden werde, denn die Stadt ist sehr weiträumig, die Verkehrsverhältnisse sind fatal und die Katholiken über die ganze Stadt zerstreut. Äußerer Vorwand einer Versammlung, für den Fall eines Eingreifens der Behörden, sind die sogenannten »Pominki« – ein Gebet für die Verstorbenen jener Familie, die in dem gegebenen Haus wohnt. Manchmal hat die Versammlung dies tatsächlich zum Ziel, dann bereiten die Gastgeber ein Mittagessen für die Betenden vor, indem sie dies als gute Tat zum Wohle der Verstorbenen erachten. »Wir haben weder Kirche noch Priester, wir können nichts für die Kirche geben, also beköstigen wir gute Menschen«.
Das gemeinsame Gebet - das sind Stundengebete, der Hosenkranz, die Meßgebete. Alle Teile der hl. Messe werden in polnischer Sprache gesungen. Zur Zeit haben wir mit mündlicher Behördengenehmigung ein kleines Haus gepachtet, wo eine fromme Frau mit ihrer blinden alten Mutter wohnt. Das größere Zimmer hat etwa fünfzehn Quadratmeter, das kleinere acht bis zwölf Quadratmeter, außerdem gibt es noch eine Küche und eine Diele. Die Zimmerdecke ist, wie gewöhnlich, niedrig, die Fenster lassen sich nicht öffnen. Wir beten gemeinsam - Polen und Deutsche - sehr einträchtig miteinander, wobei wir voll Liebe einander den Vortritt lassen, häufiger jedoch verbinden-wir uns in gemeinsamem Gebet. Wenn z. B. der Rosenkranz auf deutsch gebetet worden ist, dann wiederholen ihn die Polen nicht mehr — wir verstehen ja alles.
Die festen Teile der hl. Messe singen wir auf Latein — das verstehen alle. Wir haben eine kleine Elektroorgel. Die anderen Meßgebete werden abwechselnd deutsch und polnisch gesprochen. In beiden Sprachen werden auch die Lesung und das Evangelium vorgetragen, die Homilie lesen wir aus dem Buch. Zu Beginn der Meßgebete singen wir das Asperges, es findet die Besprengung mit Weihwasser statt, später beten wir in einer allgemeinen Intention, wobei wir uns geistig mit denen verbinden, die in diesem Augenblick tatsächlich an dieser hl. Messe teilnehmen. Wir wiederholen diese Intention zur Zeit der Wandlung und auch beim geistigen Kommunionempfang. Nach einem Moment der Stille sprechen wir: »Leib und Blut des Herrn.« Nach den Meßgebeten führen wir geistig eine Anbetung des Allerheiligsten Altarsakramentes durch, singen das »O Salutaris«, sprechen ein Gebet für die
Kirche, bitten um einen Priester, singen das »Tantum ergo«, das »Salvum fac« … und zum Schluß den »Engel des Herrn«.
»Der neue Papst wird uns einen Priester geben…«
An allen drei Tagen der Fastenzeit halten wir den Kreuzweg. Zu Ostern halten wir eine Prozession ohne Priester, wobei wir ein Kreuz mit einem roten Band dahertragen, ein Bild des Auferstandenen, eine eigenhändig gefertigte Osterkerze. Die Prozession findet in dem erwähnten Zimmerchen statt.
Als wir erfuhren, daß ein Pole Papst geworden sei, rief eine der frommen Frauen aus: »Jetzt werden wir auch eine Kirche und einen Priester haben, der Papst wird sich sicher um uns kümmern.«
Wir erhielten eine Fotografie des Hl. Vaters, und jetzt ist er ständig bei uns, in unserer »Kirche«.
In unserer Stadt hat nie für ständig ein Priester gewohnt, hat sich nie einer mit der Seelsorge befaßt, gab es nie Religionsunterricht. Das religiöse Leben in seiner heutigen Form ist ein Wunder göttlicher Gnade und Vorsehung. O Jesus, guter Hirt, rühre die Herzen und Sinne der Hirten, die in deinem Namen wirken, damit sie diese am meisten vernachlässigten und verlassenen Deiner Schäfchen mit besonderer Liebe und Fürsorge umgeben, die aus der Tiefe ihrer Not zu Dir rufen — Jesus, wir vertrauen dir. Schließlich hast Du uns ja nicht umsonst in diesen Zeiten als Deinen Stellvertreter einen Hl. Vater gegeben, dem aus Deiner Vorsehung heraus die Angelegenheiten dieser armen Leute so sehr am Herzen liegen. Seinen Gedanken zufolge hat das polnische Volk überall, wo es sich aufhält, eine besondere Mission zu erfüllen. Hilf uns, und wir werden uns bemühen, Dich nicht zu enttäuschen.
Die nach dem letzten Krieg entstandene Stadt zählt etwa 800000 Einwohner. Sie ist sehr ausgedehnt. Der Pfarrer wohnt 18 Kilometer von der Kirche entfernt.
Die Zahl der Katholiken beträgt etwa 3000. Es sind überwiegend Deutsche, aber auch Polen, unierte Ukrainer, einige Litauer. Die Deutschen sind bei Anfang des Krieges aus dem europäischen Teil der Sowjetunion hierher interniert worden. Diese Menschen wurden, nachdem man sie hierher transportiert hatte, ganz einfach in der Steppe ausgesetzt, sie hatten weder Wohnung noch Kleidung.
Der Frost erreichte im Winter bis zu 45 Grad. Deshalb sind viele umgekommen. Später bauten sie sich Hütten aus »Saman« und kämpften gegen die Not.
Sie beteten gemeinsam — wo und wann immer sich eine Gelegenheit bot. Sie versammelten sich besonders an Sonntagen und Feiertagen. Der Kampf um eine Kirche dauerte etwa 30 Jahre lang.
Vorläufig versammelten sie sich in Häusern, obwohl sie auseinandergetrieben, bestraft und bedroht wurden, all dies fruchtete nichts. Einige nichtverheiratete Frauen widmeten sich dem Werk, das religiöse Leben zu erhalten und auszubauen — sie führten gemeinsame Gebete durch und gaben Religionsunterricht.
Wenn die Menschen zum gemeinsamen Gebet gingen, sagten sie: »Wir gehen in die Kirche.« Ein solches Gebet auszulassen, hielten sie für eine Sünde. Später gab es in der Stadt vier, ja sogar sechs Priester. Man erzählt sich, daß es einmal hier sogar zwölf Priester gab, die nach Verbüßung der Gefängnisstrafe in dieser Gegend verblieben waren.
Heute gibt es hier vier Priester. Zwei von ihnen, die von Seiten der Behörden keine Genehmigung zur Wahrnehmung ihrer priesterlichen Funktion haben, sind Unierte, den zwei anderen haben die Behörden die Genehmigung zur Abhaltung von Gottesdiensten in der Kirche und zum Dienst an den erwachsenen Gläubigen gegeben. Einer von ihnen zählt 83 Jahre, er ist tatsächlich ein Mann Gottes von großem Geist. Den jüngeren Priester versuchen die Behörden ständig zu entfernen.
Die Genehmigung zur offiziellen Eröffnung der Kirche erhielt man am 27. Ja-nuar 1977. Die Kirche bestand in einer kleinen »Semlanka« (Erdhütte). Ein Jahr später baute man auf dem selben Platz eine Kirche (26 Meter lang, 18 Meter breit). Die Behörden machten den Vorbehalt, daß die Höhe der Kirche vier Meter nicht überschreiten dürfe.
Die Kirche kann etwa 1000 Personen aufnehmen. Täglich werden vier hl. Messen gehalten — zwei am Morgen und ebensoviele am Abend. Bei jeder hl. Messe sind viele Menschen anwesend, auch Jugendliche und Kinder. Das eucha-ristische Leben blüht. Innerhalb von vier Monaten wurden 39000 hl. Kommunionen ausgeteilt.
Viele Schwierigkeiten gab es, als es darum ging, die Genehmigung zum Bau der Kirche zu bekommen und die Kirche selbst zu bauen. Zu Beginn ließ der Referent (des staatlichen Amtes) für religiöse Angelegenheiten den Vorsitzenden des Kirchenkomitees kommen und erklärte, man dürfe Kindern nicht ge-statten, die Kirche zu besuchen. Der Pfarrer erwiderte auf die ihm übermittelte Nachricht: »Wenn ihr nicht erlaubt, daß Kinder in die Kirche gehen, dann bleibe ich nicht hier. Ich bin nicht nur deshalb Priester, um alte Leute zu begraben.« Heute ist die Kirche voller Kinder und Jugendlicher. Es gibt Personen, die sich aktiv in der Katechese engagieren. Da die Unterrichtung der Kinder in der
Kirche verboten ist, lernen sie in kleinen Gruppen daheim, danach erfolgt eine Prüfung und die Kommunionfeierlichkeit. Im vergangenen Jahr gingen 300 Kinder zur Ersten Hl. Kommunion. Oft finden eucharistische Prozessionen statt. An den ersten Donnerstagen zielt das Gebet darauf ab, um Priester- und Ordensberufe zu bitten. Wenn der Pfarrer über dieses Thema predigt, ertönt in der Kirche ein allgemeines Schluchzen.
Der Priester gibt sich Mühe, bei jedem Gläubigen das Bewußtsein seiner Verantwortung für das Glaubensleben zu wecken. Bei der hl. Messe dienen jugendliche Ministranten in Chorhemden und Kragen. Zu größeren Feierlichkeiten versammeln sich bis zu 32 Ministranten. Die Pfarrei zählt etwa 80 Mädchen, die zum Prozessionsgefolge gehören. Anfänglich fehlte es an weißen Kleidern. Jetzt haben alle weiße Kleider, und es ist ein neues Problem entstanden — wie soll man in der Prozession 40 Mädchenpaare aufstellen. Ein anderes Problem betrifft die Blumen zum Streuen und zum Ausschmücken der Kirche. Der Winter ist lang, man bekommt schwer Gartenblumen, deshalb ziehen die frommen Frauen Blumen in den Häusern, und die Kirche hat frische und schöne Blumen selbst zu den Zeiten, wo der Frost 30 Grad erreicht. Das sind Kleinigkeiten, aber sie sind sehr beredt.
Vor den Osterfeierlichkeiten kündigten die Behörden eine Kontrolle der Kinder an, die an den kirchlichen Gottesdiensten teilnehmen. (Bekanntlich ist es Kindern erst nach Vollendung des 18. Lebensjahres erlaubt, an der Liturgie teilzunehmen.) Listen mit den Namen dieser Kinder sollten an die Schulen weitergeleitet werden, damit man dort daraus die entsprechenden Konsequenzen zöge. Als die Jugendlichen und Kinder davon erfahren hatten, kamen sie, um ihre Teilnahme offiziell zu melden, denn sie wollten für den Herrgott leiden. Feierlich beging man den Jahrestag der Priesterweihe des Pfarrers. Die Kinder sangen in verschiedenen Sprachen schöne Lieder, die Erwachsenen dankten dem Pfarrer für seine große, opferwillige Arbeit für ihre Seelen, wodurch der Herrgott ihnen so viele Gnaden und Freuden bereitet. Darauf antwortete der Pfarrer: »Das, was wir jetzt haben, ist nicht mein Verdienst. Das alles sind die Opferfrüchte von all den vielen, die dies nicht mehr mit irdischen Augen schauen können, weil sie ihr Leben zum Opfer gebracht haben … Alle wissen, wie viele in diesen mehreren Dutzend Jahren des Kampfes umgekommen sind. Jetzt freuen sie sich im Himmel zusammen mit uns, und wir müssen uns unserer Verantwortung für dieses Glück bewußt werden, daß wir nämlich eine Kirche haben und daß wir uns ohne Angst zum gemeinsamen Gebet versammeln können.«
N. N.
Kasachstan, 1980
»Kultura« 5/80
Aus Teil 2: An meine Freunde, die Laien
»Gegenstand meiner schon langjährigen Arbeit als Seelsorger und Missionar sind nicht die Russen und viel weniger noch die Kasachen oder Tadshiken. Ich arbeite vor allem unter Deutschen und Polen. Was sind das für Deutsche und was sind das für Polen? Die Deutschen kommen nicht aus Deutschland und die Polen nicht aus dem Vorkriegspolen.
Deutsche gibt es in Karaganda selbst und überhaupt in diesen Gegenden weit mehr als Polen. Diese Deutschen sind Nachkommen deutscher Kolonisten, die in das russische Zarenreich zur Zeit Katharinas der Zweiten und ihrer Nachfolger, also in der zweiten Hälfte des 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts geholt worden sind. Einheitlich in ihrem Glauben sind die Deutschen in der Sowjetunion – wie auch in Deutschland selbst – nicht. Es gibt viele, die evangelisch sind, recht viele Baptisten, aber auch viele Katholiken. Manche Deutsche sind in diese Gegend noch vor der Revolution gekommen, doch ihre überwiegende Mehrheit wurde hierher aus dem europäischen Teil der Sowjetunion teils noch vor dem Krieg, doch besonders während des Krieges und unmittelbar nach Kriegsschluß umgesiedelt. Recht viele Deutsche sind in diese Gegend auch freiwillig in den Nachkriegsjahren gekommen. Die deutsche Kolonisation im russischen Zarenreich fand vorwiegend in zwei Gebieten statt: 1. in der Südukraine (Odessa, Nikolajew, Cherson, Saporohje), 2. im Wolgagebiet bei Saratow. Aus diesen beiden Gegenden stammen vorwiegend unsere asiatischen Deutschen.
Ich arbeite unter den Deutschen nicht nur in Karaganda und der nächsten Umgebung. Ich arbeite unter ihnen als Seelsorger während meiner russischen Expeditionen in verschiedenen Gebieten, aber ganz besonders in Tadshikistan, worüber ich im dritten Teil dieser Schrift erzählen werde. Mit voller Überzeugung kann ich bestätigen, daß es gut ist, Seelsorger der Deutschen; oder wie es die hiesigen Atheisten nennen, >ein deutscher Pope< zu sein. Die Deutschen haben Gehorsam und Disziplin im Blut. Entweder laden sie einen Priester überhaupt nicht ein, oder aber, wenn sie ihn schon einladen, dann profitieren sie fast alle von seinen Diensten. Dagegen sind unsere >Polenleutchen< in Kasachstan, so wie überall, Individualisten. Heiratet in Kasachstan ein deutscher Katholik eine deutsche Katholikin, dann kommen meistens schon einen ganzen Monat vor der Hochzeit die beiden Mütter zum Priester und sagen: >Die Hochzeit wird an dem und dem Tag gefeiert. Wir kommen zeitig genug, damit der Pater ausreichend Zeit findet, die jungen Menschen auf die Trauung vorzubereiten (und, bitte, reden Sie ihnen tüchtig ins Gewissen, Pater)< und um gemeinsam das Datum der Trauung, selbstverständlich vor der Hochzeitsfeier, zu bestimmen. Dagegen denken unsere lieben »Polenleutchen < nur an die üppige Feier, die mit viel Wodka begossen werden soll, und an die kirchliche Trauung fangen sie erst nach der Hochzeit zu denken an, und auch das nicht alle. Kurz: die Deutschen sind als Katholiken weit konsequenter als die Polen, und daher ist es angenehm, ihr Seelsorger zu sein. — Die Polen übertreffen in mancher Hinsicht die Deutschen. Sie sind herzlicher und opferwilliger. Alle, die jungen studierten Menschen nicht ausgenommen, küssen dem Priester die Hand, und sie tun es gerne, ohne Zwang. Die Deutschen, mit Ausnahme einiger alten Frauen, kennen den Brauch, dem Pfarrer die Hand zu küssen, nicht. Sie sind steifer, wenn auch nicht ohne Herzlichkeit. Ja, sie sind auch opferwillig, geben manchmal wirklich viel, doch die Polen sind da ganz allgemein opferfreudiger. Seit langen Jahren lebe ich ausschließlich von den Spenden der Gemeindeglieder, reise sogar, wenn es sein muß, und zahle dazu noch die Einkommensteuer, die 1969 1088 Rubel, d.h. 16320 Zloty betragen hat. Nun, einen Personenwagen könnte ich mir da nicht leisten, aber für das Notwendigste reicht es. Alte katholische Deutsche fühlen sich vor allern als Katholiken und erst dann als Deutsche. So ein alter deutscher Katholik spricht von sich selbst: Ich bin deutsch-katholisch< und seltener schon: >Ich bin ein Deutscher' (beide Sätze deutsch im polnischen Text — d. Übers, j. Bei der Jugend überwiegt das Katholischseinwollen schon nicht mehr so sehr das Deutschseinwollen. Alte katholische Deutsche halten nicht einmal evangelische Deutsche oder Baptisten mehr für ihre Landsleute. Sie ziehen es auch vor, daß ihre Kinder und Enkel Ehen mit den Polen oder Litauern bzw. Polinnen und Litauerinnen eingehen, wenn sie nur wirklich gläubig und katholisch sind. Fast immer aber sind sie gegen Eheschließungen mit den Russen oder Russinnen. Da die deutschen Familien auch weit gehorsamer und disziplinierter als die polnischen sind, achten dort die Kinder weit mehr auf die Meinung ihrer Eltern, und daher gäbt es auch nur wenige deutsch-russische Mischehen, und sogar Ehen mit deutschen Mädchen und Männern anderer Konfessionen kommen viel seltener vor als einheitliche Ehen von deutschen Katholiken.
Die Deutschen, wie die Juden, hocken gerne zusammen. In den ersten Sacb-kriegsjahren waren sie arg verstreut, standen überall unter der Kommandantur und mußten dort leben, wo man es ihnen befohlen hat — oft ohne Landsleute, unter verschiedenen anderen Nationen. Als man sie jedoch von der Kommandantur befreite und ihnen die Bewegungsfreiheit zurückgab, kehrten sie nicht in ihre heimatliche Gegend zurück, wo es jetzt nur recht wenige Deutsche gibt, sondern fuhren dorthin, wo sich schon nach dem Krieg größere Gruppen der deutschen Bevölkerung angesiedelt haben.
So war es auch in Karaganda. Als ich vor 15 Jahren nach Karaganda verschickt wurde, gab es hier verhältnismäßig wenige Deutsche. Nur in einem Vorort wohnten viele Deutsche aus der Wolgagegend, die bereits 1930 nach ihrer vorherigen >Entkulaktisierung< während der Kollektivierung der Landwirtschaft dorthin verschickt wurden. Unter ihnen arbeitet und wohnt mein Nachbar und Freund, der Prälat Pfarrer Alexander Chira, ehemaliger Rektor des griechisch-katholischen Priesterseminars in Uschhorod in Transkarpatien. Die Deutschen haben in den letzten 15 Jahren ganz Karaganda besiedelt, wohl kamen sie hierher auch deshalb, weil es leichter war, Arbeit zu finden, doch vor allem zog sie die Tatsache an, daß es in Karaganda viele Deutsche und Katholiken gibt, ganz besonders auch, daß es in unserer Stadt katholische Priester gibt. Ähnliches habe ich niemals unter den Polen beobachtet. Einen Juden zieht es zu einem anderen Juden hin, den Deutschen zum Deutschen, aber ein Pole zieht nur selten dorthin, wo es auch nur ein wenig mehr Polen gibt. Die Beziehungen zwischen Polen und Deutschen, die katholisch sind, sind gut, oft gar herzlich, was man schon bei den Beziehungen zwischen den Polen und den Deutschen anderer Konfessionen nicht beobachten kann. Ganz allgemein halten sich die Deutschen so ganz im Grunde ihrer Seele für etwas Besseres, nicht nur zum Unterschied von den Russen, sondern auch von den Polen, doch katholische Deutsche sehen die Polen und Litauer fast als ihresgleich an. (…) Sowohl unter den Polen als auch unter den Deutschen wächst die junge Intelligenzschicht heran. Sie weiß nicht viel über Deutschland und kennt nicht die Kultur und die Geschichte dieses Landes. Trotzdem sind diese jungen, gebildeten Deutschen mit den Problemen ihrer Heimat (Heimat der Vorfahren — Red.) weit besser vertraut, als die jungen polnischen Intelligenzler. (…) Im europäischen Teil der Sowjetunion stehen die Litauer zahlmäßig an erster Stelle unter den Katholiken, an zweiter die Polen, an dritter die Letten, seltener sind katholische Weißrussen, Armenier, Georgier, Deutsche. (…) Im asiatischen Teil der UdSSR stehen unter den Katholiken die Deutschen an erster Stelle, an zweiter die Polen, an dritter die Litauer, und alle anderen Nationalitäten sind nur geringfügig vertreten. (…)
Ich will Beispiele anführen. Alle sind sie dem Leben in der Sowjetunion entnommen. Nur zwei von ihnen sind traurig. Alle genannten Namen, mit Ausnahme des letzten, sind aus wohlverständlichen Gründen geändert worden. (…)
Ein etwa 30jähriger Ingenieur und seine Frau, beide deutsch und katholisch, kamen aus einer größeren Stadt in Sibirien für einige Tage nach Karaganda, um ihr schon zweijähriges Töchterchen taufen zu lassen. Beide legten die Beichte ab und kommunizierten. Diesen Ingenieur wollen wir Friedrich und seine Frau Gertrud nennen. Ich habe mit diesem netten, mustergültigen Ehepaar Freundschaft geschlossen. Friedrich hat Hochschulbildung, Gertrud dagegen reicht darin keineswegs an ihn heran, da sie nur fünf oder sechs Klassen einer Grundschule beendet hat. Wir sprachen miteinander. Ich fragte Friedrich: >Bist du denn zufrieden, eine Frau genommen zu haben, die so viel weniger gebildet ist als du?< Da bekam ich von Friedrich die folgende Antwort: »Doch, ich bin sogar sehr zufrieden, daß ich die Gertrud geheiratet habe. Ich brauche keine hochgebildete Frau. Ich brauche eine Frau, die gläubig und fromm ist. Meine und auch ihre Mutter sind einfache, ungebildete Frauen und haben uns doch gut katholisch erzogen. Ich will eine Frau haben, die unsere Kinder nicht schlechter erziehen kann, als unsere Mütter es taten. < Dann fragte ich Gertrud: >Na, und bist du denn zufrieden mit deinem so gelehrten Mann?< Gertrud antwortete lachend: >O ja, ich bin ganz zufrieden mit ihm und habe auch keine Angst, obwohl er so gebildet ist.<
Ich bin ganz sicher, daß Friedrich und Gertrud ihr von mir getauftes Töchterchen gut und wirklich katholisch erziehen. (…)
In einer gewissen Stadt, die ich während meiner Missionsreisen besuchte, erfuhr die Miliz, wo ich die hl. Messe gelesen hatte. Dadurch hatte ich große Schwierigkeiten, von denen ich noch im dritten Teil dieser Schrift berichten will. Der Milizkommandant ließ die junge Frau jenes Hauses zu sich rufen. Es war eine Frau von ca. 35 Jahren, eine Deutsche, fromme Katholikin, gute Ehefrau und Mutter dreier Kinder. Wir wollen sie hier bei uns Bonifatia (die Gutes tuende) nennen. Ihr ältester Sohn war damals 14 Jahre alt und ging in die siebente Klasse. Wir wollen ihn Pius (den Frommen) nennen. Der Milizkommandant machte Bonifatia scharfe Vorhaltungen, daß sie einen >Popen< in ihrem Haus aufnahm, besonders aber, daß sie zusammen mit ihren Kindern betet. Er forderte von ihr ein Versprechen, daß die Kinder zu beten aufhören werden. Bonifatia verweigerte ein solches Versprechen ganz entschieden. Darauf fing der Kommandant ihr zu drohen an, daß er befehlen könne, ihr die Kinder wegzunehmen und in ein >djetdom<, d. h. ein Waisenhaus zu bringen, wo sie zu ehrlichen Bürgern der Sowjetunion erzogen würden. Darauf Bonifatia: »Falls Sie die Kinder ihrer leiblichen Mutter wegnehmen, haben wir immer noch eine zweite Mutter im Himmeln – die Mutter Gottes. Ich werde zu ihr für meine Kinder beten, und jener Mutter könnt nicht einmal Ihr meine Kinder wegnehmen . < Man muß wohl zugeben, daß es eine Antwort war, die es verdient in den Akten der Märtyrer eingetragen zu werden. Doch es muß auch erklärt werden, daß es nur leere Drohungen jenes Milizhauptmannes waren, der versucht hatte, die tapfere Bonifatia einzuschüchtern. Das Gesetz der UdSSR erlaubt es durchaus nicht, einer Mutter ihre Kinder nur deshalb wegzunehmen, weil sie mit ihnen betet. Man darf so etwas wohl tun, wenn die Eltern — wie es bei gewissen extremen Sektierern schon vorkommt - sich weigern, ihre Kinder in
die Schule zu schicken, oder wenn die Kinder überhaupt von den Eltern schlecht erzogen werden, wenn z.B. beide Eltern alkoholsüchtig sind. Außer dem Milizkommandanten hat auch der Leiter jener Schule, in die ihre beiden älteren Kinder gehen, Bonifatia zu sich rufen lassen. Dieser sprach mit ihr ganz höflich. Er versuchte sie zu überzeugen, daß es der Erziehung abträglich sei, wenn das Kind in der Schule etwas anderes als zu Hause zu hören bekomme. Gerade zum Wohl ihrer Kinder sollte, so meinte dieser »Bildungsvertreter«, Bonifatia auf ihre religiöse Erziehung verzichten, wobei sie selbst ja so viel, wie sie nur irgend möchte, beten könne. Bonifatia hörte sich die Ausfüh-rungen des Schulleiters geduldig an und hat, selbstverständlich, nichts versprochen. Dann ließ der Schulleiter auch den 14jährigen Pius zu sich rufen und erklärte ihm, daß er als künftiger Aufbauer des Kommunismus ganz auf seinen Glauben und das Gebet zu verzichten habe. Auch Pius hörte sich die Ausführungen des Schulleiters an, ohne irgend etwas zu versprechen. Die Antwort, die Bonifatia und Pius etwa ein halbes Jahr danach auf alle diese Vorhaltungen gaben, war folgende: Bonifatia und Pius fuhren nach Karagan-da, meldeten sich sofort bei mir, legten beide die Beichte ab und kommunizierten. Dann vergingen fünf Jahre. Zur Hochzeit seiner Base (selbstverständlich erst nach der kirchlichen Trauung) kam wieder einmal Pius nach Karaganda, diesmal aber allein, ohne Mutter. Pius war da schon ein junger Mann von 19 Jahren und hatte die Mittelschule schon absolviert. Er fing bereits in seinem Beruf zu arbeiten an, meldete sich dann aber wieder bei mir, beichtete und kommunizierte. Auf der Hochzeit gab er ein aufbauendes Beispiel, indem er das Trinken von Alkohol entschieden verweigerte. Dann zeigte es sich auch, daß Pius nicht tanzen kann. Die jungen Mädchen versuchten, ihm diese Kunst beizubringen, aber er zeigte nicht einmal Interesse für den Tanz.
In Karaganda siedelte sich eine deutsche Familie fest an. Sie kam von weither und hatte nie einen Priester, geschweige denn schon eine Kirche gesehen. Diese Familie war recht stark vernachlässigt. Vater und Mutter, Leute mittleren Alters, lebten zusammen ohne Trauung, der Vater war evangelisch, die Mutter katholisch. Die ältere Tochter war auch mit einem Evangelischen und auch ohne Trauung verheiratet. Außer ihnen gab es in dieser Familie noch drei jüngere Kinder: zwei Buben und ein Mädchen. Jene Kinder waren nicht einmal getauft. Doch der Verdienst der Mutter dieser Familie, die wir Konstantia (die Standhafte) nennen werden, beruhte darauf, daß sie sich alle bald nach ihrer Ankunft in Karaganda beim Priester meldeten. Mit dieser Familie gab es recht viel Arbeit. Man mußte ihnen vor allem den Glauben und die Gebete beibringen, weil sie überhaupt nichts wußten. Zur Erstkommunion kamen sie alle fünf: die drei Kinder, die ältere, schon verheiratete Tochter und die Mutter, Konstantia, selbst, die vorher in ihrem ganzen Leben noch nie gebeichtet hatte. Mutter wie Tochter wurden kirchlich mit ihren Ehemännern getraut, die zwar nicht zum katholischen Glauben konvertierten, aber immerhin recht gerne an den katholischen Andachten teilnahmen. Konstantia hat sich tatsächlich bekehrt. Aus einer armen, verkommenen >Sowjetbürgerin< (i. Orig. >grasch-danka< — der Übers.) wurde sie eine fromme Katholikin und eifrige christliche Mutter. Unter ihrer Führung wuchsen nun die Kinder heran und hörten durchaus nicht, wie es in verschiedenen Familien vorkommt, zu beten auf. Diese Kinder beten systematisch und oft, und empfangen auch gerne die hl. Sakramente. Die älteste Tochter ist nun eine fromme, junge Frau, die gut und friedlich mit ihrem Mann zusammenlebt, sie erzieht auch ihre zwei Kinder. Die jüngere Tochter ist ein nettes, aufgewecktes und frommes Mädchen geworden. Der ältere Sohn leistet jetzt seinen Militärdienst ab. Als er auf Urlaub nach Karaganda kam, nutzte er gleich diese Gelegenheit, um zu beichten und zu kommunizieren. Der jüngere Sohn interessiert sich am meisten für den Fußball, doch Frau Konstantia wacht ja schon darüber, daß er über dem Fußball das Gebet und Gott nicht vergißt.
Es geschah in Karaganda im Januar 1959 während der Untersuchungshaft, gleich nach meiner dritten Inhaftierung. Der Untersuchungsrichter mit dem Dienstgrad eines Hauptmanns war von Natur aus ein ruhiger Mann und mir gegenüber immer höflich. Er also veranstaltete eine Konfrontation mit der Heldin dieses Beispiels, die wir Audatia (die Mutige) nennen werden. Frau Au-datia, die damals etwa 30 Jahre alt war, ist eine Deutsche und ist vorher evangelisch gewesen. Unter dem Einfluß ihrer frommen, katholischen Freundin trat sie zum katholischen Glauben über; ich habe sie getauft. Von ihrer Taufe an wurde Audatia zu einer überzeugten und frommen Katholikin. Warum man mir gerade mit ihr eine Konfrontation veranstaltet hat, weiß ich nicht genau. Wahrscheinlich wollte man ihr Aussagen entlocken, daß ich sie zur Taufe gezwungen hätte, was zwangsläufig bedeutet hätte, daß ich den Katholizismus in Karaganda >aufzupropfen< versuche.
Audatia kam zu der Konfrontation erhobenen Hauptes. Man sah sofort, daß sie gar keine Angst hatte. Der Untersuchungsrichter begann, das Protokoll dieser Konfrontation zu schreiben. Was er da geschrieben hat, weiß ich nicht, doch sein Dialog mit Audatia verlief folgendermaßen: Nachdem er die Personalien notiert hatte, fragte er: »Bist du mit dem Bukowinski bekannt?« Audatia {scharf und laut): >Jawohl, sogar sehr gut bekannt.< Der Untersuchungsrichter: >Und wie war denn deine Einstellung zu Bukowinski? Habt ihr euch gut verstanden, oder gab es zwischen euch Mißverständnisse und was für welche?« Audatia (schärfer und lauter): >Ja, wir verstanden uns stets gut, sehr gut sogar, und anders konnte es auch gar nicht sein, weil er ein sehr guter und ruhiger Mensch ist. Aber ich selbst habe eine Frage an Euch: warum verhaftet Ihr denn einen
so guten Menschen? Hier in Karaganda kann eine Frau nicht über die Straße gehen, ohne daß sie belästigt wird. Eine Menge Rowdys laufen umher, die den Menschen die Mäntel wegklauen, aber diese verhaftet ihr nicht. Wofür verhaftet ihr denn einen solchen Menschen wie den Bukowinski. Sowas kann ich ja gar nicht begreifen!«
Und in diesem Sinne antwortete die kühne Audatia weiter. Selbstverständlich verlief die ganze Konfrontation im Sande. Audatia ging, wie sie gekommen war, mit erhobenem Haupt. Ich blieb nun mit dem Untersuchungsrichter im Zimmer allein. Und dieser faßte seine Eindrücke, die er von dieser Konfrontation bekommen hatte, so zusammen: >Nun sehen Sie, was das für eine Frau ist, eine nastojaschtschaja (richtige) Fanatikerin, mit der man nicht einmal ruhig reden kann. Da, da Bukowinski, ty mnogo naroda isportil (Ja, ja Bukowinski, du hast viele Leute verpfuscht)«.
Aus Teil 3: An meine Freunde, die Priester
Becht oft fragen mich die Priester, wie man Seelsorge ohne eine Kirche betreiben kann. Allerdings, man kann? Ich hatte ja doch in den zwölf Jahren meiner Arbeit in Karaganda nur ein Jahr lang ein Kirchlein gehabt, und elf Jahre arbeite ich ohne Kirche und ohne Gebetshaus.
Es gab eine Zeit, zu der man in verschiedenen Orten anfing, ganz kleine Kirchen, vielmehr Kapellen, aufzumachen, doch ohne Erlaubnis der Ortsbehör-den. Ich will hier berichten, wie es damit in Karaganda war. Man muß wissen, daß es eine Zeit gab, zu der es in Karaganda zahlreiche dorthin verschickte katholische Priester gab. Das war in den Jahren 1955 bis 1957. Einer von diesen Priestern — ein Litauer — der gut die deutsche Sprache beherrschte, machte im Frühjahr 1956 in der Stadtmitte, aber keineswegs in ihrem repräsentativen Teil, eine solche kleine Kirche für die Deutschen auf. Durch sein Beispiel bewogen, habe ich mich dann um die Eröffnung eines anderen Kirchleins für die Polen in einer Vorstadt, wo die meisten von ihnen wohnen, bemüht. (…) Es gab auch eine ukrainische Kirche. (…)
Leider lebten diese drei Kirchlein in Karaganda nur sehr kurz. Im Frühjahr 1957 schlössen die Behörden die ukrainische, dann im Mai die deutsche und am 4. Juli desselben Jahres die polnische Kirche.
Vor meiner Reise nach Polen (1969) kam die Nachricht, daß der deutsche Priester Michael Köhler von den Behörden die Erlaubnis erhalten hat, als Seelsorger in Kirgisien zu arbeiten. Wahrscheinlich ist es eine mündliche Erlaubnis und keine Begistrierung, obwohl in der SU alle Überraschungen möglich sind, meistens jedoch negative und nur selten positive.
Wie also sieht meine Seelsorger-Arbeit in Karaganda ohne Gotteshaus aus? Ich bin ein ständiger Hausierer. (…) Karaganda ist sehr groß. Mein beliebtestes Verkehrsmittel ist ein Pkw. Ich besitze kein Auto und könnte es auch nicht besitzen. — Manchmal profitiere ich von der Wohltätigkeit meiner Gemeindemitglieder, meistens aber bezahle ich die Fahrt selbst. So läßt sich am leichtesten, und ohne Aufsehen zu erregen, der Transport nicht nur der »geistlichen« Person, sondern auch seiner kirchlichen Utensilien bewerkstelligen. Die Teilnahme an den Gottesdiensten ist in Karaganda ziemlich groß. Am Sonntag kommen nicht weniger als 100 Personen zur hl. Messe. An Wochentagen kommen ca. 50 Personen zusammen. An Sonntagen veranstaltet die Gemeinde auch ohne Priester Andachten; denn es ist unmöglich, daß alle an der vom Pfarrer zelebrierten hl. Messe teilnehmen. (…) Ganz langsam führen wir immer mehr die Nationalsprache in die hl. Messe ein. Einfacher geht es bei der leisen, schwieriger bei der gesungenen hl. Messe; denn es fehlen uns Noten für die Messegesänge in der polnischen und in der deutschen Sprache.
Die Deutschen singen bereits das Vaterunser auf deutsch, die Polen tun es auch nicht schlecht, nur polnisch. In anderen Ortschaften ist die Kunst des Gesanges noch nicht so sehr verbreitet.
Man muß sich auch mit der Vielfalt der Sprachen zu helfen wissen. Es kommt vor, daß sowohl Polen als auch Deutsche zusammen die hl. Messe besuchen. Dann mache ich es so: die Lectio udn das Evangelium lese ich in beiden Sprachen, an erster Stelle kommt die Sprache der Gastgeber, und die Predigt halte ich auf russisch; denn diese Sprache verstehen ja alle. Meistens aber predige ich in Karaganda in der deutschen Sprache, denn es gibt hier weit mehr Deutsche als Polen; (…)
Von den Massentaufen will ich weiter unten bei der Besprechung meiner Missionsreisen erzählen. Ich will betonen, daß man hier weit öfter als in katholischen Ländern große Kinder im Schulalter, heranwachsende Jugendliche und sogar ganz erwachsene Leute taufen muß. Aus Zeitmangel wird auch bei der Taufe Erwachsener das »ritum parvulum« angewendet. Doch die typische Eigenschaft bei der Spendung der Taufe in der UdSSR ist die oft vorkommende Notwendigkeit einer bedingten Taufe. In allen jenen Ortschaften, und das sind sehr viele, wo es in der Nähe keinen einzigen Priester gibt, ist die Taufe durch Laien-Katholiken — was auch sehr richtig ist — ziemlich verbreitet. Meistens tauft irgendeine, in der betreffenden Gegend hochgeschätzte alte Oma. Die Polen nennen dies die Wassertaufe und die Deutschen — die Nottaufe. (…) Unter den katholischen Deutschen ist auch die Nottrauung sehr verbreitet. Dort, wo es keinen Pfarrer gibt, schwören Braut und Bräutigam den Eid der Ehe in Gegenwart von zwei katholischen Zeugen. Dies ist dann schon die richtige, sakramentale Eheschließung. Wenn solche Eheleute später einmal einem Priester begegnen, dann beichten sie beide, kommunizieren und erneuem ihren Eheeid vor diesem Geistlichen, der dann ihren Ehebund segnet. Die Polen kennen diese Nottrauung leider nicht und wenden sie daher auch nicht an. Oft geschieht es, daß die Eltern das Brautpaar vor der Hochzeit mit Heiligenbildern segnen, aber ein Eid wird dabei nicht geleistet. (…) Einmal taufte ich, nach einer entsprechenden Vorbereitung, einen Turkmenen und gab ihm den Ehesegen mit einer Deutschen, mit der er übrigens schon vorher zusammenlebte. Bei der Taufe bekam er den Namen Alexander und ist bei seiner Nachbarschaft unter dem Kosenamen >Saschka< bekannt. Nun ist dieser Saschka ein sehr eifriger Katholik geworden und hat verschiedene deutsche Gebete gelernt. Er geht oft zu Gottesdiensten, zur Beichte und zur hl. Kommunion. Wenn irgendein junger und fauler Deutschmann nicht zur Beichte, besonders zur Osterbeichte, gehen will, zeigen ihm die Mutti und die Oma den Saschka als Vorbild.
In Karaganda bereiten wir die Kinder und die Jugendlichen auf die Erstkommunion während der Sommerferien vor. Eine Gruppe besteht durchschnittlich aus zehn bis 15 Kindern, die mindestens neun Jahre alt sind, mitunter gibt es aber auch größere Gruppen von 20 bis 25 Kindern.
Deutsche Kinder gehen erst zu einer Katechetin: in Karaganda gibt es ein paar von ihnen, und sie bringen den Kindern alles bei, was auswendig gelernt werden muß. Erst dann kommen sie zu mir. Polnische Kinder kommen gleich zu mir, denn für sie gibt es keine Katechetin, doch lernen sie dann bei mir meistens zwei Tage länger als die deutschen Kinder. (…)
Deutsche Kinder lernen bei mir meistens drei Tage lang; sie kommen dann zu mir zweimal täglich, morgends und abends. Der vierte Tag ist für die Beichte bestimmt, für die Kinder und ihre Familienmitglieder. Am fünften Tag, am Morgen oder am Abend, findet die feierliche Erste hl. Kommunion statt. Ich brauche kaum hinzufügen, wie bei den in der SU herrschenden Verhältnissen die Beichte (wohlbetont: die erste) wichtig ist, und ich scheue keine Mühen, damit sie auch recht wirksam wird. Sowohl zu den deutschen als auch zu den polnischen Kindern spreche ich grundsätzlich russisch, füge aber dieser Sprache recht viele Erläuterungen auf deutsch oder auf polnisch hinzu. (…) Selbstverständlich sind die Kinder entsprechend gekleidet, in weiße Kleidchen bzw. weiße Oberhemden. Ich versuche, die hl. Messe recht feierlich zu gestalten, mit schönen Gesängen und meiner kurzen, aber sehr herzlichen Ansprache vor der hl. Kommunion. Die Feier endet mit einem Segensspruch mit dem hl. Sakrament, dann bekommen die Kinder Heiligenbildchen zum Andenken. Leider ist alles unseren Verhältnissen entsprechend sehr bescheiden doch die Kinder sind auch über die Bildchen erfreut, da sie schönere nie gesehen haben. (…)
Die Geistlichen nehmen niemals teil an den Hochzeiten, und auch nicht an den Begräbnissen auf dem Friedhof. Wir segnen oft die Gräber, doch nicht bei der Beisetzung. In Karaganda liest der Pfarrer meistens die hl. Totenmesse und singt das >Libera me Domine< zu Hause, neben dem Toten. Wenn es die Zeit
zuläßt, wird noch gebeichtet, und die ganze Familie kommuniziert dann während der Totenmesse. Zum Friedhof ziehen alle ohne Priester, dennoch halten sowohl die Deutschen als auch die Polen an einem christlichen Begräbnis mit Gebeten und Trauergesängen fest. (…)
Auf dem Grab wird immer ein Kreuz aufgestellt, obwohl die Agitation oft dahin geht, stattdessen einen Stern anzubringen: in solchen Fällen wird dann das Begräbnis bezahlt. Nur einmal sah ich ein Kreuz und einen Stern an demselben Grab. Die Deutschen bringen auf dem Kreuz immer eine Inschrift in deutscher Sprache an, obwohl sie meistens nicht ohne Schreibfehler ausfällt. Die Polen schreiben polnisch, aber immer häufiger findet man auf den polnischen Gräbern russische Inschriften, da in der Familie niemand mehr fähig ist. einen polnischen Text zu verfassen. (…)
Aus Teil 4: Missionsreisen und damit verbundene Schwierigkeiten
Die kürzeren Missionsreisen zu naheliegenden Ortschaften nicht mitgerechnet, denn solche gab es ja auch, machte ich insgesamt acht große Missioneexpeditionen. Fünf davon fanden noch vor meiner Verhaftung statt, und die drei letzten in den Jahren nach meiner Entlassung aus dem Gefängnis. Von diesen acht Missionsexpeditionen fallen vier auf Turkestan, eine in eine Republik in dem extrem südlichen Teil der UdSSR, an der Grenze Afghanistans. Dort wohnen seit 1947 ziemlich viele katholische Deutsche, die vor dem Krieg in der Umgebung von Odessa lebten. (…)
Während einer Missionsreise muß man das Haus für die Missionsarbeit noch viel sorgfältiger aussuchen als in Karaganda selbst.
Einmal, es war 1963, kam ich nach Tadschikistan zu einem Deutschen, der mich eingeladen hatte. Die Hausbewohner begrüßten mich sehr herzlich und sagten dann: »Pater, wir müssen Sie warnen, daß in der anderen Straßenseite ein nicht guter Mensch (so im Orig. - der Übers.) wohnt; er zeigt an. < Trotzdem arbeitete ich bei diesen Leuten, las die hl. Messe am frühen Morgen und zog dann sofort in eine andere, mir angebotene Wohnung, wo ich noch ein paar Tage in Ruhe tätig sein konnte. (…)
Die Hinauswürfe waren verschieden: es gab welche ohne Tadel, und wiederum andere, wo man mich streng verwarnte. Solcherart wurde ich >feierlich* 1958 aus Semipalatinsk und 1963 aus Aktjubinsk vertrieben. In Semipalatinsk war die Sache insofern kompliziert, als mich bei dieser Missionsreise zwei fromme Deutsche aus Karaganda begleiteten: Fräulein Gertrud Dötzel und Fraulein Klara Roninie. Klara ist vor einem Jahr gestorben, und Gertrud arbeitet bis heute noch. Sie wurde schon vorher ob ihrer Frömmigkeit verhaftet und verbrachte acht Jahre im Gefängnis. Klara hatte so etwas nie erlebt. Also in einer Siedlung bei Semipalatinsk hat man uns alle zusammen angehalten: der Vorsitzende des Selsowjet (Dorfrats — Red.) und der
Kolchose-Vorsitzende riefen dann gemeinsam telefonisch die Funktionäre des Sicherheitsdienstes in Semipalatinsk an. Es kamen ihrer zwei, setzten uns alle drei in ein Auto und brachten uns nach Semipalatinsk. Dort wurden wir zwei Tage lang einer Art Untersuchung unterworfen, jedoch gestattete man uns, bei unseren Bekannten in der Stadt zu übernachten. Gertrud. schon »abgehärtet«, hielt sich sehr tapfer, aber die arme Klara war zu Tode erschrocken. Beide wiederholten sie ständig: >Alles für dich, heiligstes Herz Jesu!< (der letzte Ausruf so im Orig. - der Übers.). Und ich konnte es nicht genug bedauern, daß ich sie beide auf diese Reise mitgenommen hatte, und nahm mir vor, fernerhin niemanden mehr mitzunehmen, und hielt mich dann auch daran. Vor der eigenen Verhaftung hatte ich keine Angst, wohl aber vor der von Klara und Gertrud. Zum Glück nahm man mir am dritten Tag ein schriftliches Versprechen ab, daß wir die Stadt sofort verlassen werden. Dann verließen wir glückerfüllt die »gastlichen Räume« des Sicherheitsamtes von Semipalatainsk. (…)
1963 in Aktjubinsk war ich mir der Tatsache wohl bewußt, daß wir dort nicht mehr sicher weiterarbeiten konnten, aber die Gemeindeglieder taten mir leid, weil Aktjubinsk eine ziemlich große Stadt ist, wo man einen >Popen< nicht so leicht finden kann. Ich arbeitete also, und sogar recht intensiv, über vierzehn Tage in Aktjubinsk weiter. Eines Tages fand am Morgen eine feierliche hl. Kommunion statt. Ich behielt die Kinder nach der hl. Messe noch eine Weile da. Doch dann kommt die Hausfrau zu mir und zeigt durch das Fenster: zwei, drei Häuser weiter stand ein Pkw, um den herum sich zwei Gestalten bewegten und immerzu in Richtung unseres Hauses blickten. Sofort befahl ich den Kindern, wegzugehen, es waren ungefähr zehn anwesend, dann bat ich auch die Erwachsenen, das Haus langsam zu verlassen. Ich frühstückte. In dem Haus waren nur ein paar Leute zurückgeblieben. »Pater, gehen Sie doch in ein anderes Haus bitte, nur ein paar Straßen weiter; Ihre Sachen bringen wir Ihnen später.« — »Nein, die werden mich gleich auf der Straße festnehmen. Dabei muß man, wenn man verhaftet wird, schon ein bißchen Wäsche und ein paar andere unentbehrliche Dinge bei sich haben. Wir werden sie hier erwarten.« (…)
Erst als es dunkel wurde, und es war November, holten mich jene beiden Männer und nahmen mich mitsamt meinen Koffern mit. Sie brachten mich zur Miliz und von dort nach einer kurzen Befragung zum Amt für Staatssicherheit. Auch hier wieder, genau wie in Semipalatinsk, wurde eine Art Untersuchung eingeleitet, die drei Tage dauerte. (…) Am Abend des dritten Tages mußte ich eine Verpflichtung unterschreiben des Inhalts, daß ich sofort nach Karaganda zurückfahren und außerdem — was mir auch in Semipalatinsk auferlegt worden war — nie mehr nach Aktjubinsk kommen werde. Dann übergab man mich dem Milizkommandanten, der mich recht freundlich mit seinem eigenen Wagen direkt zum Bahnhof brachte und dort mit meinem Gepäck allein ließ und beim Abschied noch sagte: >Wir glauben Ihnen, daß Sie Ihre Verpflichtung erfüllen und sofort abreisen werden und Ihre Bekannten hier nicht mehr besuchen. Für alle Fälle aber haben wir den Milizposten am Bahnhof beauftragt, Sie zu beobachten.«
In Semipalatinsk gab es eine Möglichkeit, unsere Gemeindemitglieder von der zwangsläufigen Ausreise nach Karaganda zu benachrichtigen. In Aktjubinsk dagegen gab es eine solche Möglichkeit nicht. Unsere Gemeinde war überzeugt, daß ich im Gefängnis einsitze. Gute Frauen brachten sogar Lebensmittelpakete für mich dorthin, und als man ihnen sagte, daß es im Gefängnis keine Bukowinski gebe, wollten sie es einfach nicht glauben. (…) Seit sieben Jahren wohne ich nunmehr bei Deutschen. Meine jetzigen Gastgeber, Kasper und Katharina Haag, sind ein kinderloses Ehepaar in meinem Alter. Ihr einziger Sohn ist während des Krieges verschollen. Sie stammen aus dem Dorf Kleinliebental bei Odessa.
Zum Abschluß dieser meiner Erinnerungen von der letzten Haft will ich über meine Untersuchungszeit und über das Gerichtsverfahren berichten. Die Untersuchung wurde recht höflich geführt, ohne daß man meine Aussagen in dem vom Untersuchungsrichter geschriebenen Protokoll verdreht hätte. Nach Abschluß der Untersuchung gab man mir das Protokoll der Zeugenaussage zu lesen, von Zeugen, die von der Untersuchungsbehörde bestellt waren. Aussagen lagen nicht nur aus Karaganda, sondern auch aus einigen anderen Ortschaften vor, die ich während meiner Missionsreise besucht hatte. Unter diesen Zeugen gab es Polen, aber auch Deutsche. Mit Vergnügen konnte ich feststellen, daß mich keiner von ihnen mit seinen Aussagen belastet hatte. Auf die Frage, ob der Bukowinski irgend etwas gegen die Sowjetmacht gesagt hätte, antworteten sie einmütig, daß der Bukowinski etwas derartiges nie äußerte. Im Gegenteil: Bukowinski sagte, daß man seine Bürgerpflichten erfüllen und redlich arbeiten (tschestno truditsja) solle. (…) Man bot mir einen Anwalt an, doch ich verzichtete darauf und erklärte, daß ich mich selbst verteidigen würde. (…)
Zum Abschluß des Gerichtsverfahrens erteilte mir der Gerichtsvorsitzende das Wort, da ich ja keinen Anwalt haben wollte, damit ich meine Verteidigungsrede halte. Auf diese Verteidigungsrede — der einzigen in meinem Leben — habe ich mich in meiner Einzelzelle sehr genau vorbereitet. Ich will die Hauptpunkte jener Rede hier anführen, weil ich der Meinung bin, daß ihr Inhalt von allgemeiner, und nicht nur persönlicher Bedeutung ist. Nach dem Beispiel des hl. Paulus, der in Athen auf dem Areopag sprach, begann ich meine Rede mit der >captatio benevolentiae« (Werben um die Gunst des Publikums mit bestimmten Redewendungen — Red.). Öffentlich bedankte ich mich für die gute und höfliche Behandlung während der Untersuchung?-haft und vor dem Gericht. Ich erklärte, daß ich mich selbst nicht verteidigen wolle, da ich mich gegenüber dem Sowjetstaat persönlich nicht schuldig fühle. Da jedoch «nemo judex in sua causa«, so überlasse ich meine persönliche Sache mit vollem Vertrauen der Entscheidung des Sowjetgerichts. Ich wolle aber diese Gelegenheit, die ich zum ersten Mal in meinem Leben von den Sowjetbehörden bekommen habe, nutzen, um diejenigen in Schutz zu nehmen, für die ich während der letzten Jahre gearbeitet habe.
»Die große sozialistische Oktoberrevolution verkündete der ganzen Welt die Losung von der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Freiheit. Doch soll man nicht vergessen, daß die Freiheit sich auf nationale und Glaubensverhältnisse bezieht. Jene Menschen, die ich hier verteidigen will, sind Deutsche und Polen. Man hatte sie in dieses Land gebracht. Können sie sich hier aber wirklich wohl fühlen? Hätte man eine Gruppe orthodoxer Russen in das Land der Burjaten gebracht und ihnen dort zu leben befohlen, und hätte es dort keine russische Schule - keine sowjetische Schule - gegeben und würden jene Russen dann bald festgestellt haben, daß ihre Kinder immer seltener Russisch sprechen, ja, daß sie sich gar der russischen Sprache schämen, dafür aber immer häufiger die Sprache der Burjaten benutzen, und dabei zu gläubigen Buddhisten erzogen werden, nicht aber zu orthodoxen Christen, dann stelle ich die Frage, ob jene Russen — und ihr, Bürger Richter, seid doch Russen — mit ihrem Leben im Land der Burjaten hätten zufrieden sein können? Also wage ich zu behaupten, daß die Deutschen und die Polen in Karaganda sich eben in einer derartigen Lage befinden. Was die Polen betrifft, so bekamen sie nach zwanzig Jahren in Kasachstan drei ihrer Pfarrer. Und nun, nach kaum dreijähriger Arbeit sind diese drei Priester verhaftet, aus der Mitte des glaubenden Volkes gerissen, wodurch die Kasachstan-Polen wieder ohne Pfarrer geblieben sind.
Mehr noch, würde die Regierung der Volksrepublik Polen alle orthodoxen Priester mit dem Warschauer Metropoliten an der Spitze verhaften lassen und würde die gesamte orthodoxe Bevölkerung in Polen ohne einen einzigen >Bat-juschka« bleiben - könnte sie da wohl zufrieden sein, vielmehr: könnte da wohl auch Moskau zufrieden sein?
Ich bitte um nichts für mich selbst, jedoch bitte ich um die Berücksichtigung meiner Worte zum Wohl der glaubenden Katholiken in Kasachstan. Ich möchte die Hoffnung haben, daß diese meine Worte sich nicht als ein Ruf in der Wüste erweisen, sondern bis Alma-Ata und Moskau dringen mögen. Es kam einmal vor, daß man mir verboten hat, eine sterbende Kranke zu besuchen, um sie auf einen guten, christlichen Tod vorzubereiten. Möge es doch geschehen, daß wir alle in der UdSSR verstehen, daß das erste Recht eines jeden Menschen, und mehr noch eines glaubenden Menschen, das Recht auf Gott ist.<
Meine Rede wurde sehr aufmerksam angehört. Sie wurde protokolliert. Die Richter verließen den Saal, um sich zu beraten. Nach ein paar Minuten kamen sie wieder, und der Vorsitzende verkündete das Urteil, das mir drei Jahre Freiheitsentzug zumaß. Die Frage des Gerichtsvorsitzenden, ob ich appellieren wolle, verneinte ich.
Auf dem Korridor vor dem Gerichtszimmer warteten mehrere Gemeindemitglieder auf das Urteil. Ich selbst sagte ihnen, daß ich nur zu drei Jahren verurteilt worden sei. An den lächelnden Gesichtern der Männer erkannte ich, daß sie sich mit mir über das milde Urteil freuten.
Nun verabschiedete ich mich von meinen lieben Gemeindemitgliedern nach katholischer Gepflogenheit: >Gelobt sei Jesus Christus.« Dann setzte ich mich in den bereits wartenden Wagen, wo mich meine zwei Begleiter schon erwarteten, und fuhr von dannen, gerührt vom Abschied von meiner Gemeinde, aber durchaus nicht bedrückt.«
Kurz vor seinem Diamantenen Priesterjubiläum (1981) diktierte Prälat Michael Köhler folgende Erinnerungen:
»Aus Vergangenheit und Gegenwart. Ein leidensvolles und doch glückliches Leben von 84 Lebensjahren.« Wir drucken sie erstmals in vollem Wortlaut, wobei das archaische Deutsch gewahrt bleibt.
Franzfeld, ein kleines Dorf in der Ukraine, in Südrußland, angesiedelt laut Manifest der Kaiserin von Rußland, Katharina der Großen, in den Einwanderer-jahren aus Deutschland nach Rußland 1804 bis 1808 liegt am Dnjesterliman unweit von Odessa. Es zählt ungefähr zweitausend Seelen rein katholischer Konfession. Die Beschäftigung der Einwohner dieser deutschen Kolonie ist hauptsächlich Acker- und Weinbau.
Die schlichten und einfachen Bauersleute wurden schon von Anfang ihrer Ansiedlung wegen ihres tiefen Glaubens immer betreut mit Geistlichen. Sie wurden anfänglich von Polen-Geistlichen und bis zuletzt von einheimischen Priestern geistig versorgt. Unter den vielen deutschen Kolonien im Wolgagebiet, Kaukasus, Krim und der Ukraina, was zur Saratover Diözese gehört, hat sich Franzfeld ausgezeichnet dadurch, daß aus Franzfeld 18 Priester und unter ihnen ein Bischof — Zerr, aber auch aus Landau, der Kolonie von Beresan einer größeren katholischen Gemeinde 22 Priester, auch ein Bischof Glaser, hervorgegangen sind, alle aus dem Seminar zu Saratow. Auch der jetzige Prälat Michael Köhler als achtzehnter Priester aus Franzfeld lebt heute noch mit 84 Lebensjahren und wirkt in der Stadt
Frunse in Kirgisien als einziggebliebener deutscher Priester unserer Diözese. Von ihm wird weiter die Rede sein.
Die Familie Köhler gehörte zum Grundstamm bei der Ansiedlung des Dorfes Franzfeld. Der vorletzte Stamm zählte neun Kinder — sechs Söhne und drei Töchter — alle wanderten aus in verschiedene Neuansiedlungen, Chutoren und Städte, nur Joseph Köhler, verheiratet mit Agata Kaiser, bleiben im Heimatdorf und das sind die Großeltern zu Prälat M. Köhler. Die glückliche Ehe war gesegnet mit drei Söhnen und zwei Töchtern. Der älteste Sohn Jakob, geboren 1872, verheiratete sich mit Franziska Kraft aus Johannestal, geboren 1873 - das sind die Eltern zu Pralat Köhler. Es war damals Gebrauch, daß die verheirateten Söhne bei den Eltern wohnen können bei fünf Jahren. So blieb auch Jakob mit seiner Familie fünf Jahre im Elternhause, obwohl sie abgeteilt wurden, und trieben Ihre Wirtschaft alleine, so nahmen sie des Vaters Wirtschaft auch mit. Als Tochter eines bemittelten Bauers bekam Franziska von ihrem Vater Josef Kraft zwei Pferde, vier Kühe und drei Rinder, schönes Möbel und anderen reichen Aussteuer, so das die junge Familie Jakob und Franziska bald zum Wohl-Mittelstand kommen konnten. Das erste Kind Baltasar starb bald nach der Geburt, bald kam eine Tochter Maria, und ein Jahr anderhalb ein Sohn Joseph zur Welt.
Es war schon nahe daran das fünfte Jahr und Jakob mit seiner Frau Franziska und zwei Kinder wanderten aus Franzfeld aus. Es zog sie der Großvater Josef Kraft zu sich nach Johannestal-Mannheimer Pfarrei. Es war das Jahr l897, am 30. Oktober, wo ein Kind aus dieser Familie als drittlebendes zur Welt kam, man gab ihm den Namen bei der hl. Taufe Michael in der Pfarrkirche zu Mannheim, wo P. Jakob Dobrowosly Pfarrer gewesen ist. Und das ist der kleine Michael, der heute schon 84 Jahre alt ist. Noch bedenkt ihm manches vom dreijährigen Alter. Der - ein Schrecken für uns Kinder, weil er einen Bart getragen hat; wer nicht brav war, sollte dem verkauft werden, auch hat das kleine Michele einige Entchen totgedrückt und die ältere Schwester Maria mußte Schläge bekommen dafür; der Hund hat den Bruder Joseph gebissen und des Großvaters Pferd wurde toll und mußte erschossen werden, alles das gedenkt ihm heute noch. Als der kleine Michael vier Jahre alt war, so zogen seine Eltern, wiederum auf Geheiß des Großvaters Kraft, nach Kaschara, Pfarrei Ponjatowka. Dort angekommen 1903, kam das vierte Kind Veronika zur Welt. Auch von jener Zeit läßt das Gedächtnis von sich was reden; Eines Tages hat das Michele ein Hämmerchen gefunden im Aschhaufen, mit dem man den Zuckerhut abgeschlagen hat.
Dieses Hämmerchen wanderte mit den Eltern in der Kriegszeit 1942 durch Europa und liegt heute nach 80 Jahren noch auf dem Tisch des Herrn Prälat als Reliquie von der Jugendzeit und Erinnerung an seine lieben Eltern. Nicht lange sollten die Eltern in Kaschara bleiben; nachdem ihnen wiederum ein Kind, das
vierte lebende geschenkt worden war mit den Namen Veronika. So folgten sie wiederum dem Ruf des Großvaters Kraft und übersiedelten aufs Chutor Mala-schewitsch, wo 50 Desjatinen Land neben Großvaters Landgut verkauft wurden. Das war um das Jahr 1904, wo der japanische Krieg Rußland beunruhigt hatte. Gottlob, der Vater wurde verschont und nicht zugenommen. Ankam 1905 kam nun die jüngste Schwester Lydia zur Welt. Es kam nun für die altern Kinder, Maria, Joseph und Michael die Schulzeit. Unterdessen kam Großvater Joseph Köhler auf Gast zu seinen Kindern aufs Chutor Malasche-witsch. Beim Abendbrot erblickte er die Familie und sagte: Maria könnte eine gute Wirtin werden, sie kann schon drei Kühe melken, auch das Kochen steht ihr an. Joseph hat Freude an den Pferden, das gibt ein Landwirt, aber dieser da, auf Michael deutend, drückt scheints ein Auge zu, wenn er in die Sonne schaut, das gibt kein Schaffer.
Die Mutter nahm das Wort und sagte darauf Ja, er möchte lernen und es gibt sich ihm, wir wollen ihn lernen lassen. Und somit suchte man Wege und die Möglichkeit, den kleinen Michael lernen zu lassen. Lassen wir uns selbst von sich den zukünftigen Studiosus reden. Ich kam nach Georgiental zur Sekretarka der Mannheimer Pfarrerei zur Mutters Schwester Tante Margarita (Bas Gretel genannt). Sie war verheiratet an Joseph Bartie aus Selz, der hier in Georgiental Lehrer, Dorfschreiber und Kirchendiener gewesen; sie hatten zwei Söhne. Johannes lernte die Landwirtschaft bei Onkel Karl Kraft und Andreas studierte in Odessa im Gymnasium; die einzige und älteste Tochter Katharina (Katja) versorgte die Wirtschaft mit Mutter und dabei heizte sie mit Stroh die Schule, das Quartier und die Kanzelei. Das viele Stroh mußte gerupft werden mit dem Heuzöpfer und auf dem Rücken hineingetragen werden. Gewiß half ich der armen und dabei kränklichen Schwester Katja diese Last zu teilen. Das schwerste aber war für sie das Früh- und Abend-Angelusläuten in der neben stehenden Kirche — ein schönes gotisches Gotteshaus. Einmal im Monat besuchte es der Pfarrer — Dekan von Mannheim. Die Katja, erst 16 Jahre alt, hatte Angst alleine im Dunkel im Glok-kenhaus die Stricke an der Glocke zu ziehen; ich mußte sie begleiten. Ich hatte gute Fortschritte in der Schule, aber zwei Jahre dauerte das Glück, dann ist die liebe Tante Margarita gestorben. Das Haus ist nun leer geworden. Onkel Joseph Bartie, mein Firmpate, heiratete aus Kandel eine Witwe mit drei Töchtern. Sie war eine liebe Frau und hieß Franziska Black. Am meisten hatte die nun verwaiste Halbschwester Katja zu leiden, sie hatte keine Mutter mehr. Unterdessen gründete ein deutscher Lehrer mit Hochschulbildung Georg Pe-trowitsch Schmidt in Selz ein Progymnasium und weil ich dort auch eine Tante Marianna hatte, an Wendelin Bartie verheiratet, so überführten mich meine Eltern nach Selz, das mir von nun an zur zweiten Heimat geworden ist. Zwei Jahre studierte ich dort, wobei ich bei dem guten Onkel Wendelin und seiner herzguten Frau Marianna im Quartier gewesen bin. Schon mußten meine
Eltern anfangen zu zahlen — zehn Rubel für Kost und Quartier und 60 Rubel Schulgeld aufs Jahr. Die Umständen diktierten, daß meine Eltern mich nach Karlsruhe im Beresan in Pater Scherrs Gymnasium überführten. Neue Umstände, ein neues Leben von anfang 1911 an.
Unter den vielen deutschen Kolonien — Ansiedlungen von den Auswanderern aus Deutschland in den Jahren 1805—1812 finden wir den Namen der Kolonie Karlsruhe in Beresan genant. In den ersten Jahren des zwanziger Jahrhunder-tes wurde dorthin ein junger und sehr eifriger Priester Jakob Scherr herkommend aus Straßburg im Kutschurgan im Odesser Kreis vom Bischof in Sara-tow bestimmt. Außer der Seelsorge in seiner Pfarrei fühlte sich P. Jakob Scherr berufen, in sozialer Form für unser deutsches Volk zu wirken. Er gründete ein Waisenhaus und sammelte in der Umgegend elterlose Kinder. Sie wurden von opferwilligen vorzüglich ledigen und frommen Frauenspersonen - Terziariern wie eine Art Klosterfrauen erzogen, die ihnen einen Beruf zu erkennen gaben. Unter ihnen war vorzüglich Gertruda Keller, Franziska Schmidt, Helene Scherer, Magdalene Seigfried und andere zeigten sich jahrelang tüchtig in der Erziehung der Kinder und in der Führung der Wirtschaft. In den Jahren 1910-12 zählte das Waisenhaus schon mehr als 120 Personen. Auch dies war für den eifrigen — den zweiten Don Bosco P. Scherr zu wenig; das Waisenhaus mußte auch noch für jemand nützlich sein. Er gründet zuerst ein Progymnasium, was nachträglich zu einem vollen Gymnasium auswuchs. Der gute aber doch strenge P. Scherr wollte den Kolonisten-Söhnen nützlich sein und aus ihnen tüchtige Gelehrten für unser Deutschtum in Rußland bilden. Von dieser Pflanzstätte gingen zwei Priester (B. Syska und meine Wenig; keit), Ärzte, Organisten, Lehrer, Ofizieren, Agronomen und andere Berufe hervor.
Das Leben und die Erziehung in dieser Anstalt war, wenn auch weit, doch dem gastlichen Seminar ähnlich. Es war anfänglich eine geschlossene Anstalt — Pensionat und Lehramt unter einem Dach, strenge Tagesordnung, Disziplin. Die gute Verköstigung, Bedienungen, Wäsche, stellte das Waisenhaus, auch jedem Tag hl. Messe und Herz Jesu Andacht. Dafür sorgte der fromme Pater Scherr, der immerhin die Oberverwaltung in seinen Händen hatte. Die Lehrerschaft war zumeist mit Hochschulbildung. Und in diese schöne Anstalt schickten mich meine fromme und aufmerksame Eltern, da sollte ich Erziehung und Bildung bekommen, aber auch meinen werten Beruf fürs Leben studieren und auswählen. Wohl war es im Plan Gottes, daß in der Zeit 1911, wo ich in Karlsruhe eingetreten bin, ein junger Priester als Erzieher angestellt worden ist, Pater Franz Rauh war es.
Meine ganze Haltung als fleißiger und korrekter Schüler hat dem jungen Pater scheints gefallen, er zog mich vor und bestimmte mich als Zensor und Sekretär. Ohne besondere Anregung von Seiten des Pater Rauh fing eine innere Stimme mir zu sagen, das ich eintreten soll ins Seminar nach Saratov. Nach einem strengen und gründlichen Deputatsexamen absolvierte ich das Progymnasium und am Spätjahr 1913 trat ich ins Seminar zu Saratov ein. Die Seminardisziplin zu gewöhnen war für mich schon nicht zu schwer, weil ja Karlsruhe, wie gesagt, ein Vorbild war. Es ist schwer zu verstehen und zu beschreiben, wie sich der junge Mensch wohl fühlte in einer Anstalt, wo die Verwaltung, Erzieher und Lehrer die zweiten Eltern ersetzen; unbeschreiblich Wärme und Aufmerksamkeit zeigten uns Pater Rektor P. Frison, P. Inspektor Glaser, beide später unsere Bischöfe, Prälat Joseph Krusehinski, P. Augustin Baumtrog, P. Michael Wolf, Prälat A. Fleck, P. Andreas Zimmermann, P. Leo Weimayer, die Präpositen Bader Wallieser, Weigel, Wolf; Kopp, Fröhlich - die späteren Priester. Später wurde P. Neugum Joseph Rektor und dazu die Kriegsjahre, da war das Leben schon einigermaßen defektiver, das kleine Seminar löste sich auf am 1918, das große Klerikalseminar wurde nach Odessa überführt. Dort endigte ich mit drei Confratres den vollen Kurs der Philosophie und Theologie und erhielt die Diakonatsweihe; zum Priester konnte ich noch nicht geweiht werden, da ich noch keine 24 Jahre alt war. Nicht ganz drei Jahre war ich Religionslehrer in der Kolonie Selz, aber schon nicht mehr in der Schule, sondern im Pfarrhaus mit Pater Thauberger Johannes, der Pfarrer war in Selz, zusammen. Bischof Kessler emigrierte nach dem Ausland, Bischof Fri-son, Pfarrer in Symphoropol, durfte nicht administrieren, die Diözese verwaltete Prälat Joseph Kruschinsky. Derselbe verordnete, das der resignierte Bischof Zerr, der in Selz wohnte, mich zum Priester weihen krame. Am 20. Mai 1922 wurde ich nun in Selz zum Priester geweiht und am 21. Mai 1922 hielt ich daselbst meine Primitz. Bischof Zerr wollte Pfarrer sein in Selz und ich sollte sein Vicar sein und so betreute ich Selz in den schweren Hungersjahren acht Monaten tag täglich und den ganzen Tag auf Krankenbesuch, der Hunger brachte dem Tod viel Opfer.
Acht Monate lang versorgte ich die große Gemeinde in Selz. Unermeßlich schwere Zeiten, die Folgen der Hungersnot verwandelte die Gemeinde zu einem Hospital. Ich wollte selbst in Selz nicht bleiben für die Zukunft, da ich „hier aufgewachsen bin und auch viele Verwandten hier hatte: auf meinen Wunsch hin bestimmte mich der Hochwürdigste Herr Prälat Kruschinski als Apostolischer Administrator nach Speier, eine der größten Kolonie unserer Ansiedlungen mit 4600 Einwohner. Der Ortsgeistliche Pater Michael Rauch — lungenkrank — resignierte anfangs Februar und somit sollte meine Bestimmung dorthin den notwendigen Ersatz leisten. Man schickte nach mir ein Fuhr-Schlitten mit zwei Pferden und am 23. Februar 1923 kam ich in Speier an.
Obzwar auch hier die Not groß war in aller Hinsicht, so haben die Gläubigen mitsamt dem Vorstand des Dorfrates Johann Wirz mir einen feierlichen Einzug, wie er es früher üblich war, bereitet. Pater Michael Rauh, obwohl krank, empfing mich in der Kirche, er wohnte noch im Pfarrhaus, das miserabel mit allen Hofgebäuden ausgesehen hat: die Rohrdächer wurden abgedeckt und als Brand verbraucht. Vorläufig konnte ich mit meinem jungen Schwesterchen Lidia, die ich als Wirtin mitgenommen hatte (ja im Elternhaus war auch schon nichts mehr zu essen) nur ein kleines Zimmer im kalten Pfarrhaus einnehmen. Mein Vorgänger P. Rauh versprach mir absolut keine Erfolge in der Pfarrei Speier, er stammte ab vom Wolgagebiet. Seine Sprache, sein Verhalten den Pfarrkindern gegenüber wies auf ein schwaches Verhältnis hin zwischen Pfarrer und Untergebenen; es fehlte die gegenseitige Liebe, es verschwand der Opfersinn, so das der kranke Pater so zu sagen hungerte. Man dürfte meinen, daß ein derartiges Bild mir hätte den Mut nehmen sollen?!
Keineswegs, bin immer in meinem Leben glücklich gewesen, auch in den schwierigsten Verhältnissen, den Mut nicht sinken lassen. Es waren davon früher große Bücher mit harten und guten Deckeln noch sauber von jeglichem Einschreiben, ich nahm eines von diesen Bücher unter den Ann und fing an, von Haus zu Haus alle Mitglieder bis aufs kleinste Kind aufzuschreiben; dabei machte ich mich bekannt mit den Menschen, hörte ihre Nöten und Klagen an, wie wohl auch gewann ich sie für mich als ihren zukünftigen Seelsorger. So ging es Tag für Tag drei Monate lang. Am Nachmittag um 4 Uhr hörte ich die Beichte derer, die schon gewonnen waren. Am Sonntag ging es auf die Kanzel und stellen Sie sich vor, gegen Ostern war die sonst leere Kirche schon gut angefüllt. Inzwischen möchte ich zwei wichtige Begegnungen hier den Lesern bekannt machen: Es begegnete mir auf diesen sogenannten Rundreisen ein bejahrter Mann mit Namen Kuhn Ignaz, er war im Dorf von anfang 1917 auch in der Kanzlei ein Vorgänger und kämpfte für das Wohl des Volkes.
Lieber Pater, sprach er mich auf der Straße an, Sie sind hierher in unsere Pfarrei geschickt worden, wir sind froh damit, aber horchen Sie mich an, machen Sie es nicht so, wie Euer Vorgänger Pater Rauh; es war das in Jahr 1918, wo die Deutschen die Ukraina okkupieren wollten, sie waren auch hier bei uns in Speier und haben ohne Grund acht Mann von uns, auch ich dabei, in den Keller unter der Schule geworfen, wir sollten ohne Gericht erschossen werden. Unsere Frauen baten zuerst Pater Rauh, er möge sich um uns kümmern, aber Pater Rauh hat sich abgesagt. Sie sind zu fuß in der Eile gelaufen nach Karlsruhe zu Pater Scherer Jakob. Dieser, ein wahrer Volksmann und Freund der Armen und Bedrängten, schenkte unseren Frauen Gehör, befahl sofort seine alten Füchse einzuspannen und in Galopp ging es Speier zu.
Er ging ohne Furcht in die Kanzlei, wo die Deutsche Offizieren saßen. Was ist da los, warum habt Ihr diese Männer eingesetzt? Ich gehe nicht fort, bevor sie nicht alle befreit sein werden. Es ist geschehen, wir wurden freigelassen und lebe heute noch. Machen Sie, Herr Pater, nicht so wie Pater Rauh und das Volk wird Sie lieben. Dieser Ignaz Kuhn ist ein Kirchgänger geworden und ging von da an zu den hl. Sakra-menten. Eine andere für mich lehrreiche Geschichte: Als ich nach Speier gekommen bin, arbeitete in der Volksschule eine gebildete Frau als Lehrerin. Sie war eine Verlassene von Ihrem Mann Kurt Engel und hatte zwei Jungchen von zirca 10-12 Jahren bei sich. Sie besuchte öfters das Pfarrhaus und zeigte Interesse für den Katholischen Glauben, auch hatte diese Konkordia Iwanowna Engel etwas später den katholischen Glauben angenommen. In der Pfarrei wie auch in der Kirche beobachtete diese gut entwickelte Konkordia Iwanowna meinen Eifer und sagte eines Tages zu mir: Herr Paler, ich sehe, Sie wollen alle Leute bekehren nach Ihrer Art, dies wird Ihnen nicht gelingen, denn die Menschen sind vielerart erzogen, ich rate Ihnen: Nehmen Sie den Menschen, so wie er ist, aber nicht so wie Sie ihn haben wollen, sehen Sie in ihm nur das Gute, das böse jedoch nicht. Decken Sie mit dem Guten das Böse zu und Sie werden Erfolg haben.
Mit Gewalt bricht man zuweilen Eisen, aber selten den Charakter und die Überzeugung des Menschen. Schon sind 58 Jahren vergangen und ich habe den Rat dieser erfahrenen Frau nicht vergessen, ja umgekehrt immer im Leben angewendet und mit Erfolg. Die große Kirche wurde bald zu Wein. Der Kirchenbesuch wuchs immer mehr, unter dem NEP-System ging es den Leuten schon besser, es reifte der Gedanke, die Kirche zu vergrößern, es geschah ann. i926. So ging es ganz schön bis 1928-29. Der Schatten der Trauer und Heimsuchung zog in vielen Familien ein, mit Tränen zogen sie aus unserer Mitte in die weite unbekannte Welt hinaus. In Erwartung schlimmer Zukunft fing das geistliche und materielle Leben an zu zerfallen. Auch meine Wenigkeit mußte Abschied nehmen auf ewige Zeiten von meiner Pfarrei, das war da Datum 23. Juni 1934 und um dieselbe Zeit 1935 trafen wir uns zwölf an der Zahl mit unserem Oberhaupte dem Apostolischen vicare Joseph Kruschinski in der Kamera N 1 im Odessa-Gefängnis. Nun davon: Mrt njir bauten sie die Eisenbahnlinie von Temirtau bis zu den Taschtagol-Berge, abgraben mit dem Spaten und der Schaufel und Täler ausfüllen. Nach einem Jahre ging es nach dem fernen Osten in das schöne Jedenland Birobidschan, aber alle zersplittert, ein jeder in eine andere Gegend, so daß ich in dreizehn Jahren keinen katholischen Priester mehr getroffen habe.
Keine Feder ist imstande zu beschreiben, wie viel Elend, Krankheiten, Hunger und Durst, Kälte und Hitze ein Mensch durchmachen imstande ist, und dennoch am Leben bleiben kann! Wohl möchte es dennoch in den Annalen des Himmels aufnotiert sein, die Wege Gottes sind wunderbar und weise, wer kann sie erkennen?! Im Exyl von 1947 bis 1957 ist ja der Mensch teilweise freier, konnte ich schon wichtige Stellen einnehmen, bin unterdessen Bautechniker geworden im
Rayonsdorf Bogoljubowo im Norden von Kasachstan. Ich konnte mein altes halbverhungertes Mütterchen zu mir nehmen, auch nachher meine Schwester vom Exyl Krasnojarsk, Veronika. Als Direktorgehilfe ist es mir gelungen, ein am letzten Platze stehendes Kombinat zum ersten zu heben. Gewiß konnte ich kerne geistliche Funktionen ausüben, erst als ich anno 1957 auf Pension übergegangen bin und mich abgerechnet habe vom Kombinat, auch sofort weggefahren bin nach Jurga, so fing ich an, meine geistliche Pflichten nachzukommen. Obwohl noch illegal, so besuchte ich viele hunderte Gemeinden in allen Ecken, wo nur unsere Katholischen wohnten. Vier Jahre mit wenig Störungen brachte ich in Jurga zu, aber die Zeit kam, wo man mich bedrängte und fortschub. Ich mußte fort und siedelte mich an mit zwei Schwestern Maria und Veronika samt der alten Mutter in Merke - einem Rayon in Kasachstan zwischen Dschambul und Frunze.
Von Jurga aus nach Merke kamen wir an mit unserer alten Mutter und zwei Schwestern Maria und Veronika am 27. März 1961. Merke ist ein großes Rayonzentrum im Südkasachstan zwischen Dschambul und Frunze. Wir kauften mit den Schwestern ein geräumiges Haus mit Hofküche. Aber schon acht Tage am 6. April starb unser liebes Mütterlein an Altersschwäche mit 88 Jahren. Sie machte den Anfang der Begrabung auf dem Friedhof von Merke aller Toten aus unserer Familie, derer heute schon fünf an der Zahl beerdigt sind. Es stellt sich nachträglich heraus, daß nebst meiner Verwandten in Merke viele Katholiken wohnhaft sind aus verschiedenen früheren Wohnorten. Alltäglich hielt ich in unserem Hause hl. Messe, auch an Sonnabenden und Sonntagen zelebrierte in den Privathäusern der Gläubigen. Bemerkenswert ist es, daß ich in den neun Jahren, die ich in Merke zugebracht hatte, niemals von der Behörde gestört worden bin, obwohl ich alle Functionen wie Taufen, Trauungen, Beerdigungen offen durchgeführt habe. Mann hat mir nicht verboten, weil ich als Pensionär auch tätig war in bürgerlicher Hinsicht. Habe aktiv teilgenommen am Straßenbau. Im Poselkowsowjet hat man mich immer zu Rat gezogen. Auch traf es sich öfters, daß man mich zu Kranken holte von Dschambul aus bis nach Frunze, besonders nach dem in Kant das zeitweilig functionierte Kirchlein geschlossen und Pater Antonius Scheschkewitschus ins Exil gegangen ist. Es kam die Zeit daß Moskau die Anweisung gegeben hat, den Katholiken im asiatischen Rußland die religiösen Gemeinden zu registrieren und frei das Glaubensbekenntnis zu pflegen. Die erste Gemeinde wurde registriert in der Stadt Frunze — Kirgisien. Man bildete einen Vorstand mit zwanzig Mitgliedern, denen Mumber Andreas und Rojek Franz vorstanden. Man kaufte ein Privates Wohnhaus und umgestaltete es zum Bethaus - acht
Meter breit und neuneinhalb lang, aber nur drei Meter hoch, es fehlte immer an der notwendigen Kubatur beim Kirchenbesuch der Gläubigen, wo sich bei dreihundert Menschen ins Gebäude eindrängten. Es fehlte an der geistlichen Verwaltung,es fehlte der Pfarrer. In erster Reihe trug man mir dieses Amt an, ich lehnte ab des alters wegen — 72 Jahre war ich alt, andere Kandidaten schienen nicht annehmbar zu sein. Man wieß nochmals beim Ministerium auf meine Person hin. Schakolotow und sein Gehilfe Wjgchnjalfqw, die Bevollmächtigten über die religiöse Frage beim Ministerrai Kirgisiens schickte eigens nach mir, da ich in Merke wohnte, und machten mir den eindringlichen Antrag, die Pfarrstelle anzunehmen, da ich ein einheimischer Priester aus diesem deutschen Volke bin auch aus der Saratover Diözese mich viele Menschen kennen. Sie betonten, das mein dreiundzwanzigstes Trennen vom Altare — Gefängnis und Exil keine Bedeutung mehr hätte, zu Zeit waren die Verhältnisse derart. Ich sagte zu und sofort reichte man mir ein Zeugnis in die Hand, daß ich als Pfarrer von Frunze frei pastorieren darf, und so nahm ich die Pfarrei an am 14 Juli 1969. Meine Schwestern wohnten ein halbes Jahr in Merke, da wir unser Haus dort erst zu verkaufen hatten, um in Frunze ein eigenes Haus kaufen zu können.
In diesem halben Jahre bin ich jede Woche von Merke auf den Sonntag nach Frunse auf dem Autobus gefahren bis wir Januar 1970 unser eigenes Haus in Frunze hatten. Nicht wenig Schwierigkeiten von innen und außen hat mann durchzumachen gehabt, die die sonst untergrabene Gesundheit verschlimmerten; schon 1971 erkrankte ich an Bluturnlauf im Gehirn und 1973 an einem tiefen und schweren Infarkt-Miacard, drei Monate mußte ich das Bett hüten und nur das Gebet der Gläubigen und die außerordentliche Sorgen und Kenntnisse meines Hausarztes Silbermann Faina Jak. retteten mir das Leben. Mit dieser schwachen Gesundheit konnte ich die Pfarrerei nicht mehr allein versorgen und ich war gezwungen, mir einen Vikar — Hilfspriester zu suchen, was mann mir auch versprochen hatte, bei der Annahme. Ich erforderte mir aus Makinsk Pater Gottlieb-Georg Todatschitsch, der dort an der Sägmaschine im Kombinat arbeitete. Seine Registration hier war schwierig zu erhalten, da er zu den unierten Ukrainern Priestern gehörte, die man zu jener Zeit noch nicht bei uns anerkannte. Auf meine Garantie hin registrierte man ihn dennoch. Schon acht Jahre arbeiten wir zusammen.
Einen Überblick von der Arbeit in der Pastoration unter unseren deutschen Katholiken aus der Saratover-Tyraspoler Diözese, die von anno 1971 im asiatischen Rußland zerstreut vom Ural bis Sachalin, vom hohen Norden bis Aschchabad unter vielen verschiedenen Nationen angesiedelt worden sind und leider größtenteils ihre deutsche nationale Eigenschaften verloren haben: Wir arbeiten hier 15 Priester, von denen ich Prälat Michael Kahler der einzige und letzte einheimischer Priester aus der Saratover Diözese geblieben bin im
Alter von 84 Jahren und 59 Priesterjahren: am 20. Mai 1982 hoffe ich mein 60jähriges Priesterjubiläum feiern zu können, wenn es der Wille Gottes sein wird. Außer mir sind Ukrainer, Tschechen, Litauer, Letten, Polen und ein Österreicher deutscher Priester. Mann dürfte denken, das die Zahl 15 nicht klein wäre als Arbeiter im Weinberge des Herrn — das Quantum und die Qualität? Unter uns sind vier Achziger und höher, vier Siebziger und die übrigen etwas jünger. Zu dieser physisch mangelnden Seite gesellt sich die verschiedene Erziehung, die Unkenntnis der Sprache, die Neigung zur Einführung der russischen Sprache im Umgang, im Beichtstuhl, in der Predigt und sogar am Altare, was vielfach die Muttersprache verdrängt. Den größten Schaden fügen viele diese Art Geistlichen unserem Volke zu, daß sie das Moderne, die Neuerungen gegen den Willen des Volkes nicht nur einführen, sondern mit Gewalt und Drohungen aufdrängen und das Heilige — die Tradition des Volkes herkommend von unseren Bischöfen und Priestern auszurotten suchen, ja geradezu, muß man sagen, unser gläubiges Volk entrechten. Auch sucht mann vielfach Gebräuche aus anderen Nationen unter unserem Volke mit Gewalt zu verbreiten. Das arme Volk duldet vieles, weil eben keine anderen Priester zu hoffen sind und es den Wert des heiligen Meßopfers zu hoch schätzt. Mir gegenüber sind meine Priesterkollegen nicht besonders gut gestimmt, weil ich ein starker Gegner dem Modernen bin und den Abbau des Christentums durch manche schädliche Neuerungen nicht pflege und nicht zulasse. Auch zelebriere ich die hl. Messe nach dem Missale korregiert nach dem Zweiten Vaticanum von anno 1966 von Gardinal Cicogniani vorgelegt und Papst Paul wie bestätigt, was nur unser gläubiges Volk wünscht. Ehre und achte den Ausdruck — Vox populi — vox Dei, die Stimme des Volkes ist die Stimme Gottes. Schon mehr als fünzig Jahren ist an der Glaubensfrage unseres Volkes gerüttelt worden und manchmal derart, daß mann glaubt keine Spuren mehr zu finden und doch was sehen wir? Nach der Erlaubnis, die Gemeinde registrieren zu dürfen: Welche Opfer bringen unsere Leute — kaufen Häußer, bauen Kirchen, sie zeigen einen lebendigen, ja heroischen Glauben, den sie von unseren Bischöfen und Priestern als festes Fundament gleichsam als Testament erhalten haben, von denen, die mutig dem Martyrium entgegengegangen sind und im Himmel für ihre Pfarrkinder beten, damit sie stark bleiben in ihrem Glauben und fest halten an ihren heiligen Gebräuchen. Und diese Heiligtümer will man dem gläubigen Volke nehmen und mit unchristlichen Neurungen vertauschen, Un-christen machen, zu Sektanten?!
Nein, das gibts nicht, so lange ich noch leben werde, bin ich bereit, meine letzten Kräfte daran zu setzen und unser Volk, aus dessen Mitte ich hervorgegangen bin, zu schützen und zu verteidigen. Man wirft mir vor, ich würde nicht recht handeln im Sinne des Zweiten Vaticanum und des Papstes. Ich antworte darauf: Ich bin ein Zögling der Bischöfe und Professoren, die von den Päpsten
Leo XIII und Pius X unsere Saratover Diözese patroniert und geordnet haben; Pius X ist schon heilig gesprochen. Also wollte Gott seine Lehre und Methode gut heißen?! Ernste und rechtdenkende höhere Geistlichen behaupten nur: Sollten Sie, Herr Prälat, Eurem Volke das beibringen wie der Westen, so würden von Euren Leuten die meisten vom Glauben abfallen. Und in der Tat, wo die schädliche Neuerungen eingeführt worden sind, haben sich viele von der Kirche abgesagt. In diesem Sinn und mit dieser Methode arbeitete ich in der Pfarrei bis zur Trennung von derselben und jetzt schon im dreizehnten Jahre hier in Frunse, obwohl ich mich verbundlich fühle mit allerorts wohnenden Katholiken. An und für sich wäre ja die Pfarrei auch mit den noch mehr als zwanzig umliegenden Gemeinden — klein und groß, aber die Not ist groß, der Weinberg umfangreich, der Arbeiter wenig, von überall ruft und bittet man um Hilfe. Gar manchmal muß ich allein bleiben und den Pater Vicar zur Aushilfe den Notleidenden schicken. Gottesdienst haben wir jeden Tag und auch zumeist am Nachmittag, da öfters von der Feme und aus der Peripherie Gläubige kommen zur Beichte, Taufe, Trauung usw.
An Sonn- und Feiertagen haben wir Frühmesse, Rosenkranz oder zeitgemäße Andachten, Predigt und Hochamt abwechselnd mit dem Pater Vicar. Wenn es gelegen ist, so hält man auch eine kurze belehrende Ansprache in der Frühmesse. Beichtgelegenheit ist jeden Tag und zu jeder Zeit. Die Peripherie wird nach bestimmtem Grafik drei vier Mal des Jahres besucht, wo gewiß alle Nöten gestillt werden. In den Gemeinden dort gehen die Gläubigen zusammen, halten Andachten, Rosenkranz, Maiandacht und andere, singen dabei fromme Kirchenlieder meistens aus dem Diözesanbuch »Alleluja«. Diese Andachten berücksichtigen mehr jene Menschen, die schwerlich zur Pfarrkirche kommen können, da jedoch manche über hundert Kilometer zu fahren haben. Zu allem guten Vorhaben ist dieser Art Pastoration doch ein Stückwerk dem gegenüber, was wir in den geordneten und geschlossenen Pfarreien gehabt haben. Ihr sehet, oben fehlt ein wichtiges Wort - Christenlehre. In den Pfarreien hatten wir die Kinder in der Schule und die Erwachsenen in der Kirche zur Christenlehre. Wir hatten das Familienbuch, worin alle Karrkinder bis zum kleinsten Kinde aufgeschrieben waren, zu jener Zeit konnten wir nachsehen und den Zustand der Familie und zugleich der Pfarrei feststellen — Oster-beicht, Trauung, Zeugen, erste Communion, Auswanderung und dergleichen. Dieses fehlt uns jetzt gänzlich, die Menschen sind uns aus der Hand gewachsen, wir können Sie nicht erreichen und wenn sie selbst nicht kommen, so sind sie für den Glauben verloren. Der Schluß davon ist daß wir keine Jugend haben, auch wenig Kinder.
Haben wir keine Nachkömmlinge, so ist das Absterben zu erwarten. Man kämpft, man redet sich die Lunge krank, man fühlt sich unwohl, weil man seinen Berufspflichten nicht voll und ganz nachkommen kann. Der Kirchenbe-
such an Sonn- und Feiertagen wäre einigermaßen noch befriedigend, aber an Werktagen sind wenig Besucher. Gut noch wird der Herz Jesufreitag gefeiert mit Beicht und Communion. Die Kontrolle bei der Austeilung der hl. Commu-nion ist voll in den Händen des Priesters, wie wohl die öftere Communion wie früher auch jetzt gepflegt und angeraten ist. Der Dritte Orden des hl. Franziskus — Tertiarier ist immer noch schön im Gebrauche unter unseren Leuten. Wir sind registriert und stehen unter der Kontrolle des Staates, aber haben kein Grund zu klagen; daß man uns ungerecht behandele, wir wissen unsere Statuten und arbeiten ungestört. Viel hängt auch ab vom Benehmen der Geistlichen selbst den Gläubigen und dem Staate gegenüber; der eine arbeitet mit Erfolg, den anderen liebt man nicht und wendet sich von ihm ab. Durch das ungerechte Verfahren und gebieterischen Benehmen der Priester in manchen Gemeinden hat sich Zwiespalt gebildet in der Form dafür und dagegen. Eine der größten Mißständen ist, daß wir keine geistliche Obrigkeit haben — weder Bischof noch Apostolischer Administrator, die gebieten und verbieten sollte, jeder handelt nach seinem Verstände und nimmt sich Rechte, die ihm laut Codex nicht zustehen. Darunter leidet das Volk durch Desorientierung selbst in Glaubensfragen. Zuweilen schleichen sich autoritäre habsüchtige Züge ein, die an Verbrechen grenzen, zum Beispiel durch Reduction und Commutation der Intentionen der hl. Messen. Gewiß, so viel möglich, wird darüber gewacht, aber zuweilen siegt der Eigennutz und Starrsin. Auch für diese Hilfe sind unsere Leute dankbar, aber sie gedenken der Blütezeiten, wo inmitten der Gemeinde der Pfarr-Geistliche segensreich und liebvoll mit warmen Herzen wirkte und er sich dem Bischof in Saratow unterworfen, der jede fünf Jahre Rechenschaft dem hl. Vater, dem Papst in Rom gegeben hat. Mit tiefen Seufzen sagt man: Es war und kommt nimmermehr.
Wie schon früher erwähnt, waren wir deutsche Katholiken — Kolonisten in Rußland vereint in einer Diözese Tiraspol-Saratow auf dem Territorium Samara, Saratow, dem Gouvernement der Wolga entlang bis Astrachan, Kaukasus, Krim und Ukraina. Wir hatten ein Konsistorium, von da gingen alle Direc-tive aus für die ganze Diözese, von da wurden die jungen Priester zuerst als Vicar zu älteren Geistlichen und nachher als selbständige Verwalter in die Pfarreien geschickt. Zehn, zwölf Pfarreien bildeten ein Decanat, der Decan sammelte von den Pfarreien seines Decanates zuweilen schriftliches oder mündliches Material über den Zustand und die Nöten der Gemeinden und gab Rechenschaft diesbezüglich dem Bischof ab. Obwohl die Verwaltung unserer Diözese sehr streng war, so galt sie in Rom bei den Päpsten als eine der besten Diözesen. Auch die Bischöfe mußten jede fünf Jahren persönlich vor dem hl.
Stuhl - dem Papste Rechenschaft schriftlich und mündlich ablegen. Wir hatten unsere Typographie, unsere Zeitung - Rundschau, das Klemensblatt (zu Ehren des Diözesanpatrons St. Clemens), unseren eigenen Kathechismus und die kleine und große Biblische Geschichte zur Kathechese. Dieses alles und der Gottesdienst samt der Gebeten ist einheitlich gewesen für alle Priester und Gläubigen, überall wohin der Katholik gekommen ist, war er zu Hause. Die Geistlichen, erzogen und ausgebildet in einem Seminar und viele dabei noch mit Hochbildung in geistlichen Schulen im Auslände, standen alle unter der Fürsorge und dem Gehorsame des Diözesanbischofs; sie wurden zuerst als Vicar-Gehilfspriester zu einem erfahrenen Pfarrer und nachher selbständig in die Pfarrerei geschickt. Wird seine Arbeit als Verwalter und Seelsorger vom Dekan und zugleich auch von der Gemeinde als gut anerkannt, so erhalt er den Titel Kurat und darf die Pelerina auf der Sutane tragen.
Nach segenreicher Arbeit gibt ihm der Bischof die Rechte als Pfarrer mit allen Rechten und Jurisdictionen, die Pfarrei zu betreuen. Manche gute Seelsorger waren mehr als 25 Jahren in derselben Pfarrei und hinterließen eine wohlerzogene und fromme Gemeinde. Heute noch nach 40—50 Jahren spricht man noch gut von solchen Priestern und bestellt heilige Messen für ihr Seelenheil. Welche Rechte und Pflichten hatte ein guter Seelsorger in seiner Gemeinde? Hat er es verstanden aller Anfang die Herzen seiner Pfarrkinder zu gewinen, so ist er alles und für alle Vater, Fürsorger, Richter, Vermittler, Lehrer, Seelenführer, er stand am Krankenbett und bereitete den Kranken vor für die Ewigkeit und vermittelte öfters die Testamentsfrage für die Nachkommenschaft. Er leitet den Religionsunterricht in der Schule und in der Christenlehre in der Kirche, seine wohlgutvorbereitete Predigten auf der Kanzel waren die schlaggebende Richtschnur für die Gläubigen.
Sein frommes und andachtiges Benehmen auf dem Altar wirkte beispielvoll auf die Gemüter aller Anwesenden, seine Sorgen für ein gutes Sängerchor zierte den Gottesdienst, gute und sorgfältige Kirchenväter, Aufseher und Meßdienerschaar erleichterten ihm seinen Dienst. Die Sorge um fromme Vereine - Tertiarier, Jugendvereine, Aufnahmen in verschiedenen Meßbunden, Marianische Kongregation, Bruderschaft des Berges Karmel, ewige Anbetung usw. machen Ansehen bei Gott und den Menschen.
Was noch sehr wichtig ist, das ist die Führung des Hausbuches, dort sind alle Familien mit allen Mitgliedern des Hauses eingeschrieben, der Pfarrer hat dadurch immer ein klares Bild vor Augen: wer und wann getraut, zur ersten hl. Communion gegangen, geboren, gestorben. Auch die Beichtzettel werden daraus geschrieben und abgemerkt. Alles hatte der Priester in der Hand, auch die Kontrolle über die Austeilung der hl. Communion ist ihm eigen. Ich bemerke, daß die öftere hl. Communion, besonders am ersten Freitag (Herz Jesu) des Monates wurde gut gepflegt. So zu arbeiten, waren wir in unserer Diözese
gewöhnt und fühlten uns ganz glücklich. So arbeiten wir jeder auf seiner Pfarrei bis der Abschied kam, obzwar mit manchen Begrenzungen in den letzten fünf Jahren. Wir ahnten alle, was uns bevorsteht, aber wir blieben treu unserem Berufe an Ort und Stelle. Nach vielen, vielen Jahren kamen wir wiederum zu Kräften und suchten so viel wie nur möglich unserem Volke in Glaubensforderungen beizustehen. Wie früher gesagt, sind unsere Landsleute zerstreut wohnhaft in der großen Flächen des Asiatischen Busslandes. Hie und da tauchten auch Geistliche auf verschiedener Nation und fingen an privatim und ungesetzlich zu arbeiten immerfort jedoch stand man unter der Gefahr, sich das Gefängnis zu verdienen, was auch manchen wiederfahren ist. Es war immer noch keine Erlaubnis, die Gemeinden und einen Priester zu registrieren. Endlich am 23. Januar 1969 haben die Gläubigen von der Stadt Frunze und der umliegenden Ansiedlungen die Erlaubnis bekommen, eine religiöse Gemeinschaft zu bilden und registriert zu werden. Als Vorgänger wurde Mumber Andreas gewählt. Mann kaufte ein Wohnhaus nach Angabe der Behörde und umgestaltete es zu einem Bethaus. Es stand nun die Frage, wer als Pfarrer an der Spitze der Gemeinde stehen wird.
Der Vorsitzende Mumber Andreas und sein Gehilfe Rojek Franz kamen zuerst nach Merke, wo ich schon neun Jahre mit meinen zwei Schwestern wohnte und baten mich, die Pfarrei anzunehmen. Ich sagte ab des Alters wegen, war schon 72 Jahre alt. Man schlug dem Ministerium noch drei anderen Kandidaten vor, wurden jedoch nicht angenommen aus verschiedenen Gründen. Jetzt schickten die Behörde aus dem Ministerium über den Kultus einen Vertreter nach Merke nach mir in Merke. Man stützte sich auf die Verordnungen in Moskau von Kurojedow W. A. dem Vorsitzenden über die religiösen Fragen beim Ministerrat. Trotz meiner Vergangenheit — 23 Jahren getrennt gewesen sein vom Altare — hat man mich befehlshalber registriert. Am 14. Juli 1969 nahm ich die Pfarrei an. Am Altare hätte ja nichts besonders gefehlt, Kelche, Messgewänder, Bücher und andere Notwendigkeiten wurden beigetragen, auch ich hatte das notwendigste, aber wie und was und wo anfangen mit der Pastoration? Wohl dachte ich an jene schöne Arbeit zu Hause in meinen jungen Priesterjahren aber jetzt sind die Verhältnisse so ganz anders, als zu jener Zeit. Ich blickte nach oben und eine Stimme sagte mir: Mache dir keine Sorgen, ich werde dir in den Mund legen, was du zu sagen hast. Immer noch stockte das Blut in den Aderen vor Furcht an jene Schreckensjahre, wo wir mit den Gläubigen vollständig entrechtet waren in religiöser Hinsicht.
Noch war das Lichtlein meiner früheren Energie nicht erlöscht, mutig ging ich daran mit Einsicht und Vorsicht, manche Reiffen und Steine beschädigten das Schifflein, bald bekam ich Blutumlauf im Gehirn (gut nur mini) und mußte zweiundhalb Monat ausspannen und 1973 schlug mich ein schwerer Infarkt-Miacard gänzlich zu Boden. Man erlaubte mir, einen Vikar zu haben. Aber die Wahl war zu klein.
Von unseren Priestern waren schon keine mehr, von der Baltik zu bitten, hat man mir abgeraten als nicht zuverlässige, auch unter den hier unter unserem Volke arbeitenden Priester konnte ich nur einen wählen, der in Makinsk als Arbeiter auf der Holzbirscha eingenommen war. Es kostete viele Mühe bis er zur Registration zugelassen wurde, da er aus der sogenannten Unierten in der Transkarpatischen Gegend stammte; er ist ein Hloster-mann mit Namen Georg Todawtschitsch zumeist jedoch Gottlieb (sein Klostername) genannt, er ist ein gebildeter Priester und spricht verhältnismäßig nicht schlecht deutsch, gut russisch, tschechisch und ungarisch. Schon sind es acht Jahre, das wir mit einander segensreich in der Pfarrei arbeiten. Leider Gottes können wir diese Arbeit nicht vergleichen mit jenen guten Verhältnissen, wie oben beschrieben, in der Pfarrei zu Hause in unseren Kolonien in der Ukraina und in Wolgagebiet: Wir haben absolut keine Zutritt zur Schule, wir sehen die Kinder erst dann, wenn wir sie klein taufen und wenn sie die Eltern zur erste hl. Communion wohl vorbereitet in die Kirche bringen von 8—9 Jahren und zuletzt (und da immer seltener) zur kirchlichen Trauung; bis zu 18 Jahren sollen die Kinder nicht in die Kirche gehen, so lautet das Staatsgesetz, jedoch ist es Sache und das Recht der Eltern, die Kinder in der Religion zu unterrichten und mit sich in die Kirche bringen. Da die Menschen zerstreut unter verschiedenen Nationen und Confessionen in Städten und Dörfern wohnen, so ist auch die Hauspastoration unmöglich zu fuhren. Unsere Hauptarbeit ist folglich in der Kirche.
Das Predigeramt in der Kirche und auf Beerdigungen ist uns freigestellt, allerdings nur im Sinne des Evangeliums. Theologische und moralische Predigten, auch Kathechese für die Jugend von 18 Jahren an sind nicht verboten: Gottesdienst mit Gesangbegleitung oder ohne, können wir zu jeder Zeit des Tages und der Nacht feiern; die Spendung aller sechs (Priestertum nicht) Sacramen-ten spenden wir überall in der Kirche, auf dem Hofe, in Privathäusem vorzuglich nur in katholischen Mitten zu jeder Zeit. In letzten Jahren, wo man freigebiger ist mit der Registration der religiösen Gemeinden, soll man nur in Bethäusern oder Kirchen Gottesdienst halten und die Sacramenten spenden.
Wie steht es mit den Mitteln zur Unterhaltung der Gemeinde? Antwort: Die religiösen Gemeinden werden unterhalten nur durch freiwillige Spenden der Gläubigen in und außer der Kirche, sowohl im Anfang zum Kauf oder Bau des Gottes-haußes und später zur Unterhaltung der dienenden Personen und Remontar-beit. Zu den Dienenden gehören: die Geistlichen — Pfarrer und Vicar, die Organisten, Wächter und Aufräumer. Den Lohn derselben bestimmt die Gemeinde mit Vereinbarung der Dienenden selbst. Bei der Kirche ist gewöhnlich ein Gebäude, worin sich die Buchhalterei, der Kassierer, der Prässes und das Kabinet des Pfarrers befindet. Zweimal im Monat bekommen die Dienenden ihren Gehalt.
Der Pfarrer nimmt die Gläubigen an und bespricht mit ihnen verschiedene kirchliche oder Familiäre Fragen, auch werden hier Bestellungen der Messintentionen angenommen. Die Feier der Todestagen und Jahrestagen werden in der Kirche verkündigt, damit die Verwandten dem Seelenamt beiwohnen können. Der Krankenbesuch, das heißt, die Spendung des hl. Sa-cramentes der Wegzehrung und letzten Ölung mit dem Sterbeablaß gibt uns immer noch die günstige Gelegenheit, mit mancher katholischen Familie in entlegenen Gegenden in Kontakt zu kommen: hierhin ist man sehr großmütig uns und den Gläubigen gegenüber. Wohl sind wir auch mit diesem allem noch zufrieden nach der mehr als 40jährigen Trockenheit, wo wir mit großer Gefahr kaum einen Kranken versehen konnten.
Aber ein schwerer Umstand drückt unser gläubiges Volk: die meisten unter uns arbeitenden Priester sind anderer Nation aus verschiedenen Gegenden und mit verschiedenen Gebräuchen, zumeist schwacher Erziehung und großer unbegründeter Neigung zur liberalen Neuerung des Modernismus. Man geht zu weit, daß man in der Kirche die russische Sprache einführt, den Gottesdienst — die hl. Messe in russischer Sprache zelebriert, das Volk und die Sänger zwingt, geradezu russische Straßlieder in der Kirche zu singen verlangt. Es entsteht Zwiespalt und Streit in und außer der Kirche, zwischen Gemeinde und Geistlichen, und trotzdem die Not an Seelsorgern groß ist, sind manche Gemeinden gesinnt, eher als einen solchen Priester, gar keinen zu haben. Noch liegt es daran, daß wir hier im asiatischen Teile der Sowjetunion übersiedelte deutsche Katholiken die Diözese Saratow darstellen und ohne Verwaltung in kirchlicher Hinsicht sind, deshalb haben auch Bischöfe aus fremder Diözese wenig Sorgen um uns. Alle 14. arbeitende (obwohl wenig gesunde und arbeitsfähige) inmitten unseres Volkes Priester haben alle verschiedene Methoden, vielfach sich widersprechende und unserem Volke schädliche, sehr selten, daß eine Gemeinde zufrieden ist mit einer solchen Behandlung, sehr oft mit Entrechtung, einer Art Knüppelbehandlung, rücksichtslos gegen Tradition und fromme Gebräuche. Manche Pfarreien haben angefangen zu blühen, mit Lust und Liebe alle Kräfte und Mittel daran gehängt am Kirchbau, leider hat mann dreingehauen, die Menschen haben entäuscht den Mut verloren, die Pfarrei ist zu nichts geworden. Die weltliche Obrigkeit war gezwungen, von uns schlechter Meinung zu sein. Das Ärgernis liegt vor Augen.
Unmittelbar mit der Registration der Gemeinden und Geistlichen unter den Gläubigen deutscher Nation im asiatischen Rußland war auch die Frage verbunden, wo den Gottesdienst zu halten? Ein Neubau zu erzielen, war anfänglich vergebens, da ja das Land überall in Staatshänden ist und für Kirchenzwecken keineswegs erlaubt werden durfte; es erlaubte der Staat Privathäu-ßer zu kaufen, dieselbe umzugestalten nur im innern ähnlich einer Kirche — Bethaus. Die äußere Form und der Umfang, wie auch die Höhe durfte nicht geändert werden. So hat die Kirchengemeinde von Frunze ein Privathaus, nach Anweisung des Stadtrates auf welchem Stadtteil, gekauft für zehntausend Rubel mit den Mitteln der Gläubigen und daselbe rekonstruiert zu einem Bethaus, worin der Gottesdienst von 1969 bis Frühjahr 1981 abgehalten wurde. Desgleichen haben auch die religiösen Gemeinden getan in: Kustanai, Dschambul, Duschanbe, Almaata, Karaganda, Zelinograd, Pawlodar.
Schon in der Jahren 1977—78 verspürte man ein besseres Entgegenkommen von Seiten der Regierung, immer mehr Gemeinden wurden registriert und schon erlaubt mann die gegenwertige Gotteshäuser zu rekonstruieren oder auf derselben Stelle, eine neue Kirche zu bauen. Anno 1979—80 hat noch Karaganda, Duschanbe, Kurgan Tjube, Dschambul, Almaata rekonstruierte und neuaufgebaute Kirchenräumen erhalten. Zur Einweihung dargeboten und verdienstvolle Mühe haben sich die Geistlichen gegeben: P. Dulauskas Albinus, Swidnizki Joseph, der erste in Karaganda, der zweite in Duschanbe. Dabei dürfen wir auch die Laien, den Vorsitzenden von der Gemeinde Almaata Kaspar Herbach und Joseph Kiefel und in Kurgan Tjube den Vorsitzenden Kiefel Rochus, nicht vergessen, die große Verdienste haben beim Bau der Kirchen und feste Verwaltung der Gemeinde. Jetzt kommt die Reihe auch an Frunze. Schon längere Zeit hat das Kirchlein nicht mehr alle Gläubigen aufnehmen können. An Sonn-und Festtagen mußten viele auf dem Hofe in der Hitze und im Regen den Gottesdienst anhören.
Auch im inneren standen Menschen vollgepfropft in vollem Schweiß; gar manchen nichtgesunden Menschen ist es übel geworden und mußten hinausgeführt werden. Es reifte der Gedanken, einen Ausweg zu suchen. Ich als alter und kranker Priester mußte auch schon immer kämpfen mit dem Atem während des Gottesdienstes, auch ich in erster Reihe mußte an eine Umgestaltung denken. So weit es mir von Gott gegeben ist, mach ich mich an den Plan der Rekronstruction und an die Ausarbeitung mit allen Materialien und Arbeitskräften. Eine Solide Sparkasse die ich persönlich bei mir führte, gab mir Garantie dafür, die Anlagen zu decken und eine geräumige Kirche zu haben. Auf Neujahr 1981 verkündigte ich der Gemeinde, daß wir die Möglichkeit der Erlaubnis von der Behörde für eine neue Kirche zu haben. An Mitteln wird es nicht fehlen. Was die Arbeitskraft anbelangt, so verlasse ich mich auf die Hände und die Kunst meiner Pfarrkinder, da es schwierig sein wird, von der Seite oder einer Bauorganisation, Arbeiter zu bekommen, sagte ich zu meinen Zuhörern, aber mit Emst hatte ich Zweifel, auf das passive Verhalten der Gemeindemitglieder. Frisch gewagt, ist halb gewonnen. Anfang
Januar 1981 fingen wir an, die notwendigen Materialien zu kaufen, wohl wissend, daß diese Frage nicht so leicht zu lösen sei. Meisterhaft und mutig gingen an die Besorgung des Baumaterials der Vorsitzende des Kirchenrates Gottlieb Iwanowitsch Bruckmarin und der Kirchen-Vater Franz Thomasowitsch Hatzenbühler von Karabalta. Die Vorbereitung für Instrumenten, von Blech und Eisenarbeiten lag voll und ganz auf dem überaus der Kirche ergebenen Kassierer Michael Happerl, die Farben, Streichöl, Pinsel und dergleichen versorgte gut der Revisionsvorsitzende Aloysius Krug. Vier Monate lang waren diese Expeditoren auf den Füßen. Tag-täglich erschienen Lastauto mit dem notwendigen Material; guten Teil hatten die Frauen bei der Kirche genommen am Abladen des Baumaterials. Alles ausgerechnet, sollte der Bau anfangen weiden sofort nach Ostern am 22. April 1981. Aber was ist geschehen? Der Projector und Baumeister Pfarrer Prälat Michael Köhler ist plötzlich schwer krank geworden an einer eiternden Pneymonie, vom 2. Februar an bis gegen Ende des Monats lag er hoffnungslos im Bett.
Die Gläubigen von allerorts und in der Pfarrei beteten ohne Unterlass für die Genesung des einzigen und letzten von unseren Pristern, die Ärzte vorzüglich der beständige Hausarzt des Prälates Faina Silbermann legte alle Kräfte daran, den kranken Pr. Köhler zu retten. Am Ende des Monats Februar kam die Änderung zur Besserung. Schon konnte der Baumeister durchs Fenster vom Bett aus sehen, wie Gottlieb Iwanowitsch im Beifahren des ihm angegebenen Materials den Plan ausfüllt; manchmal war es nicht zuzusehen, wie er sich abgeplagt mit dem Abladen der Schweren Balken und Brettern. Eine Woche vor Ostern haben bei 15 Holzarbeiter alles Holz vorbereitet und stabeliert.
Die Verteilung der Arbeitsstellen in Brigaden wurden vorher dem Volke verkündet. Aber mein vorzeitiges Dabeisein bei der Bearbeitung verursachte einen Rezidiv und ich mußte immer noch das Bett hüten. Drei Tage nach Ostern traten wir heran, rissen das Dach herunter und einen oberen Teil der Mauer, im vollen Gang und mit gutem Erfolg haben wir das Gebäude bis zu sechs Meter gehoben und das Dach in drei Wochen mit ganz neuem Materia] — Blech dem Gebäude aufgesetzt. In meinen früheren Befürchtungen habe ich mich getäuscht: jeden Tag ohne gerufen haben sich Männer und Frauen hier auf unserer Arbeit gezeigt und fleißig gearbeitet nicht weniger als 30-40 Menschen, an einem Samstage kamen gar 62 Menschen, unter ihnen viele Jugend von 20—30 Jahren. Zweimal des Tages wurden die Arbeiter gut verköstigt und nach Bedarf getränkt. Alle waren einstimmig, das Haus Gottes gut und in schnellster Zeit zu bauen. Alle Schwierigkeiten wurden ganz heroisch überwunden, kein Klagen oder Uneinigkeiten waren zu merken.
Nicht leicht war es, die Produkten für mehr als 2200 Mahlzeiten beizubringen. Dieses Objekt lag schwer auf den Schultern der Pfarrwirtin Mathilde Holfinger und ihrer Gehilfin Katja Brikmann, auch das Kochen noch dazu. Auch hat der Vorsitzende Gottlieb Iwanowitsch Bruckmann und sein Bruder Alexander immer rege mitgeholfen. Auf Ostern hatten wir Gottesdienst im Kirchenhof abgehalten, aber auf Pfingsten den 7. Juni zogen wir schön ein in unsere neue Kirche.
Sechs Meter hoch mit 16 Ventilationseinrichtungen gaben der angefüllten Menschenmenge die notwendige Temperatur, mehr als 200 Plätze haben wir durch die Rekonstruktion gewonnen. Man sagt die Kirche sei originell schön und sehe heimisch aus und regt alles an zur Andacht. Wir fühlen uns alle glücklich in unserem Gotteshause; die Obrigkeit ist uns sehr wohlwollend entgegengekommen. Den besten Arbeitern — und es haben alle Leute gut gearbeitet — haben wir Geschenke und Photokarten gegeben und allen siebzig hl. Messen gehalten für sie lebende und ihre verwandten Toden. Noch passiert ein kleines Unglück: Am Vorabend von Pfingsten geschwächt von übergroßer Anstrengung und betäubt vom Farbengeruch fiel ich auf den Zementboden im Hofe und verwundete mir das Gesicht und den Kopf, so daß ich bei der Einweihung auf Pfingsten mit verbundenem Kopf auf der neuen Kanzel zum Festpredigt mit der Danksagung auftreten mußte.
So langsam ist meine Gesundheit besser geworden und heute leben wir in der Hoffnung mit Gottes Hilfe und seiner weisen Vorsehung am 23. Mai 1982 mein 60jähriges diamantenes Prister-jubiläum abhalten zu dürfen. Noch sind es sechs Monate von heute an bis dorthin geblieben, deshalb sagen wir: alles ist in den Händen Gottes gelegen. Werden schon weiter von uns hören lassen nach dem zu erwartenden Jubiläum am 23. Mai 1982.
Frunse, den 20. November 1981
Aus J. A Keßler, Geschichte der Diözese Tiraspol, Dickinson/USA 1930
H = Holzkirche
S = Bauweise in Stein
Die Zahlen geben die Gemeindemitglieder an.
Dekanat Saratoff
1. Saratoff, Dom- und Pfarrkirche. 8150
Kapellen: im Palais des Bischofs, im Priesterseminar, auf dem Kirchhof, auf der bischöflichen Villa Filiale in Kosakenstadt (Pokroffsk)
2. Marienfeld, Pfarrkirche H, 3780
Filiale Josephstal
Filiale Kampschin. Bethaus S,
3. Zarizyn. Pfarrkirche S, 600
4. Astrachan, Pfarrkirche S, erbaut 1762.1350
Kapellen: im Pfarrhaus, auf dem Friedhof.
Kasizkoje (Brabander), Pfarrkirche H, 4248
Beresoffka (Dehler), Pfarrkirche H, 3980
Dekanat Kamenka
Kamenka, Pfarrkirche S, 3467
Husaren (Jelschanka), Pfarrkirche H, 2300
Vollmar (Kopenka), Pfarrkirche H, 1805
Schuck (Grjasnuwaika), Pfarrkirche H,4032
Filiale Degott, Kirche S, Kapelle H.
Rothammel (Pamjatnoje), Pfarrkirche H, 2185
Seewald, Pfarrkirche H, 1353
Pfeifer (Guiluschka), Pfarrkirche H, 3608
Leichtling (Iljowlja), Bethaus S, 2100
Köhler, Pfarrkirche H, 6373
Kapelle zu Ehren Kreuzauffindung.
Semjonoffa, Pfarrkirche H, 6577 Kapelle.
Göbel (Ust-grjasnucha), Pfarrkirche H, 3738
Dekanat Katharinenstadt
Katharinenstadt, Pfarrkirche S, erbaut 1815. 2910
Kapelle auf dem Friedhof.
Filiale Boregard, Bethaus H.
Obermonjou, Pfarrkirche S, 3052
Luzern, Pfarrkirche H, 4003
Zug, Pfarrkirche H, 3744
Schönchen (Paninskoje), Pfarrkirche S, 3194
Solothurn, Pfarrkirche H, 3948
Dekanat Mariental
Mariental (Tonkoschuroffka),
Pfarrkirche S, 8000
Kapellen auf dem Grab des Jesuitenpaters Aloisius Moritz auf dem alten Kirchhof, unter dem Kirgisenberg über dem Karaman.
Rohleder (Rskaty), Pfarrkirche S, 2389
Kapelle zu Ehren der Mutter Gottes.
Herzog, Pfarrkirche S, 1874
Kapellen auf dem Kirchhof zu Ehren der Mutter vom Guten Rat.
Graf, Pfarrkirche H, 2153
Kapelle zu Ehren des heiligen Antonius von Padua.
Louis (Otrogoffka), Pfarrkirche S, 5636
Kapelle zu Ehren des heiligen Antonius von Padua.
Liebental, Pfarrkirche H, 4337
Filiale Neu-Obermonjou, Kirche H.
Filiale Neu-Mariental, Kirche H.
Filiale Urbach, Bethaus H.
Tschornaja Padina, Pfarrkirche H, 1072
Filiale Talosska, Kirche H.
Marienburg, Pfarrkirche H, 3044
Dekanat Seelmann
Seelmann, Pfarrkirche S, 8490
Kapelle von der Immerwährenden Hilfe Maria.
Neukolonie (Kustarewo-Krasnorinoffka), Pfarrkirche S, 3526
Hölzel, Pfarrkirche S und H, 2360
Kapelle auf dem Kirchhof.
Preuß, Pfarrkirche H, 5889
Kapelle auf dem Kirchhof.
Marienberg, Pfarrkirche S, 3485
Streckerau, Pfarrkirche H, 2435
Dekanat Berdjansk
Berdjansk, Pfarrkirche S, 726
Filialen: Neu-Stuttgart, Neu-Hoff-nungstal, Waldheim.
Jenakjewo, Pfarrkirche S. 2094
Filialen: David-Orioffka, Selieger, Sofiejeffka, Juliano.
Bachmut, Pfarrkirche S, 3200
Filialen: Konstantinoffka, Druzkoffka, Sodafabrik.
Jusoffka, Pfarrkirche S (Bethaus), 2500
Filialen: Mariuska, Kremenoje, Delinterwo.
Lugansk, Bethaus S, 2500
Filialen: Konopljanka, Nikolsk.
Mariupol, Pfarrkirche S, 3500
Eichwald, Pfarrkirche S, 3497
Filialen: Swjtotrizkoje, Adamoffka, Antonoffka, Nowodworoffka, Blumenfeld.
Göttland, Pfarrkirche S, 1475
Filialen: Kaiserdorf, Kampenau, Mjarau, Heitschule.
Großwerder, Pfarrkirche S, 858
Filialen: Katharinopol, Temruk, Alexandronewsk, Belozerkoffka, Belmanka.
Bergtal, Pfarrkirche S, 1526
Filialen: Stepanofika (Grumfeld), Neu-Jamburg.
Taganrog, Pfarrkirche S, 1315
Filiale Krinitschki. Grüntal, Pfarrkirche S, 1361
Filialen: Nowo-Wasileffka, Groß-Konstantinoffka, Solnzewo, Wagneropol.
Makejeffka, Pfarrkirche S, 1034
Rostoff am Don, Pfarrkirche 5,5632
Kapelle auf dem Friedhof.
Filiale Nowolijinka.
Nowotscheritassk, Pfarrkirche S, 4231
Filialen: Grünfeld, Grünental. Liebental, Großwerder, Kleinwerder.
Dekanat Jekaterinoslaff
Jekaterinoslaff, Pfarrkirche S, 10555
Filialen: Losowaja, Alexandroffsk, Grischino, Pawlograd. 1000
Jamburg, Pfarrkirche S, 2901
Filialen: Ekatermoffka, Rybalsk, Marieffka, Nowoalexandroffka, Ehortitza, Sorotschino.
Kamenskoje-Fabrik, Pfarrkirche S, 6872
Filialen: Werchnednjeproffsk, Saporozje.
Georgsburg, Pfarrkirche S, 1300
Filialen: Dudnikowo, Jegoroffka, Elisawetoffka, Nikolajeffka, Marislaff, Moskoffka, Kuljmannsstal, Katharinenfeld.
Heidelberg, Pfarrkirche S, 3576
Filialen: Blumental, Hochheim, Walddorf.
Kostheim, Pfarrkirche S, 2461
Filialen: Leiterhausen, Marienheim, Alexanderheim, Tschechograd.
Konstantonoffka, Pfarrkirche S, 1798
Filiale: Nowo-Petroffka.
Nikolajeffka, Pfarrkirche S, 1850
Filialen: Werchne-Torgajeffka, Rubanoffka.
Maijinskqje (Marienfeld), Pfarrkirche S, 1868
Filialen: Kotschubejeffka, Feodoroffka.
Marjanoffka (Nowo-Mannheim), Pfarrkirche. 2776
Filialen: Neu-Landau, Neu-Kronental, Bosenfeld, Simonsfeld, Nikolaital, Michailoffka.
Dekanat Sympheropol
Sympheropol, Pfarrkirche S, 4416
Kapelle auf dem Kirchhof.
Filialen: Kronental, Aschaga-Dzamin, Turasch, Agozda, Franzfeld.
Rosental (Schaban Uba), Pfarrkirche S, 1205
Filialen: Altai, Dzajtschi, Pustartschi, Argin, Aila-Kaeli.
Perekop, Pfarrkirche S (ohne Pfarrkinder), der Pfarrer residiert in Grigorjeffka. 2387
Filialen: Preobrazenka, Belozerkoffka, Michailoffka, Alexandroffka, Nowokieffka, Pawloffka, Dagmaroffka, Nowoalexejeffka. Alexandroffka, Pfarrkirche S, 1770
Filialen: Zerkowitsch, Miroffka, Bohemka, Nogai-Toma, Kirej-Tabor, Berty-Bulat, Kop-Kary, Attai, Baschbek und Komrad.
Karamin, Pfarrkirche S, 413
Filialen: Dulal, Meschin.
Feodosia, Efarrkirche S, 558
Diese Kirche wurde aus einer tatarischen Moschee in eine römischkatholische Kirche umgestaltet.
Kaiserin Kathanna II. hatte diese Moschee dem Mohyleffer Erzbischof Siestrzencewitsch im Jahre 1787 zur Umgestaltung in eine römisch-katholische Kirche durch Fürst Potjemkin nebst 20 000 Rubel zur Umgestaltung geschenkt. Der Erzbischof hat dieses in seinem Tagebuch, das er in lateinischer Sprache geführt hat, das Prof. Godlewski in den monumenta historica veröffentlichte, ausdrücklich niedergeschrieben. Dieses Gotteshaus haben die katholischen Armenier sich rechtlos angeeignet.
Filialen: Die genuesische Kapelle in Sudak, die ebenfalls dem römisch-katholischen Ritus angehört. Auch diese wurde von einer tatarischen Moschee in eine römisch-katholische Kapelle umgestaltet, im Jahr 1822 von dem genuesischen Konsul Soldai Golan Christian Mondiano.
Kertsch, Pfarrkirche S, 1065
Jalta, Filiale, von schwarzem geschliffenem Granit. 575
Sevastopol, Pfarrkirche S, 3209
Dekanat Nikolajeff
Nikolajeff, Pfarrkirche S, 8555
Filialen: Neu-Karlsruhe, Laijeffka, Dobraja kemiza.
Daniloffka (Heikoffka), Kaplanei-Kirche S, 800
Zu dieser Kaplanei zählen: Otschertino, Sosnoffka. Kriwi-Nog, Bethaus. 1334
Speyer, Pfarrkirche S, 3316
Katharinental, Pfarrkirche S. 1622
Kapelle auf dem Kirchhof.
Karlsruhe, Pfarrkirche S, 1933
Kapelle auf dem Kirchhof.
Filiale: Antonoffka.
Landau, Pfarrkirche S, 2238
Schönfeld, Pfarrkirche S, 1234
Filialen: Steinberg, Halbstadt, Petroffka.
Sulz, Pfarrkirche S, 2051
Kapelle auf dem Kirchhof.
Filiale: Wotsche.
Blumenfeld, Pfarrkirche S. 3080
Filialen: Krasna, Sebastianfeld, Wilhelmstal, Eigentu, Lubjanka, Neu-Petersburg, Kolopatino, Annoffka, Kapustino.
Christiana, Pfarrkirche S, 2636
Filialen: Felsenburg, Michailoffka, Nowo, Alexandroffka, Kuhn.
Rastatt, Pfarrkirche S, 2450
München, Pfarrkirche S, 1737
Cherson, Pfarrkirche S, 2245
Filiale: Zaredaroffka.
Klosterdorf, Pfarrkirche S, 1237
Kisetjeffka, steinernes Bethaus. 1440
Dekanat Odessa
Odessa, Pfarrkirche Maria Himmelfahrt S, 14986
Filiale zu Ehren des heiligen Petrus.
Kapelle im Kloster der Franziskanerinnen, im französischen Altersheim. Odessa, Pfarrkirche des heiligen Klemens. 17773
Mannheim, Pfarrkirche S, 2459
Filialen: Georgiental, Johannestal
Elsaß. Pfarrkirche S. 2325
Jeremejeffka, Filialkirche S
Filiale: Schemiott.
Kleinliebental, Pfarrkirche S, 2664
Kapelle auf dem Friedhof.
Josephstal, Pfarrkirche S, 1162
Kapelle.
Mariental, Pfarrkirche S. 950
Franzfeld, Pfarrkirche S, 672
Kapelle zu Ehren der Mutter Gottes.
Kandel, Pfarrkirche S. 2741
Kapelle auf dem Kirchhof.
Selz, Pfarrkirche S, 2537
Baden, Pfarrkirche S, 1842
Kapelle auf dem Kirchhof.
Straßburg, Pfarrkirche S, 3632
Filialen: Stephanoffka, Andrjaschoffka, Miroljuboffka, Marjanoffka.
Bethaus S. Sewerinoffka, Pfarrkirche S, 1112
Ponjatoffka, Bethaus S, 1500
Filialen: Koschary, Biziljeffka, Simionoffka.
Wolkoff. Pfarrkirche S, 2510
Filialen: Neu-Baden, Kusakoff, Bogunskoje, Koskoloffka.
Elisabethgrad, Pfarrkirche S, 2286
Tyraspol, Bethaus in einem gemieteten Gebäude. 100
Dekanat Piatigorsk
Piatigorsk, Pfarrkirche S, 1738
Timir-Chan-Schura, Militärpfarrkirche S, 360
Wladikaukaß, Pfarrkirche S, 550
Grozny, Bethaus S, 5800
Mosdok, Pfarrkirche S, 338
Stawropol, Kirche S, 1800
Jekaterinodar, Pfarrkirche S, 2500
Roworoßjisk, Bethaus S, 3580
Roschdestwenskoje, Kirche H, 2638
Semionofka, Kirche H, 2700
Nikolajeffka, Kirche S, 500
Dekanat Tiflis
Tiflis, Pfarrkirche Maria Himmelfahrt. 3302
Tiflis, Pfarrkirche der hl. Petrus und Paulus. 7000
Kapelle auf dem Kirchhof von Kukujeff.
Kapelle auf dem zweiten Kirchhof.
Manglis, Pfarrkirche S, 13600
Gory, Pfarrkirche S, 495
Kapelle im Dorfe Betlemi.
Kutais, Pfarrkirche S, 2087
Kapelle auf dem Kirchhof.
Achalzyck, Bethaus S, 173
Batum, Kirche S, 1050
Baku, Pfarrkirche S, 1300
Die katholische Kirche des lateinischen Ritus war in Rußland immer eine Kirche der Nichtrussen: der Polen, Litauer, Latgalen, der Deutschen u.a. Aber dennoch gab es immer wieder Konversionen von Russen zur römisch-katholischen Kirche. Außerdem gab es in unserem Jahrhundert den Versuch, eine russisch-katholische Kirche des slawisch-byzantinischen Ritus zu schaffen. Unter den Konvertiten sind im 19. Jahrhundert zu nennen: mehrere Mitglieder der Familie des Fürsten Galitzin, Fürst Gagarin und Graf Martinow, ctie Jesuiten wurden, und eine Verwandte des Kaisers, die Fürstin Narischkin.
Bis zur Revolution von 1905 war im zaristischen Rußland der Obertritt von der russisch-orthodoxen Kirche zu einer anderen Konfession verboten. Erst als Zar Nikolaus II. in seinem Oktobermanifest eine — wenn auch begrenzte — Bekenntnisfreiheit verkündete, bildete sich eine russisch-katholische Gemeinde. Sie entstand in St. Petersburg, wo Alexej Sertschaninov, ein katholisch gewordener russischer Priester, in einem Privathaus in der Polosov-Straße im altkirchenslawischen Ritus zelebrierte.
1909 bat ein Priester der Altgläubigen, Susalev, um Aufnahme in die katholische Kirche. Papst Pius X. entschied, daß seine Priesterweihe für gültig anzusehen sei. Susalev ging in die Hauptstadt, wo er Ostern 1909 dem Zaren ein Grußtelegramm schickte. In der Antwort des Hofministers wurde nun die Gemeinde als die der »Altgläubigen in Gemeinschaft mit dem Heiligen Stuhl« bezeichnet. Erst 1917 konnte nach dem Sturz des Zaren ein russisch-katholisches Exarchat errichtet werden, an dessen Spitze Leonid Feodorov stand. Er hatte die orthodoxe theologische Akademie in St. Petersburg verlassen und sich in Lemberg von Metropolit Andreas Scheptitzki in die katholische Kirche aufnehmen lassen. Er studierte dann in Rom und Freiburg in der Schweiz, blieb nach seiner Priesterweihe 1911 noch im Ausland und kehrte erst 1914 nach Rußland zurück, wo er verhaftet und nach Sibirien verbannt wurde.
Nach der Februarrevolution von 1917 errichtete der ukrainische Metropolit von Lemberg ein russisches Exarchat, das Papst Benedikt XV. später bestätigte. Es entstanden zwei Pfarreien in Petersburg und Moskau, die keine Konvertiten schaffen wollten, sondern für die Union der Orthodoxen mit der Katholischen Kirche eintraten. Bei einem Besuch in Weißrußland im Juni 1922 schien es Hoffhungen auf das Wiederherstellen der 1839 in Polozk liquidierten Union mit Rom zu geben. Doch die Terror- und Verfolgungswelle seit Sommer 1922 machte alles zunichte. Im Priesterprozeß von 1923 erhielt der Exarch zehn Jahre Gefängnis. Nach drei Jahren freigelassen ging er nach Weißrußland, wurde erneut verhaftet und litt in den Gefängnissen und Lagern auf den Solovki-Inseln im Weißen Meer und in Vjatka, wo er 1935 starb.
Ein ähnliches Schicksal erlitt Katharina Abrikosov, die als Russin kurz vor der Oktoberrevolution ein russisches katholisches Frauenkloster der Dominikaner-Tertiarinnen gründete. Ihr schlössen sich verschiedene gebildete Russinnen an. Auch sie wurden 1923 verhaftet und wegen »Zugehörigkeit zu einer illegalen Organisation« verurteilt. Mutter Katharina starb 1936 im Gefängnis von Butyrka.
Erst im Zuge der Perestrojka konnten wieder zur katholischen Kirche konvertierte Russen ins Seminar von Riga eintreten.
Unter den armenischen Christen, die heute in der Sowjetunion und in aller Welt leben, gibt es seit Jahrhunderten auch Katholiken, die ihren eigenen Ritus beibehalten durften, als sie sich an Rom anschlössen. Zeitweise waren im Mittelalter alle Armenier mit Rom uniert.
Im alten Rußland gab es im Bistum Tiraspol vor dem Ersten Weltkrieg 46 armenisch-katholische Pfarreien mit 39 Kirchen, 38 Priestern und 30000 Seelen. Außerdem bestand im österreichischen Lemberg seit 1635 neben dem lateinischen (polnischen) und griechisch-katholischen (ukrainischen) Erzbistum ein katholische Erzbistum des armenischen Ritus mit Domkapitel. Es hatte acht Pfarreien in Galizien und zwei in der Bukowina, die von 27 Priestern betreut wurden.
Als Lemberg nach dem Ersten Weltkrieg polnisch wurde, residierten weiterhin die katholischen Erzbischöfe in der Stadt. Nach der Besetzung durch die Bote Armee aber wurden die größtenteils polonisierten katholischen Armenier vertrieben. Sie haben heute in Danzig und Warschau eigene Gottesdienste im armenischen Ritus.
Für die katholischen Armenier in Rußland (bzw. seit 1922 in der Sowjetunion) wurde nach der Oktoberrevolution eine eigene »Apostolische Administratur für die Gläubigen des armenischen Ritus« errichtet. Sie zählte 1923 über 60000 Gläubige mit 47 Priestern, 45 Kirchen und 15 Kapellen. Davon ist heute offiziell nichts geblieben. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als die russischen und georgischen Orthodoxen auch wie die Armenier einen Patriarchen bzw. Katholikos wählen durften, war der neugewählte Katholikos Kevork VI. kein Freund der Ökumene. In seiner ersten öffentlichen Erklärung lobte er die Kriegsanstrengungen aller Kirchen im Kampf gegen Hitler und erklärte dabei über die katholische Kirche: »Es ist aber schmerzlich zu wissen, daß eine christliche Kirche unserer gesegneten Sache nicht beitrat. Mehr noch, jene Kirche unterstützte die Nazifeinde unseres Herrn.«
Seit dem Besuch von Katholikos Vazgen I.1970 in Rom hat sich zwar das Klima erfreulich gebessert, doch gibt es für unierte Katholiken des armenischen Ritus bisher keine geregelte Seelsorge. Das gleiche gilt für die wenigen Chaldäer, d. h. Katholiken des ostsyrischen Ritus. Im Bistum Tiraspol hatten sie im Gouvernement Eriwan eine eigene Pfarrei. Diese wenigen Hundert Gläubigen sind durch Flüchtlinge aus der Türkei und Persien während des Ersten Weltkrieges auf einige Tausend Seelen angestiegen. In Tiflis wird ihre neu-aramäische Sprache auch im Gottesdienst berücksichtigt.
1. Die Forderungen von Generalsekretär Michail Gorbatschow nach »Glas-post« haben in der Sowjetunion zu manchen offenen Diskussionen über die Vergangenheit geführt und oft bestätigt, was Kirche in Not/Ostpriesterhilfe in seiner Informationsarbeit bereits vor Jahren feststellte: Die Benachteiligung der Gläubigen als Bürger 2. Klasse hat sogar der sowjetische Religionsminister Konstantin Chartschev zugegeben. Im November 1988 konnte der maida-wische Schriftsteller Jon Drufa in seiner Erzählung »Die Samariterin« in der Moskauer Zeitschrift »Ogonjok« allein für Moldawien eine Zahl von 1500 geschlossenen Kirchen und 70 zerstörten Klöstern nennen.
Daher müssen wir weiter objektiv informieren und dürfen bei allem Positiven, das heute in der UdSSR geschieht, nicht vergessen, wie weit dieses Land immer noch von wahrer Religionsfreiheit entfernt ist und wieviel Unrecht noch nicht wieder gutgemacht wurde.
2. Die letzten Jahre haben einige Reiseerleichterungen für die Sowjetunion gebracht, doch suchten die meisten westlichen Touristen -nur« die Begegnung
mit der orthodoxen Kirche. Die Öffnung auch des Baltikums und Zentralasiens für den Tourismus ermöglicht uns heute auch Besuchskontakte mit katholischen Gemeinden, mit Priestern, Seminaristen und Laien. Hierbei muß behutsam und feinfühlig vorgegangen werden, da die katholischen Gläubigen der Sowjetunion über ein halbes Jahrhundert, z. T. sogar seit 1917 von der kirchlichen und theologischen Entwicklung der Gesamtkirche abgeschnitten waren. Die konziliäre Erneuerung des 2. Vatikanums konnte nur in äußerst bescheidenem Rahmen in Angriff genommen werden. Die katholische Kirche in der Sowjetunion ist keine Kirche gelehrter Theologen und diskutierender kirchlicher Vereine und Verbände, sondern eine betende Gemeinschaft gläubiger Laien und Priester.
3. Die Ereignisse der »Perestrojka« haben uns neue Möglichkeiten der Hilfe für die Sowjetunion erschlossen. Seit 1988 ist der Versand von religiöser Literaturmöglich. Unser Werk finanziert den Druck, die Übersetzung und Neuherausgabe von religiöser Literatur in verschiedenen Sprachen der Sowjetunion. Wir unterstützen Seminare, Bischöfe, Priester, viele Gemeinden und ein Radioprogramm in russischer Sprache. Helfen Sie uns bei diesen Projekten und bauen Sie eine geistliche Brücke zu unseren Glaubensbrüdern und -schwestem in der Sowjetunion.
Papst Johannes Paul II. hat zwei Erzbischöfe und zwei Apostolische Administratoren für Litauen ernannt. Erzbischof von Kaunas wurde nach langjährigen Verhandlungen zwischen dem Heiligen Stuhl und den sowjetischen Behörden am Freitag, 10. März, der bisherige Apostolische Administrator des Bistums Kaisiadorys, Kardinal Vincentas Sladkevicius. Zum Erzbischof von Wilna ernannte der Papst den erst vor wenigen Monaten aus der Verbannung entlassenen Julijonas Steponavicius. Seit dem Zweiten Weltkrieg waren die beiden Erzbistümer in Litauen nicht ordnungsgemäß besetzt. Zum Apostolischen Administrator des Bistums Panevezys wurde Juozas Prefltsas bestimmt. Juozas Zemaitis wurde als Nachfolger von Bischof Liudas Povilonis zum Apostolischen Administrator des Bistums Vilkavishis ernannt
Vatikanstadt, 12. März 1989 (KNA)
Die ukrainische katholische Kirche 2. erweiterte Auflage Die mit Rom unierte ukrainisch-katholische Kirche lebt seit der Zwangseingliederung in die russisch-orthodoxe Kirche im Jahre 1946, im Untergrund. Derzeit kämpft sie um ihre Legalisierung. Uber diese Kirche und ihr Leben seit 1000 Jahren will dieses Heft aus der neuen Reihe Beiträge zu Religionsund Glaubensfreiheit informieren. | »Christen in der Sowjetunion zwischen Bedrängnis und Hoffnung« Dieses Informationsheft soll keine abgeschlossene Darstellung der derzeitigen Situation in der Sowjetunion bieten. Grundsätzliche Aussagen und Tatbestände sollen aber helfen, die Entwicklung in der Sowjetunion einschätzen zu können. |
Innerhalb weniger Monate war die erste Ausgabe dieser Publikation vergriffen. Im gleichen Zeitraum ging die positive Entwicklung für die römisch-katholische Kirche in der Sowjetunion weiter, ohne daß allerdings abzusehen ist, ob die Politik der Perestrojka angesichts der nationalen und ökonomischen Probleme des Riesenreiches erfolgreich sein wird und es einmal zu echter Religionsfreiheit kommt. Auch auf dem Gebiete der Religionspolitik kommt es immer wieder zu Stagnation und Rückschlägen. Manche Berichte entpuppen sich als Falschmeldungen.
Insbesondere hat sich die Hoffnung, daß bald ein neues Religionsgesetz verabschiedet wird und jene auf den Seiten 22 und 23 dieses Buches zitierten Bestimmungen ablöst, bisher nicht verwirklicht. Von Bedeutung ist auch, daß der Religionsminister Konstantin Chartschev auf Druck der orthodoxen Kirche hin abgelöst wurde. Wegen der Verzögerung der Verabschiedung eines neuen Religionsgesetzes auf Unionsebene schlug Litauen einen eigenen Weg ein und hat im November1989 ein eigenes Religionsgesetz für diese Republik verabschiedet.
Die Übertragung der Christmette aus der Kathedrale in Wilna 1989 live in Litauen und in zahlreiche Lander Westeuropas und nach Übersee dokumentierte, welche entscheidenden Schritte die Kirche Litauens in Richtung größerer Freiheit machen konnte. Dazu trug entscheidend bei, daß im Zuge der Verselbständigung Litauens auch das staatliche Kirchenamt der Republik von Moskau gelöst und direkt dem litauischen Ministerrat unterstellt wurde. Erst zum Jahresende 1988 war der Apostolische Administrator von Wilna Julijonas Stepanovicius aus seiner Verbannung in Zagare nach 23 Jahren in seine Bischofsstadt zurückgekehrt. In Wilna wurde die bisher als Gemäldegalerie benutzte Kathedrale ebenso der Kirche zurückgegeben wie die Kasimirkirche, die bis dahin ein atheistisches Museum war. Unter den Rückgaben von 2Ü weiteren profanierten Gotteshäusern sind die Kirche Maria Königin des Friedens in Memel (bisher als Konzertraum genutzt) und die Auferstehungskirche in Kaunas (bisher Radiofabrik) zu nennen. Außerdem wurde 1989 die Genehmigung für die Gründung von 23 neuen katholischen Pfarreien und zum Bau von
18 neuen Kirchen erteilt, die meist in Neubaugebieten großer Städte errichtet werden sollen. Die Erzdiözesen Kaunas und Wilna erhielten erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg wieder Erzbischöfe (s. S. 143), wobei aber Wilna weiterhin nicht zur litauischen Kirchenprovinz (mit dem Metropolitansitz Kaunas) gehört. (Bekanntlich hat der Vatikan die Frage der Diözesen in den nach dem Zweiten Weltkrieg an die Sowjetunion verlorenen polnischen Ostgebieten noch nicht geregelt).
Alle bisher in Untergrundseminaren geheim ausgebildeten Priester (S. 41) dürfen heute legal in der Seelsorge tätig sein. Der erst am 1. November 1988 aus mehrjähriger Haft entlassene Priester Sigitas Tamkevicius wurde Spiritual am Priesterseminar in Kaunas. Für dieses Seminar gibt es heute keine staatlichen Beschränkungen mehr, seitdem die litauischen Bischöfe 1988 klar ausdrückten, daß sie selbst über die Aufnahme bestimmen würden, ohne die staatlichen Behörden zu fragen.
Da aber der Platz im Seminar in Kaunas für die über 160 Theologen nicht ausreichte, konnte im September 1989 in Telšiai ein zweites Priesterseminar eröffnet werden. Dies war dringend notwendig geworden, da durch die mehr als vierzigjährige Verfolgung und Einschränkungen der Priesterausbildung in Litauen 170 Pfarreien nicht besetzt sind. Außerdem ist mehr als ein Viertel der Geistlichen über 75 Jahre alt.
Mit weiteren katholischen Aktivitäten, die von der litauischen Regierung toleriert werden, ist Litauen allen anderen Katholiken der Sowjetunion weit voraus. So wurde ein katholischer Frauenbund gegründet und in den Pfarreien mit caritativer Tätigkeit begonnen. Ein katholisches Krankenhaus ist vorgesehen. Die Katholischen Pfadfinder konstituierten sich 1989 wieder. Verhandlungen im Laufe des Sommers 1989 zwischen den Bischöfen und dem Erziehungsministerium erbrachten einen weiteren entscheidenden Durchbruch: Die litauische Regierung verzichtete auf das Monopol des Atheismusunterrichtes in den Schulen und erlaubte zum Jahresende erstmals wieder Religionsunterricht in den Schulen Litauens. In einer vom litauischen Erziehungsminister Henrikas Zabulis und dem Vorsitzenden der litauischen Bischofskonferenz Kardinal Vincentas Sladkevicius unterzeichneten gemeinsamen Erklärung wurde der Religionsunterricht so geregelt:
1. Religion wird Schülern auf Antrag der Eltern oder der Erziehungsberechtigten, die diesbezüglich beim Vorsteher der Gemeinde vorstellig werden, erteilt.
2. Der Vorsitzende der Gemeinde errichtet Pfarrschulen für den Religionsunterricht, die entsprechend den designierten Richtlinien von den städtischen oder regionalen Abteilungen des Erziehungsministeriums registriert werden.
3. Die Behörden des Erziehungsministeriums stellen den Pfarrschulen Räume für den Religionsunterricht, wie er von den Eltern beantragt wird, in den
Volksschulen und Räumlichkeiten in anderen Schulen, die bequeme Bedingungen für die Erteilung des Religionsunterrichts ermöglichen sollen, zur Verfügung.
4. Die Schulen, in deren Räumen die Pfarrschule eingerichtet wird, stellen die Räumlichkeiten kostenlos zur Verfügung.
5. Die Religionslehrer werden von der Bischofskonferenz, die jedem einzelnen eine entsprechende Beauftragung erteilt, ernannt.
6. Die Bischofskonferenz beschließt mit Amtsgewalt den Inhalt des Religionsunterrichts und Fragen des Personals. Sie unterrichtet das Erziehungsministerium über ihre Entscheidungen.
Nach den Worten des Kardinals ist die Kirche in Litauen damit »aus dem Zustand der geistigen Verbannung und der Isolation vor dem Volk« herausgetreten. Desweiteren sollen in allen Krankenhäusern Kapellen für gläubige Patienten eingerichtet werden. Das litauische Fernsehen bietet inzwischen auch regelmäßig eine religiöse Sendung an. Aus Österreich konnten 150000 litauische Neue Testamente eingeführt werden sowie fast 10000 theologische Bücher für die beiden Seminare in Kaunas und Telsiai. Eine Kirchenzeitung kann monatlich in einer Auflage von 100000Exemplaren erscheinen.
Mit großer Freude wurde in diesem baltischen Land verzeichnet, daß der amtsbehinderte und 1940 verurteilte Bischof Kasimirs Dulhinskis (s.S. 70) »»habilitiert wurde. Auch das 1958 erfolgte Urteil gegen den 1895 geborenen Kardinal Julijana Vajvods wurde für nichtig erklärt. Der Oberste Gerichtshof Lettlands beschloß im Juni 1989, auch alle konfiszierten Gegenstände des Oberhirten der Diözese zurückzugeben. Der heute 94 Jahre alte Kardinal nahm am Fest Maria Himmelfahrt noch an der Wallfahrt nach Aglona teil, wo 100000 Pilger zusammenströmten. 40 Priester horten dort Beichte und zelebrierten mit dem Kardinal und den Weihbischöfen Janis Cakuls und Vilhelms NukÄe den Festgottesdienst. Erstmals war der 15. August im Kreis Preili, in dem Aglona liegt, von den Behörden als arbeitsfreier Feiertag genehmigt worden. Außer lettischen und latgalischen Gebeten und Liedern hörte man in Aglona auch russische, polnische und weißrussische Texte, da die Pilger außer aus Lettland auch aus anderen Republiken der Sowjetunion kamen. Erstmals seit der sowjetischen Okkupation konnte in Lettland auch wieder eine religiöse Zeitschrift erscheinen: Katolu Dzeive (Katholisches Leben). In einer Auflage von 50000 Exemplaren erscheint sie sechsmal im Jahr und knüpfte mit ihrer Nummer 171 bewußt an die 1940 verbotene, bereits von 1926 bis 1940 erscheinende gleichnamige Kirchenzeitung an. Die Beiträge sind in lettischer und latgalischer Sprache.
Im Priestmeminar in Riga studierten Ende 1989108 Alumnen. Sie kommen aus folgenden Republiken: Lettland 22, Ukraine 49, Weißrußland 25, Kasachstan 7, aus der R8F8R zwei und je einer aus Tadschikistan, Estland und Moldawien.
Der Nationalität nach sind es 20 Letten, 48 Polen, 19 Ukrainer, acht Deutsche, sieben Weißrussen, zwei Russen, zwei Ungarn und je ein Litauer und Este. Die Zusammensetzung der Kurse; ist folgende:
1. Studienjahr: 30
2. Studienjahr: 26
3. Studienjahr: 18
4. Studienjahr: 13
5.Studienjahr: 12
Praktikumsjahr: 9
Die neun Seminaristen des Praktikumsjahres erhielten am 28. Mai 1980 die Priesterweihe. Es waren drei Polen, zwei Deutsche, zwei Letten, je ein Este und Ukrainer.
Über das religiöse Leben einiger lettischer Gemeinden hat die neue Kirchenzeitung »Katolu dzeive« einige detaillierte Angaben veröffentlicht So gab es in der Marien-Pfarrei in Dünaburg im Jahre 1988 insgesamt 405 Taufen, lßl Beerdigungen und 110 Eheschließungen. 109 Kinder gingen zur Erstkommunion. Insgesamt wurden fast 70000 Kommunionen gezählt. In Riga gab es in der Pfarrei St. Franziskus 265 Taufen, 44 Eheschließungen und 183 kirchliche Begräbnisse. Die erste hl. Kommunion empfingen 75 Kinder. Insgesamt wurden 55500 Kommunionen ausgeteilt. In der Pfarrei Maria Magdalena in der lettischen Hauptstadt wurden 290 Taufen gespendet und 65 Ehen geschlossen Hier gab es 177 Erstkommunionen.
Das bedeutendste Ereignis für die Kirche außerhalb des Baltikums war die Ernennung eines Bischofs in Weißrußland, die nach Angaben des Vatikans mit Zustimmung der sowjetischen Behörden erfolgte. Der 1946 geborene neue Bischof Tadeusz Kondrusiewicz hat in Kaunas studiert und war bisher Pfarrer in Grodno. Er trägt den Titel eines Apostolischen Administrators von Minsk, dessen letzter Oberhirte der Bekennerbischof Boleslav Sloskans war. Nach dessen Verhaftung 1927 war das Erzbistum verwaist. Im Rahmen der Ernennung von Kondrusiewicz wurde in Rom auch eine Zahl von zwei Millionen Katholiken in Weißrußland genannt. Der neue Administrator sprach die Hoffnung aus, bald in Minsk ein Priesterseminar eröffnen zu können. Er rechnet mit mindestens 80 Kandidaten für das Priesterseminar. Derzeit studieren 25 Theologen aus Weißrußland in Riga. Noch ist der Klerus in Weißrußland sehr überaltert. So stehen die sechs Priester, die im Gebiet von Brest 13 Gemeinden betreuen, im Alter zwischen 77 und 88 Jahren.
Bei aller Freude der Katholiken Weißrußlands über die Ernennung des Bischofs Kondrusiewicz wurden aber auch bedauernde Stimmen laut, daß der Bischof ein Pole ist, da die Polen unter den Katholiken nur eine Minderheit bilden. Bisher gibt es fast keine weißrussische religiöse Literatur. Während die Katholiken mit polnischer Literatur aus Polen versorgt werden, verbreitet die orthodoxe Kirche die russische Sprache. Bei aller Achtung der polnischen Minderheit in Weißrußland wird es eine wichtige Aufgabe sein, die weißrussischen berechtigten nationalen Interessen in der Seelsorge zu vertreten, was die zwölf lettischen und vier litauischen Priester in Weißrußland dankenswerterweise tun.
In der Diaspora der Sowjetunion, im eigentlichen Rußland, der RSFSR, sind in Moskau und Leningrad die Verhältnisse der dortigen katholischen Gemeinden leider fast unverändert. In den Millionenstädten betreuen weiterhin die beiden hochbetagten litauischen Priester die dortigen Kirchen. An der Weihnachtsmesse des 85 Jahre alten Pfarrers in Moskau nahmen 1989 zahlreiche Angehörige ausländischer Botschaften teil. Die den Gemeinden in den zwanziger Jahren weggenommenen Gotteshäuser in Leningrad, wie die Katharinenkirche auf dem Newskiprospekt, sind weiterhin Lagerhallen und Depots. Das gilt auch für die ukrainische Hauptstadt Kiew, wo Pfarrer Janis Krapans weiter um die Rückgabe der beiden profanierten großen Kirchen im Stadtzentrum kämpft. Fortschritte macht dagegen der Aufbau der Gemeinde in Saratov an der Wolga. Hier darf der deutsche Priester Josef Wert in der alten Bischofsstadt (s. S. 85) wieder eine Kirche bauen, da viele Wolgadeutschen Katholiken mit der Wiedererrichtung der Autonomen Republik der Wolgadeutschen rechnen und bereits jetzt aus der Deportation zurückkehren.
Ein Meilenstein für die Wiederzulassung katholischer Orden könnten die Niederlassungen der Schwestern Mutter Theresas in Leninakan, Tiflis und Moskau werden. In Tiflis unterstützen zwei Kapläne den dortigen polnischen Pfarrer. Das neue Klima von Glasnost kam mit der Öffnung der Grenzen und neuen Besuchsmöglichkeiten auch vielen römisch-katholischen Gemeinden zugute. Eine Reihe von Priestern — auch aus Zentralasien — konnte in den Westen reisen und dort über ihre Lage informieren und Hilfe erbitten. Umgekehrt war es auch westlichen Gruppen möglich, zahlreiche Gemeinden in der ganzen Sowjetunion zu besuchen.
Rudolf Grulich
Februar 1990
7
7 Vorwort
10 Vorbemerkung zur Schreibweise der Namen
11 Einleitung
Die geschichtliche Entwicklung
15 Die lateinische Kirche in Rußland bis zur Oktoberrevolution
19 Die versuchte Vernichtung der Kirche nach der Oktoberrevolution
21 Das Beispiel Leningrad
22 Die heutige Lage
23 Bestandsaufnahme der römisch-katholischen Kirche in der Sowjetunion
23 — Die katholische Hierarchie der Sowjetunion nach dem Päpstlichen Jahrbuch
24 — Übersicht über die römisch-katholischen Pfarreien
25 — Orte mit Pfarreien
Die Lage in den einzelnen Sowjetrepubliken
33 Litauen
33 — Geschichtliches
43 Das Komitee für die Verteidigung der Rechte der Gläubigen
51 Zur Lage der Kirche in Litauen. Kardinal Vincentas Sladkevicius
56 Das religiöse Leben in Litauen heute. Interview mit dem Vorsitzenden der Liturgiekommission der litauischen Bischofskonferenz, Priester Vaclovas Aliulis MIC
67 Lettland
72 Estland
74 — Abschiedsbrief von Erzbischof Gottlieb Profittlich S. J. vom 8. Februar 1941
76 Weißrußland
77 Ukraine
78 Moldawien
78 Europäisches Rußland
78 Hinter dem Ural = Sowjetisch-Asien
79 Georgien
80 Die rußlanddeutschen Katholiken
81 - Zur Geschichte der Deutschen in Rußland
82 - Schicksalsjahr 1941
83 - Die räumliche Aufteilung der Sowjetdeutschen 1979
84 - Die Deutschen als Volksgruppe
85 - Die religiöse Entwicklung
86 - Erinnerungen an eine Reise in die südliche Ukrainevon Prälat Nikolaus Pieger
91 - Polnisches Zeugnis für deutsche Katholiken
94 - Tiefer Glaube in Zentralasien
102 Aus den Memoiren des in Kasachstan tätigen, 1975 verstorbenen polnischen Priesters Wladislaw Bukowinski
115 Die Memoiren von Prälat Michael Köhler
134 Die Pfarreien der Diözese Tiraspol vor der Oktoberrevolution
Anhang
139 Die russisch-katholische Kirche des byzantinischen Ritus
140 Die Katholiken des armenischen Ritus in der Sowjetunion
141 Unsere Aufgabe - was können wir tun?
Nachtrag
143 Papst ernennt zwei Erzbischöfe für Litauen
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